Süddeutsche Zeitung

Autonomes Fahren:K.I.T.T. wird Realität - Schritt für Schritt

  • Einige Luxuslimousinen können schon heute teilautonom fahren. Auch Googles Testflotte zeigt, dass die Technologie bereits sehr sicher ist.
  • Doch aus Sicht der Maschine ist der Straßenverkehr, wie wir ihn kennen, nicht selten ein reines Chaos.
  • Deshalb bleibt der Mensch nis auf Weiteres das leistungsstärkste System im Auto.

Analyse von Joachim Becker

Sie sind längst unter uns: "Ob wir es mögen oder nicht - langsam aber sicher übernehmen die Roboter den Job des Autofahrers." Diese Warnung des US-Magazins Popular Science ist schon 58 Jahre alt. Dabei war der Tempomat im Chrysler Imperial nur ein simpler Seilzug-Mechanismus, um die Geschwindigkeit zu halten. Damals konnte von Robotik oder gar künstlicher Intelligenz noch keine Rede sein. Das ändert sich gerade. Wer mit einem sogenannten (teil-)autonomen Auto unterwegs ist, fragt sich die ganze Zeit, was die Maschine wohl alles sieht. Auf einer Landstraße mit dichtem Gegenverkehr genügt schon ein falscher Schlenker über die Mittellinie für den tödlichen Crash. Erkennt die Elektronik jetzt die engere Fahrspur? Was macht sie da vorne bei dem toten Fuchs? Ein mulmiges Gefühl fährt immer mit.

Zukunftsmusik? Ja und nein. Luxuslimousinen wie der neue 7er BMW , die kommende Mercedes E-Klasse und das Tesla Model S können bereits teilautonom fahren. Beim Tesla und der E-Klasse kann der Mensch am Steuer eine Minute und länger die Hände in den Schoß legen. Doch in Kurven ist das freihändige Fahren schnell vorbei: Elektrische Lenkungen sind aus rechtlichen Gründen bisher eingeschränkt. Sie kriegen einfach nicht die Kurve, wenn es wirklich rund geht. Dann muss der Fahrer schnell zupacken und die Karre herumreißen. Statt des Roboters trägt der Fahrer beim teilautonomen Fahren weiter die volle Verantwortung.

Für Maschinen ist der Straßenverkehr oft das reine Chaos

Auch das Abgeben eines Teils der Lenkaufgabe will gelernt sein. Dabei war der Sportwagen mit künstlicher Intelligenz der TV-Serien-Traum der 1980er-Jahre. K.I.T.T. in Knight Rider ließ sich per Armbanduhr herbeirufen und konnte mit seinem Fahrer kluge Konversation führen. Die Sprachbedienung gibt es schon, auch wenn ihr das Geistreiche noch fehlt. Jetzt soll auch der Rest schrittweise in Serie kommen.

Google hat 2010 vorgemacht, wie autonomes Fahren geht: Nach Jahren der Probeläufe auf abgesperrten Teststrecken brachte der Internetkonzern als Erster eine ganzen Flotte Roboterfahrzeuge auf öffentliche Straßen. Zwischenbilanz nach vielen Millionen Testkilometern: Bis auf ein Dutzend Bagatellunfälle, die meist von anderen Autofahrern verursacht wurden, fährt Kollege Computer viel defensiver, konzentrierter und darum sicherer als die meisten Menschen. Eine Welt mit jährlich 1,2 Millionen Unfalltoten kann die Roboterautos also gut gebrauchen.

Doch so einfach ist das nicht. Aus Sicht einer regelbasierten Maschine ist das, was wir Straßenverkehr nennen, nicht selten reines Chaos: Alle haben es eilig, drängeln und überraschen die anderen mit unverhofften Manövern. Für Fahranfänger ist das genauso stressig wie für einen Roboter, der den vorschriftsmäßigen Abstand halten will. Außerdem ist die Welt eine einzige Baustelle: Die fehlenden oder fehlerhaften Fahrbahnmarkierungen stürzen (nicht nur) Maschinen in Verzweiflung.

Bis auf Weiteres bleibt der Mensch das leistungsstärkste System im Auto - aber wehe, wenn er müde oder abgelenkt ist. "Nur der Mensch ist in der Lage, sinnvolle Entscheidungen unter unsicheren Bedingungen zu treffen. Darin ist nur er wirklich gut und hier zeigen sich die Grenzen der Technik", sagt Thomas Stieglitz, Professor am Institut für Mikrosystemtechnik der Universität Freiburg.

Richtig ist aber auch, dass Fahrerassistenzsysteme eine famose Entscheidungshilfe geben können. Der Autor dieser Zeilen ist schon in einigen Roboterautos unterwegs gewesen. Und er hat es gerade bei Nacht, Schneeregen teilweise im Blindflug erlebt: Wenn sich die Fahrspuren und die Abstände zu den Vorausfahrenden nur noch schwer ausmachen lassen, entspannen elektronische Helfer wie Radar und Stereokamera ungemein: Mit den nötigen Extras können der neue 7er BMW und die neue Mercedes E-Klasse auf Augenhöhe anzeigen, ob die Fahrbahnbegrenzungen und das Fahrzeug vor einem erkannt wurde. Das schont die Nerven auf langen Fahrten, weil sich damit per Automatik an den Vordermann dranhängen kann.

Entspannt zurücklehnen darf sich der Pilot trotzdem nicht. Denn es kommt, was kommen muss: In ärgstem Sturm und Finsternis verabschiedet sich das System mit einer Warnmeldung. Game over, weil die schneebedeckten Sensoren erblinden.

Die Maschine kann keinen Augenkontakt aufnehmen

Genau deshalb reden viele Hersteller nur noch vage vom vollautonomen Fahren: Die letzten fünf Prozent der Extremfälle sind auch extrem schwierig zu beherrschen. In der Stadt werden die Autopiloten noch länger Lenk- und Bremsunterstützung brauchen. Zum Beispiel weil Fußgänger in Sekundenbruchteilen stoppen oder die Richtung ändern können. Für eine Maschine, die keinen Augenkontakt aufnehmen kann, ist das Verhalten solcher bewegter Datenwolken nicht vorhersagbar.

Das musste auch Mercedes bei der Bertha-Benz-Gedächtnisfahrt lernen: Mit einer aufgerüsteten S-Klasse fuhren die Stuttgarter 2013 von Mannheim nach Pforzheim. Mercedes hatte die gut 100 Kilometer lange Route ausgewählt, weil Benz' motorisierte Kutsche dort einst ihre Langstreckentauglichkeit bewiesen hatte. 125 Jahre später wollten die Stuttgarter erneut Geschichte schreiben - und schickten einen Mercedes S 500 "Intelligent Drive" auf eine Rekordfahrt im Dienste des Fortschritts. Gestoppt wurde die spektakuläre Geisterfahrt ausgerechnet an einem Zebrastreifen: Ein älteres Paar wollte die Straße nicht überqueren, sondern dem Wagen Vorrang am Fußgängerüberweg einräumen. Die Alten winkten freundlich, doch die hochgerüstete Limousine verweigerte die Weiterfahrt. Bis Computer den Menschen als Partner im Straßenverkehr wirklich verstehen, wird es wohl noch ein Weilchen dauern.

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Quelle:
SZ vom 13.02.2016/harl
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