Autos, die das Herz bewegten (15): NSU TT:Das heiße Herz

Sturm und Drang: Der NSU TT war der Autobahnschreck der späten sechziger Jahre. Ungeniert räuberte er im seichten Teich der Opel, VW und Ford.

Jörg Reichle

Mein Gott, wie lange ist das jetzt her! Erst mal nachrechnen: 1971 war ich schlanke 18, also vor 36 Jahren. Wir holten ihn ein paar Wochen nach meinem Geburtstag ab, Vater und ich. In leuchtendem Orange stand er da vor uns auf dem Hof, ein bisschen O-beinig, weil seine Räder positiven Sturz hatten. Trotzdem war der NSU TT das schärfste Gerät seiner Zeit: 65 PS, 685 Kilo Leergewicht, 160 km/h. Damit räuberte er ungeniert im seichten Teich der Opel und Ford, erschreckte unschuldige Volkswagen und selbst die schweren Mercedes waren keine echten Gegner. Schon eher die 1800er-BMW, Porsche und Alfa sah man ja damals ohnehin kaum auf unseren Straßen.

NSU TT

In seinen Sturm- und Drangjahren trug der TT die hintere Haube hochgestellt.

(Foto: Foto: Berthold Werner)

Und jetzt schenkte mir mein Vater so einen TT! Gebraucht natürlich, aber 5000 Mark waren immer noch eine Stange Geld damals. Stolz wie ich war, sagte ich im Gegenzug so gut wie alles zu - ein sauberes Abi, Gartenarbeit in der Freizeit, immer klaglos den Hund ausführen. Ich wäre sogar bereit gewesen, künftig auf jedes Familienfest mitzugehen. Gott sei Dank, verlangte das dann doch keiner.

Jetzt also, nach 36 Jahren, das Wiedersehen - der Audi Tradition sei Dank. Die Hüter der Historie in Ingolstadt, wo man längst die Überbleibsel der Marke NSU adaptiert hat, hatten mir angeboten, "meinen" TT noch einmal zu fahren - bei der diesjährigen Ennstal Classic, einem Oldtimer-Treffen der ausgesprochen rasanten Art. Und dann steht er da, morgens auf dem Hotelparkplatz, frisch poliert in dunklem Rot. Neben einem Golf von heute schnurrt er optisch zu einer Winzigkeit von Auto zusammen, wirkt fast ein bisschen verloren. Dabei hatte es ihm früher nie an Selbstbewusstsein gefehlt, im Gegenteil.

Im Motorsport war der TT in den Jahren zwischen 1967 und 1972, als er eingestellt wurde, nur schwer zu schlagen. Rundstrecke, Bergrennen, auch Rallyes wie die Tour d'Europe, immer waren die TT vorn mit dabei. Noch 1974 holte ein begabter Chauffeur mit dem bezeichnenden Namen Bergmeister den gleichlautenden Titel, das war schon was.

Scharfe hintere Haube

So wie der kleine NSU jetzt vor mir steht, sieht man ihm den Sportler nicht an. Sogar die harmlos wirkenden verchromten Radkappen hat er noch drauf. Und die Motorhaube ist so fest geschlossen, wie die Lippen eines Mönchs nach dem Schweigegelübde. Dabei hatte ein TT in seinen Sturm- und Drangjahren die hintere Haube grundsätzlich etwa zehn Zentimeter hochgestellt. Ein großer Einfluss auf die Öltemperatur des thermisch hochbelasteten Heckmotors ließ sich zwar nie so recht nachweisen, aber es sah einfach scharf aus.

Das heiße Herz

Jede Mark Taschengeld steckte ich damals in mein Uhrwerk Orange und es begann eine Metamorphose, deren zeitlicher Ablauf heute nicht mehr eindeutig nachzuvollziehen ist: Die Serienrädchen wichen fetten Alus, für deren Unterbringung erst noch die Kotflügel verbreitert werden mussten, die Stoßdämpfer wurden gegen solche mit Gasfüllung getauscht, statt des flachstehenden, bleistiftdünnen Serienlenkrads wurde ein dickes Lederding im Renn-Look montiert, Zusatzscheinwerfer groß wie Suppenschüsseln machten die Nacht zum Tage. Und ein Überrollkäfig samt Hosenträgergurten schützte den Jungspund am Steuer.

