Süddeutsche Zeitung

Autos im digitalen Zeitalter:Smart ist nur das Phone

Jugendliche interessieren sich immer weniger für Autos, auch weil Hersteller die Verbindung zur digitalen Welt verschlafen haben.

Boris Herrmann

Man kann nicht laut genug betonen, dass das Leben im digitalen Zeitalter einfacher geworden ist. Früher, als die Computer so groß wie Tiefkühltruhen waren und die Telefone wie Hunde an einer Leine hingen, mussten die Menschen noch selber denken. Heute übernehmen das die Dinge für sie. Denn nicht nur die Menschen, sondern auch die Dinge sind inzwischen online.

Es gibt mittlerweile Turnschuhe, die ihren Turnschuhträger besser kennen als der Turnschuhträger sich selbst. Und wenn man die Schuhe dann ans Netz anschließt, erstellen sie dem Träger einen personalisierten Trainingsplan. Es gibt Kühlschränke, die nach Wurst und Käse rufen, wenn ihr Besitzer Hunger hat. Und es gibt Betten, die ihren Belagerer aufwecken, wenn er zu schnarchen beginnt. Ausgerechnet das Auto aber, das einmal zu den Pionieren der kommerziell genutzten Dinglichkeit gehörte, hat den modernen Menschen bislang im Stich gelassen. Es ist nie so recht im digitalen Zeitalter angekommen.

Hätte man einen Jugendlichen vor 20 Jahren gefragt, worauf er sich am meisten freut, wenn er 18 ist, hätte er ohne zu zögern gesagt: "Den Führerschein!" Bei der digitalen Jugend des dritten Jahrtausends dagegen verliert sich der Wunsch nach einem eigenen Auto zwischen unzähligen anderen Begehrlichkeiten - meist aus den Regalen der Unterhaltungselektronik. Früher hatte das Auto im Freiheitsgefühl Jugendlicher praktisch eine Monopolstellung. Inzwischen hat sich dieses Gefühl von der Straße in die sozialen Netze verlagert. Allein in den USA ist der Anteil junger Führerscheinbesitzer in den vergangenen drei Jahrzehnten um ein Drittel zurückgegangen. Und der Bremer Trendforscher Peter Kruse sagt: "Autos sind kein Bestandteil der Jugendkultur mehr."

Entsprechend nervös sind die Hersteller. Sie scheuen im Moment weder Kosten noch Mühen, um das Automobil mobiler zu machen. Daimler versucht es mit einem Angebot namens "car to go", bei dem das herkömmliche und bislang nicht als Einrichtung für Jugendliche bekannte Carsharing um eine iPhone-Applikation ergänzt wurde, die jederzeit weiß, an welcher Ecke der nächste freie Mietwagen steht. Und in so manchem BMW kann man nun nicht nur fahren, sondern auch surfen. Der Versuch, das Internet über einen Bordcomputer ins Auto zu bringen, ist die eine Sache. Interessanter ist es indes, wenn das Auto zum Internet kommt.

Der italienische Autobauer Fiat etwa testet gerade ein Modell, das "eco-drive" heißt und die Fahrkünste seiner Kunden im Alltag misst. Per USB-Stick lassen sich die Daten dann in ein Lernprogramm auf den Computer übertragen. So kann jeder Autofahrer zu Hause ablesen, wie viel Benzin er unnötig verfeuert, weil er zu ruppig anfährt, zu spät hochschaltet oder zu ungleichmäßig Gas gibt. Was Turnschuhe, Kühlschränke und Betten können, das müsste dem Auto schließlich auch beizubringen sein. In der Konzernzentrale in Turin ist man sich sicher, endlich einen Weg gefunden zu haben, wie sich das Auto mit dem Zeitgeist vernetzen lässt. Darüber hinaus spart ein durchschnittlicher Eco-Driver im Jahr angeblich 145 Kilo Kohlendioxid und 80 Euro Benzingeld.

"Die Industrie muss sich natürlich dringend etwas ausdenken, bislang sind diese Ideen aber eher auf der Spielwiese anzusiedeln", urteilt der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen über diese noch holprigen Versuche der Autobauer. Der Trendforscher Kruse hält das trotzdem für die einzige Zukunftschance eines tendenziell aussterbenden Fortbewegungsmittels. "Die Jugendlichen sind da knallhart. Ein Auto zu besitzen, wird erst dann wieder für sie interessant, wenn es die Grundlogik der sozialen Netzwerke sinnvoll zu adaptieren versteht", prophezeit er.

Es lässt sich darüber streiten, inwiefern ein Ökotrainer in der Bordelektronik ein erster sinnvoller Schritt in diese Richtung darstellt. Fakt ist, dass der gläserne Internetnutzer damit bald Gesellschaft vom gläsernen Autofahrer bekommen könnte. Die Marktforscher von Fiat jedenfalls wissen über ihre USB-Kunden schon fast so viel, wie der moderne Turnschuh über seinen Jogger. Die Briten, so hat Fiat in einer neuen Studie mit 50000 Teilnehmern erhoben, gehen sanfter als andere Europäer mit der Gangschaltung um. Die Deutschen sind Meister der ressourcenschonenden Durchschnittsgeschwindigkeit. Über die Zukunft des Autos im Fiatland Italien muss man sich indes am meisten sorgen: Die Italiener, so lautet die Erkenntnis der Studie, können einfach nicht Auto fahren.

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Quelle:
SZ vom 04.11.2010/holl
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