Süddeutsche Zeitung

Autonomes Fahren:Guck' mal - freihändig

Unser Autor hat einen selbständig fahrenden Audi A7 ausprobiert und festgestellt: Dem Auto das Steuer zu überlassen, ist ebenso faszinierend wie furchteinflößend - wie es sich für eine anständige Zukunft gehört.

Von Jürgen Schmieder, Las Vegas

Das Loslassen ist ein Moment schrecklicher Ungewissheit, es fühlt sich an wie Einschlafen oder sich Verlieben: Es passiert erst langsam, dann plötzlich und unvermeidbar. Der Mensch will sich wehren, weil er nicht weiß, ob das, was danach passieren wird, wunderbar oder schlimm sein wird - vor allem aber deshalb, weil er nicht darüber bestimmen kann, ob es wunderbar oder schlimm wird. Weil er freiwillig die Kontrolle abgibt über dieses utopische Auto, in dem er gerade sitzt und das ihm mitteilt, dass er die Hände vom Lenkrad nehmen kann. Es ist gruselig, doch nur wer loslässt, der erlebt all die Sachen, die Träumen oder Verliebtsein oder futuristische Fahrzeuge so mit sich bringen.

Es ist Sonntagnachmittag. Anfang 2015. Gegenwart. Es ist die laut Audi weltweit erste pilotierte Fahrt auf einer öffentlichen Straße, bei der nicht ein Ingenieur oder Testfahrer am Steuer sitzt - oder besser: das Steuer loslässt -, sondern einer, der von Autos noch weniger Ahnung hat als von Liebe und Träumen. Bislang haben sich die Hersteller mit Innovationen im Bereich autonomer Automobile verhalten wie Köche, die ihr neues Rezept andauernd nur selbst probieren, von der Zusammenstellung der Zutaten schwärmen und davon, wie toll das irgendwann mal schmecken wird.

Der Kunde bekommt Bilder zu sehen, doch die interessieren ihn nur bedingt. Ein Blick in die Zukunft ist ja ganz nett, doch eigentlich will er wissen: Wie fühlt sich das an? Was passiert mit einem, der bewusst die Kontrolle über sein Auto abgibt?

Vom Silicon Valley nach Las Vegas

Audi hat das am Wochenende mit dem Projekt Highway Pilot probiert. Vielleicht ist es Zufall, dass sich dieser mattgraue A7 auf der Interstate 5 befindet. Diesen Highway nimmt man vom Silicon Valley in Richtung Las Vegas, zwei Orte für gewaltige Träume, gewaltige Investitionen und gewaltigen Wahnsinn. Wer Ideen hat und Glück, der kann im Valley und in Vegas stinkreich werden. Es ist aber auch möglich und sogar wahrscheinlich, an beiden Orten gehörig auf die Schnauze zu fliegen. Wie gesagt: Vielleicht ist es Zufall, dass dieses Auto nun auf dieser Straße fährt. Vielleicht aber auch nicht.

Das System ist nur auf Autobahnen und Highways einsetzbar, der Fahrer muss den Wagen also zunächst einmal selbst steuern: ausparken, durch die Stadt navigieren, an der Ampel anhalten, links blinken, die Auffahrt nehmen, eine Spur wählen.

Dann erscheint auf der Anzeige: Piloted Mode available.

Heißt übersetzt: Wenn du willst, dann kann ich nun für dich übernehmen. Der Fahrer drückt zwei hellblau leuchtende Knöpfe auf dem Lenkrad - und lässt los. Lenkrad und Sitz verschieben sich minimal, eine blaue Neonleiste unter der Windschutzscheibe versichert dem Fahrer, dass er nun nicht mehr der Pilot ist, sondern Passagier. Er könnte die Landschaft genießen, den Sonnenuntergang, die Windräder.

Doch es funktioniert erst einmal nicht. Er kommt sich eher vor wie ein Vater, dessen Tochter gerade den Führerschein gemacht hat und nun stolz die Fahrkünste präsentieren möchte. Mit feuchten Händen sitzt er daneben, fürchtet das Schlimmste und ist stets bereit, das Lenkrad zu packen und einen Unfall zu verhindern. Er muss sich auf die Lippen beißen, um nicht zu rufen: "Langsamer." Oder: "Nicht so dicht auffahren." Oder: "Verdammt noch mal, nun brems doch schon!"