NSU 1200 TT

Der "Kleine" kommt groß raus: Bei der Ennstal Classic hängt der NSU 1200 TT selbst den Jaguar E und manchem Ferrari im Genick.

(Foto: Foto: Audi)

Mein Memory-TT von Audi wirkt dagegen so harmlos wie eine Betschwester, doch exakt so rollte er 1971 vom Band in Neckarsulm. Keine ausgesprochene Schönheit, wenn man ehrlich ist. Von Claus Luthe, der später den zeitlos schönen RO 80 schuf, stammt die Form, die im Grunde schon sein Prinz 4 von 1961 vorwegnahm. Die auffällig umlaufende Chromleiste kopierte dabei recht ungeniert den Chevrolet Corvair. 1963 feierte dann der etwas größere Prinz 1000 Premiere, nun schon mit ovalen Scheinwerfern und warzenförmigen Rücklichtern.

Luthe verlängerte das Heck, weil der neue Motor mit nunmehr vier statt bislang zwei Zylindern mehr Platz brauchte. 43 PS hatte dieser, eine fünffach gelagerte Kurbelwelle, hängende Ventile und eine oben liegende Nockenwelle. Der Antrieb war quer zur Fahrtrichtung eingebaut, und weil der 1000er damit recht hecklastig war, neigte man den luftgekühlten Triebling einfach um einige Grad nach vorn. Den Rest kannte man schon vom Prinz 4: die seitlichen Drehfenster zum Beispiel, den vorn liegenden 37-Liter-Tank, den Kofferraum, in den 250 Liter Gepäck passten.

Im September 1965 schob man in Neckarsulm für die Hobby-Sportfahrer unter den Kunden dann den 1000 TT nach. Die Bezeichnung sollte an die große Motorradtradition der Marke und die Tourist Trophy auf der Isle of Man erinnern. Der TT hatte zwei Vergaser, Doppelscheinwerfer, einen Drehzahlmesser und ein Lenkrad mit zwei gelochten Alu-Speichen. 55 PS brachte der Motor jetzt, gebremst wurde vorn mit Scheiben, hinten mit Trommeln. Der 1200 TT mit 65 PS war dann im November 1967 sozusagen das Tüpfelchen auf dem Tausender. Schärfer war nur noch der TTS: Ölkühler vorn, 70 PS, 12,3 Sekunden auf 100 km/h.

Querfugen schaden der Gesundheit

Das braucht's aber gar nicht, schon der TT fährt sich wie die Feuerwehr. Auch heute noch. Wenn man sich daran gewöhnt hat, dass der Schalthebel die Präzision einer Wünschelrute besitzt und die Federung nur theoretisch vorhanden ist (Querfugen schaden Ihrer Gesundheit!) wieselt der Kleine durch die Täler und über die Berge der Steiermark, dass einem die Tränen der Rührung kommen. Mit Audi-Traditionschef Thomas Frank auf dem heißen Sitz, kleben wir selbst den Jaguar E und manchem Ferrari im Genick wie eine lästige Stechmücke. Federleichtes Gleiten, kein Mucken der hinteren Pendelachse, nichts. Nur die Tankstopps - 8,5 Liter Super nimmt er im Schnitt - werfen uns ab und zu zurück.

Damals, im Grenzbereich der Jugend, hatte mein Sturm und Drang im TT am Ende Tribut gefordert. Die Defekte häuften sich, die Reparatur-Rechnungen ebenfalls und irgendwann winkten die Eltern ab. Zu teuer das Spielzeug! Der Tag, als mein orangener TT mit einem Wildfremden am Steuer davonbrauste, gehört zu den Tiefpunkten meiner Erinnerung. Was danach kam, war vernünftig, immerhin: ein VW 1303, gute deutsche Wertarbeit. Doch das heiße Herz war kühl geworden.

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