Süddeutsche Zeitung

Züge ohne Lokführer:Warum die Bahn beim autonomen Fahren überholt wurde

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Während Autohersteller fieberhaft am selbstfahrenden Auto arbeiten, kommt die Bahn trotz einstigen Vorsprungs bei diesem Thema nicht voran. Woran liegt das?

Von Annkathrin Weis

Gerhard Curth war dabei, als der erste Tempomat in einem Zug zwischen München und Augsburg getestet wurde. Der Präsident des Deutschen Bahnkunden-Verbands erinnert sich noch gut daran, wie der Lokführer damals erklärte, dass dieser Zug auch ohne ihn hätte fahren können. Diese erste teilautomatisierte Fahrt ist inzwischen 54 Jahre her.

Was sich seitdem in Sachen automatisiertes Fahren beim Schienenverkehr in Deutschland getan hat, ist übersichtlich. Vereinzelte Pilotprojekte im Rangierverkehr, kleine Nahverkehrsprojekte: Ein großer Aufschlag, wie die Ankündigung des französischen Bahnbetreibers SNFC, fehlt. Im Nachbarland sollen ab 2025 autonome Regional- und Frachtzüge fahren, in Deutschland ist davon noch keine Rede. Und das, obwohl Siemens in seinen Nahverkehrsprojekten bereits zeigt, dass seine Technik prinzipiell funktioniert.

In Paris und Den Haag arbeiten die Bahnen bereits seit einigen Jahren erfolgreich mit den Assistenzsystem des Unternehmens. Auch in Deutschland fahren vereinzelte Bahnen autonom, sowohl in geschlossenen Verkehrssystemen wie der U-Bahn, als auch im Straßenverkehr: Seit 2008 dreht die autonome U-Bahn in Nürnberg ihre Runden, seit September 2018 sogar die weltweit erste autonome Tram in Potsdam. Die dabei verwendete Technologie, der Tram Assistant, wird im nächsten Quartal auch in Ulm getestet. Doch von Zugverkehrsprojekten spricht noch niemand, auf Nachfrage heißt es auch bei Siemens: Die technologische Ausarbeitung eines automatisieren Zugs sei in großen, offenen Verkehrssystemen komplex, man befinde sich in einem Lernprozess.

Von Zugverkehrsprojekten spricht niemand

Diese Zurückhaltung verwundert auch angesichts der Ankündigung der Deutschen Bahn, die Kapazitäten für den Zugverkehr allein durch die Digitalisierung um 20 Prozent steigern zu wollen. Kay Euler leitet dort das 2018 gestartete Programm Digitale Schiene. Die Bahn, so Euler, sei in absehbarer Zeit durchaus für die Digitalisierung gewappnet. "Wir gehen davon aus, dass wir in den Jahren 2025 bis 2027 technologisch soweit sind, dass man in einem hochautomatisiertem Zustand in dem Netz fahren kann. Das heißt aber nicht, dass wir von einen Tag auf den anderen das komplette Netz umstellen." Die Gründe dafür sieht Euler sowohl in der finanziellen, als auch der rechtlichen Lage des automatisierten Fahrens: Ähnlich wie in der Automobilbranche sei noch nicht endgültig geklärt, wer wann Verantwortung für mögliche Unfälle oder Schäden durch Assistenzsysteme übernehme.

Reinhard Hennes, der Finanzchef des Eisenbahnbundesamtes sieht den Grund für die fehlenden flächendeckenden Einsätze ähnlich wie Euler in der unzureichenden Finanzierung. Allein für das Kernprojekt der Automatisierung - die vollständige technische Umrüstung auf den neuen Standard der Leit- und Sicherungstechnik, ETCS (European Train Control System) - benötige die Deutsche Bahn etwa 2,5 Milliarden Euro jährlich. Im März präsentierte Finanzminister Olaf Scholz (SPD) die Eckpunkte des Haushaltsplans für 2020. Darin sagt er der Deutschen Bahn pro Jahr eine Milliarde Euro zusätzlich für die Sanierung des bestehenden Schienennetzes zu. Aber nur 570 Millionen Euro sollen bis 2023 in die eigentliche Digitalisierung des Schienennetzes fließen.

Das Problem dabei: Vor der eigentlichen Digitalisierung muss zuerst die Infrastruktur vorbereitet werden. 2018 untersuchte eine Machbarkeitsstudie der Unternehmensberatung McKinsey den Investitionsbedarf, um Schienen, Fahrzeuge und Stellwerkstechnik auf ETCS vorzubereiten und umzustellen. Das Ergebnis der Studie, die der Bund selbst in Auftrag gegeben hatte: Insgesamt werden für die komplette Umrüstung 30 bis 35 Milliarden Euro benötigt. Von 2020 bis 2040 wären das durchschnittlich 1,5 Milliarden Euro pro Jahr.

Dass diese komplette Modernisierung überhaupt nötig wird, führt der Vorsitzende der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), Claus Weselsky, auf eine jahrelange Vernachlässigung der Infrastruktur zurück: "Das System hat gelitten. Wir starten an vielen Stellen aus der Vergangenheit, und das, was wir hier erleben, ist nicht nur auf die veraltete Technik zurückzuführen. Sondern darauf, dass wir in den letzten Jahrzehnten bespart worden sind, auf Teufel komm raus."

Nur bei einer Sache sind sich die Branchenvertreter einig: Die Automatisierung wird, wenn auch in kleinen Schritten, kommen. "Menschliches Versagen werden wir nie ganz ausschalten können, deswegen sind unterstützende Systeme nicht nur willkommen, sondern wichtig", fasst Weselsky die Situation zusammen. Eine vollkommen autonome Zugführung hält er aber nicht für nötig: "Bei der Frage, wie weit die technische Innovation geht, ist nicht das Machbare, sondern das volkswirtschaftlich Sinnvolle wünschenswert."

Gerhard Curth vom Bahnkunden- Verband glaubt außerdem, dass viele Kunden gar nicht mit einer vollautomatisierten Bahn fahren wollten, im Gegenteil. "Es gibt Leute, die gesagt haben: Wenn da vorne keiner drinhockt, dann hocke ich hinten auch nicht drin."

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Quelle:
SZ vom 23.03.2019
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