Es gibt für einen Menschen nur eine schrecklichere Vorstellung als jene, dass ein anderer Mensch über ihn bestimmt: Dass es eine Maschine ist, die da über einen bestimmt. Das einzig Beruhigende in diesen ersten Minuten ist die Gewissheit, jederzeit übernehmen zu können - durch das Drücken der beiden Knöpfe, das Greifen des Lenkrads oder das Treten von Gas oder Bremse. Der Mensch muss, will er dieses Feature nutzen, der Maschine vertrauen - und die fährt nun einmal ein wenig anders als er selbst: Jack, diesen Spitznamen haben sie bei Audi diesem Testfahrzeug gegeben, hält sich penibel an die Geschwindigkeit, er fährt nicht zu nah auf, er vollführt keine waghalsigen Manöver. Jack ist, das wird nach wenigen Minuten klar, ein stinklangweiliger Fahrer.

Jack bleibt gelassen

Die einzige Form der Unterhaltung besteht darin, beim Überholtwerden den Insassen des anderen Autos durch beidarmiges Winken einen gehörigen Schrecken einzujagen: Guck' mal - ohne Hände!

Plötzlich schert ein anderes Fahrzeug aus und brettert von rechts auf die Fahrspur. Man will eingreifen, doch Jack bleibt gelassen. Er bremst nicht, er lenkt nicht, er fährt einfach weiter - weil Bremsen und Lenken überflüssig gewesen wäre. Alles in Ordnung. Danach will Jack überholen, auf dem Bildschirm in der Mitte präsentiert er seinen Plan: Blinken, Spur wechseln, weiterfahren. Der Bildschirm im Gehirn präsentiert ein anderes Szenario: Fehlfunktion, Kollision, Krankenhaus.

Die Hände bewegen sich zum Lenkrad, der rechte Fuß zur Bremse - doch Jack blinkt, er wechselt die Spur, er fährt weiter. Wie bei der Tochter kommt einem auch bei Jack nach ein paar Minuten dieser Gedanke: Okay, vielleicht ist das doch ein ganz brauchbarer Autofahrer.

Abbiegen muss der Mensch noch selbst

Nach 35 Kilometern folgt der Wechsel auf einen anderen Highway, das kann der Autobahnpilot nicht. Eine Stimme erklärt zunächst, in spätestens einer Minute zu übernehmen. Bei der 15-Sekunden-Marke wird das blaue Licht orange, dann rot. Es piept. Wenn der Mensch nicht übernimmt, dann schaltet der Autopilot die Warnblinkanlage ein, bremst das Fahrzeug ab und verständigt nach dem Stillstand die Polizei. Übernimmt der Mensch, bewegen sich Lenkrad und Sitz wieder minimal - die Fahrt geht ohne Verzögerung weiter.

Die Übernahme der Kontrolle ist ähnlich wie das Loslassen ein grotesker Moment, gruselig auf eine andere Art. Natürlich hat der Fahrer seinen Sitz nicht umgedreht oder ist auf die Rückbank gekrabbelt, doch er war auch nicht so aufmerksam, als wäre er selbst gefahren. Er wundert sich nun, warum das Fahrzeug nicht automatisch abbremst oder den Abstand hält, er muss sich daran erinnern: Du musst das nun alles wieder selbst tun. Das Gehirn des Menschen stellt sich nicht so reibungslos um wie das Fahrzeug.

"Wir wollen keine illusorischen Zukunftsvisionen präsentieren, sondern Systeme, die der Kunde in seinem nächsten Auto finden kann", sagt Thomas Müller. Er ist bei Audi verantwortlich für die Entwicklung von Fahrassistenzsystemen: "Es ist wichtig, dass der Kunde den Funktionen und Systemen vertraut. Das ist mit einem evolutionären Ansatz möglich - den Kunden Schritt für Schritt neue Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen." Vertrauen ist ein Wort, das sie bei Audi oft verwenden in diesen Tagen.

Die Ingenieure sind nervös bei dieser Fahrt, das ist deutlich zu erkennen. Sie erklären ständig, was dieses Auto kann. Vor allem aber: Was es nicht kann.

