Autonomes Fahren:Der neue Audi A8 kann mehr, als die Polizei erlaubt

Lesezeit: 3 min

Der neue Audi A8 bei seiner Weltpremiere in Barcelona. (Foto: Pau Barrena/Bloomberg)
  • Der neue Audi A8 ist das erste Auto mit einem serienmäßigen 48-Volt-Bordnetz und einem zentralen Supercomputer in Tablet-Größe.
  • Damit realisiert Audi unter anderem ein Assistenzsystem namens AI Staupilot, das selbstlernend sein soll.
  • Allerdings ist es fraglich, ob sich der große Aufwand lohnt, weil sich auch die Konkurrenz in der Oberklasse rasant entwickelt.

Von Joachim Becker

Piëch-Wagen, so könnte man den neuen A8 auch nennen. Selten ist ein Hoffnungsträger mit so viel Altlasten gestartet: 2013 hatte Audi gerade wieder einen Entwicklungsvorstand verschlissen. Die VW-Granden waren alarmiert. Auf Geheiß des Aufsichtsratsvorsitzenden Ferdinand Piëch und von Konzernchef Martin Winterkorn übernahm ein erfahrener Techniker das Ressort in Ingolstadt. Eigentlich ein Rückschritt für Ulrich Hackenberg, der die VW-Entwicklung leitete und die Innovationen im gesamten Konzern koordinierte. Doch nach der Dauerkritik am monotonen Audi-Design und zögerlichen Innovationen gab es keine Alternative: Der nächste A8 muss nun liefern und das Versprechen "Vorsprung durch Technik" endlich einlösen.

Klotzen, nicht kleckern: Der A8 wird mit allem bestückt, was an Innovationen gut und vor allem teuer ist. Zum Beispiel mit dem weltweit ersten serienmäßigen 48-Volt-Bordnetz. Damit angetrieben, kann das Fahrwerk jedes Federbein vorausschauend einstellen. Vorausgesetzt eine Kamera scannt die Straße und ein Supercomputer verarbeitet die Bilddaten beinahe in Echtzeit. Mit einem herkömmlichen Steuergerät ist das nicht zu machen.

48-Volt-Bordnetz
:Mit dem neuen A8 will Audi das Autofahren verändern

Die Oberklasselimousine soll komfortabler und sicherer sein als die Konkurrenten. Das liegt an seiner Hybridtechnik, die plötzlich neue Möglichkeiten bietet.

Von Joachim Becker

"Beim neuen A8 setzen wir den besten und komplexesten Computer in der Automobilindustrie ein", sagt Alejandro Vukotich, "darauf sind wir stolz." Er ist nicht nur für das automatisierte Fahren bei Audi zuständig, sondern trägt auch konzernweit die Verantwortung für die Technologie. Schon 2015 fuhr ein Audi-Prototyp autonom durch Nordamerika. Damals steckte der gesamte Kofferraum voller Computer. Beim neuen A8 ist das Zentralhirn auf die Größe eines kleinen Tablet-Rechners geschrumpft. Damit können die Live-Bilder von sechs Kameras gleichzeitig verarbeitet werden. Trendsetter ist Audi auch mit einem Lidar-Scanner, wie er bisher nur bei (Google-)Prototypen verwendet wurde. Fragt sich nur, wie viel Vorsprung durch Technik die Ingolstädter herausfahren können.

Vukotich gibt offen zu, dass der Entwicklungsaufwand zuletzt immens war: Beim zentralen Fahrerassistenzsteuergerät, kurz: ZFAS, haben 15 Partner an 35 Software-Modulen gearbeitet. "Das hat uns nicht nur technisch, sondern auch organisatorisch an die Grenzen gebracht", berichtet der Elektrotechniker.

Der Staupilot, ein selbstlernendes System

Der neue A8 trennt erstmals konsequent die Soft- von der Hardware. Die Rohdaten werden nicht wie bisher in den einzelnen Sensoren oder Steuergeräten, sondern zentral im ZFAS ausgewertet. Der Supercomputer kann alle eingehenden Informationen miteinander abgleichen und auf Fehler überprüfen. Das ist ein deutlicher Sicherheitsgewinn über bisherige Assistenzsysteme wie Teslas Autopilot hinaus.