Nein, dieser A7 ist kein selbstfahrendes Auto, in dem man während der Fahrt schlafen kann. "Von einem voll automatisierten Auto sind wir noch 15 bis 20 Jahre entfernt", sagt Müller: "In ausgewählten, vor allem weniger komplexen Situationen jedoch wird pilotiertes Fahren schon in den nächsten Jahren möglich sein."

"Ende 2016 werden diese Systeme in unseren Fahrzeugen zu finden sein."

Sie haben nun diesen Autobahnpiloten vorgestellt, der schon bald in Serienfahrzeugen zu finden sein soll. Es soll dazu einen Staupiloten und einen Parkpiloten geben: ein System, das einen selbständig durch zähflüssigen Verkehr navigiert - und eines, das in einem Parkhaus selbst einen Platz findet und einparkt. "Ende 2016 werden diese Systeme in unseren Fahrzeugen zu finden sein", sagt Audi-Vorstand Ulrich Hackenberg in Las Vegas zur Süddeutschen Zeitung: "Es geht uns unter anderem um jene Situationen, in denen der Fahrer unterfordert ist und das Fahrzeug Aufgaben übernehmen kann." Sie basteln also an Evolutionsschritten und konzentrieren sich dabei auf drei Elemente, die tierisch nerven beim Autofahren: Stau, Einparken, langweilige Autobahnfahrten. Das allerdings ist noch lange kein Gefährt, das einen ohne Fahrer von A nach B bringt.

Dieses selbstfahrende Vehikel ist der Heilige Gral jener Utopisten, die einen seit mehr als sechzig Jahren dazu auffordern, der Zukunft nicht mit zynischen Sorgenfalten zu begegnen, sondern mit begeistertem Staunen - also einer Mischung aus Träumen und Verliebtsein. Es ist ja schön und gut, was einem in diesen Tagen auf der International Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas als Zukunft angepriesen wird: 3-D-Drucker, Smartphones, Drohnen, vernetzte Häuser. Faszinierend ist das und auch furchteinflößend - wie es sich für eine anständige Zukunft gehört.

"Knight Rider" wird langsam wahr

Das Auto ohne Fahrer jedoch wie K.I.T.T. in Knight Rider - es ist das große Versprechen, das bislang nicht eingelöst wurde und weshalb Pay-Pal-Gründer und Investor Peter Thiel in seinem Pamphlet "What Happened to the Future" diesen resignierenden Satz verwendet: "Wir wollten fliegende Autos, bekommen haben wir 140 Zeichen." Natürlich steckt in den Fahrzeugen heutzutage bereits jede Menge Technologie, es gibt elektronische Einparkhilfen, Tempomaten, Abstandsregler und den Spurassistenten.

Nur das Loslassen, das fehlt noch.

Genau daran arbeiten nicht nur Automobilkonzerne, sondern auch der Silicon-Valley-Platzhirsch Google. Auf der CES werden nun die Zwischenschritte präsentiert: BMW verbindet im Elektroauto i3 den Parkassistenten mit einer Smartwatch - das wahr gewordene "K.I.T.T., hol mich hier raus" aus Knight Rider. Zudem gibt es ein Bremssystem, bei dem der Fahrer vom Fahrzeug überstimmt wird, um eine Kollision zu vermeiden. Volkswagen führt ein Bedienkonzept ein, das auf Gestenerkennung basiert. Bosch will einen Autohersteller mit einem System ausstatten, mit dem ein Fahrzeug im Stau selbständig fahren kann. Chrysler, Hyundai und Valeo zeigen neue Formen der Kommunikation zwischen Mensch und Auto.

Elektronik soll den Fahrer unterstützen, wenn er überfordert ist - oder unterfordert

Mercedes-Chef Dieter Zetsche und Ford-Geschäftsführer Mark Fields sind gar als Keynote-Sprecher geladen. Zetsche sagt: "Die Zeit ist reif, über das Auto der Zukunft nachzudenken." Dann holt er ein Fahrzeug auf die Bühne, das seiner Meinung nach das Auto der Zukunft ist: der F015 mit dem recht selbstbewussten Beinamen Luxury in Motion, ein silbernes Gefährt ohne Seitenfenster, das in James-Bond-Manier per Handy ferngesteuert werden kann, mit seinem Besitzer spricht und in dem sich die Passagiere wie in einer Lounge gegenübersitzen. Ja, Zetsche spricht nicht mehr von Fahrern, er spricht von "Fahrgästen".