Bislang war der Mensch als Kontroll- und Rückfallebene für alle Assistenzsysteme unabkömmlich. Jetzt kann die Luxuslimousine auch längere Zeit ohne den Fahrer agieren. Deshalb heißt das System AI Staupilot: AI steht für artificial intelligence, künstliche Intelligenz. Gemeint ist ein selbstlernendes System, das nicht sofort abschaltet, sobald eine unerwartete Situation eintritt. Der Staupilot managt Anfahren, Beschleunigen, Lenken und Bremsen, während der Fahrer den Blick abwenden kann. Sobald das System an seine Grenzen stößt, fordert es den Fahrer auf, die Aufgabe selbst zu übernehmen.

Soweit die Theorie, denn aktuell kann der Superstar aus Ingolstadt mehr, als die Polizei erlaubt. Vor wenigen Wochen haben Bundesrat und Bundestag das Gesetz für hoch automatisiertes Fahren (Level drei) verabschiedet. Bis zur Umsetzung in der Straßenverkehrsordnung werden aber noch Monate vergehen. Deshalb werden die Funktionen erst im nächsten Jahr freigeschaltet. Zunächst auf der Autobahn im dichten Kolonnenverkehr bis 60 Kilometer pro Stunde oder beim autonomen Parken. Bloß: Die externe Fernsteuerung des Parkvorgangs per Smartphone gibt es auch schon bei BMW und Mercedes.

Interessant wird so ein System beim autonomen Valet-Parken. Die Frage ist, ob man dafür den ganzen Aufwand braucht, den Audi im A8 betreibt. Zum Beispiel, wenn der Fahrer vor einem Parkhaus ausgestiegen ist, und sich der Wagen dort selbständig einen Stellplatz sucht. Bosch und Mercedes wollen diese Funktion noch im Juli vorstellen. Der Wagen lässt sich per Smartphone auch wieder herbeirufen, um die Fahrt fortzusetzen. "Die neue S-Klasse ist an vielen Stellen bereits für Level drei ausgelegt", sagt ein Daimler-Sprecher. Es genüge eine leichte elektronische Aufrüstung und ein redundantes Bremssystem, um den intelligenten Assistenten der nächsten Generation darzustellen.

Die Entwicklung in der Oberklasse geht rasant weiter

Bisher stand ein Supercomputer wie im neuen A8 noch nicht im Auto zur Verfügung. Deshalb setzt BMW auf ein Hochgeschwindigkeits-Datennetzwerk: Per Ethernet kommunizieren über 20 Steuergeräte im 7er miteinander, etwa die Fahrerassistenzsysteme mit den Fahrwerksrechnern. So kann der Wagen seine Eigenbewegung in Sekundenbruchteilen steuern. Elmar Frickenstein lässt durchblicken, dass damit die technischen Möglichkeiten noch nicht ausgereizt sind: "Wir sprechen in der Entwicklung von einem erweiterten Level zwei. Auf dieser Grundlage wollen wir schon bald weitere hoch automatisierte Funktionen anbieten", sagt der Leiter autonomes Fahren bei BMW.

Im nächstes Jahr entwickelt sich also die gesamte Oberklasse rasant weiter. Entscheidend ist die reibungslose Kommunikation zwischen Fahrer und Auto: Bisher muss der Pilot ständig am Lenkrad rütteln (oder die Touch-Pads am Mercedes-Lenkrad drücken), um zu zeigen, dass er die Fahraufgabe jederzeit übernehmen kann. Schon bald wird diese Fummelei ein Ende haben. Zulieferer wie Bosch, Continental und ZF haben Innenraumkameras entwickelt, die den Fahrer überwachen. Wendet er den Blick ab oder fallen ihm die Augen zu, schlägt das System Alarm. Alles kein technisches Hexenwerk. Jetzt muss der Piëch-Wagen in der Praxis zeigen, ob er die Konkurrenten verdrängen kann.

© SZ vom 15.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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