Ein wunderbares Auto, gewiss, womöglich wirklich das Auto der Zukunft. Nur verrät Zetsche bei seiner Ansprache leider nicht, wann genau denn die Zukunft beginnen wird. Wann dieses Fahrzeug nicht auf einer Bühne, sondern tatsächlich auf einer Straße zu sehen sein wird.

Die Hersteller wissen, wo sich der Heilige Gral befindet. Sie wissen auch, wie sie dorthin kommen wollen. Sie wissen nur nicht genau, wie lange es dauert und wer der Erste sein wird - und vor allem: Wer will denn wirklich aus diesem Gral trinken? Will der Mensch überhaupt loslassen? Er lebt ja gerne in dem Glauben, selbst über sein Schicksal und seine Gesundheit bestimmen zu dürfen. Er hockt lieber auf dem Fahrersitz als daneben, der nörgelnde Beifahrer ist, das zeigen zahlreiche Studien, meistens gar keine besserwisserische Nervensäge. Er hat einfach nur Angst aufgrund der Ohnmacht.

Nur: Der Mensch ist ein gar schrecklicher Autofahrer. Er wird müde, unkonzentriert - und natürlich aggressiv, weil die Hornochsen in den anderen Autos den Führerschein im Lotto gewonnen haben. Er sieht bisweilen nicht besonders gut, er trinkt Alkohol und fährt dennoch mit dem Auto, er schreibt trotz Verbot Textnachrichten oder sucht nach hinuntergefallenen Zigaretten. Die größte Gefahr für den Menschen im Straßenverkehr, das ist der Mensch.

Viele offene Fragen

Studien zeigen, dass Fehler von Menschen für 90 Prozent aller Unfälle verantwortlich sind. Aus dem Mund von Audi-Ingenieur Müller hört sich das so an: "Unser Ziel ist es, den Fahrer dann zu unterstützen, wenn er unterfordert oder überfordert ist. Dadurch wird das Fahren sicherer und im Kollektiv auch effizienter." Die Argumente klingen einleuchtend: Das selbstfahrende Auto ist stets fit und immer gleich gelaunt, es könnte mit anderen Autos oder über die Cloud mit Datenbanken kommunizieren, dadurch Staus und Unfälle vermeiden und durch die Fahrweise Benzin und damit Geld sparen.

Allerdings: Nur weil das möglich ist, ist es noch nicht realisierbar - oder erlaubt. Mercedes-Chef Zetsche zählt während seiner Ansprache einige der vielen offenen Fragen auf wie jene nach der Sicherheit der Daten oder die, wer bei einem Unfall haften muss. Wie knifflig das ist, das zeigt sich schon während der Vorbereitung auf die Testfahrt im A7. In Kalifornien gibt es zwar Gesetze für das Testen autonom fahrender Autos, doch verlangt das Department of Motor Vehicles (DMV) eine eintägige Ausbildung und die Übernahme der Verantwortung bei einem Zwischenfall. Erst dann gibt es einen extra angefertigten Führerschein.

Der Fahrer kann beruhigt loslassen

Auch in Nevada gibt es Gesetze, die sich jedoch von denen Kaliforniens unterscheiden - an der Grenze muss deshalb das Nummernschild gewechselt werden. "An diesem Projekt sind beinahe so viele Anwälte wie Ingenieure beteiligt", sagt Müller deshalb. Das Auto der Zukunft, diese grandiose Vision der Menschheit, sie scheint noch weit weg zu sein - einzelne Elemente jedoch wirken greifbar, nah. Wie die Gegenwart.

Es ist nun Abend an der Westküste. Dunkel ist es, die Straße unbekannt und stark frequentiert. Keine idealen Bedingungen. Plötzlich erlebt der Fahrer diesen Moment, mit dem er zu Beginn der Fahrt nicht gerechnet hat: Er blickt auf die Anzeige und wünscht sich, dass der Autobahnpilot verfügbar ist. Er ist bereit, nach gerade einmal ein paar Stunden, dem System bei diesen schweren Bedingungen mehr zu vertrauen als seinen eigenen Fähigkeiten. Anders als beim Einschlafen und sich Verlieben weiß er nun recht präzise, was passieren wird: nichts. Er kann beruhigt loslassen.

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Quelle:
SZ vom 07.01.2015/harl
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