Autonomes Fahren:Auto denkt, Leitstelle lenkt

Autonomes Konzeptfahrzeug smart vision EQ fortwo: So sieht das Carsharing der Zukunft aus

Daimler will 2022 mit der Serienversion der Smart Vision EQ Fortwo sein erstes Robotertaxi in Serie bringen.

(Foto: Daimler AG)
  • Sobald es mit dem autonomen Fahren losgeht, könnten Leistellen die Autos unterstützen.
  • Die Verkehrswächter sollen künftig direkt auf autonome Fahrzeuge zugreifen können, um Liegenbleiber zu vermeiden.
  • Daimler hat mit der Vision EQ Fortwo schon jetzt ein Robotertaxi vorgestellt, das 2022 in Serie gehen soll.

Von Joachim Becker

Als das Auto erfunden wurde, gab es weder Pedale noch Lenkrad. In naher Zukunft könnte es wieder so weit sein. Auf der Internationalen Automobil Ausstellung in Frankfurt (IAA, 14. bis 24. September) besinnt sich Daimler auf seine Wurzeln und räumt den Fahrerarbeitsplatz auf. So gründlich, dass auch der Fahrer verschwindet und vom Computer ersetzt wird: "Mit der Vision EQ Fortwo überträgt Smart die Daimler-Mobilitätsvision 2030+ auf die Stadt der Zukunft", sagt Smart-Chefin Annette Winkler.

Klingt reichlich futuristisch, ist es aber nicht. Der 2,69 Meter kurze Zweisitzer ist mehr als ein aufgebrezeltes Showcar für die Automesse. Nach der Mercedes-Studie F 015 gibt er den nächsten Ausblick auf ein fahrerloses Auto (Level 5), das 2022 in Serie gehen soll.

Vor wenigen Wochen haben Daimler und Bosch bereits das autonome Valet Parking präsentiert. Anfang 2018 wollen die Kooperationspartner ein entsprechendes Pilotprojekt starten. Ein Jahr später könnte das intelligente Parkleitsystem in Serie gehen - und zu einer der ersten Anwendungen für vollautonome Autos weltweit werden: Kunden können per App ein Fahrzeug reservieren, das zur vereinbarten Zeit selbständig am Übergabeplatz vorfährt. Auch die Rückgabe erfolgt per Smartphone-App. Anschließend sucht sich der Wagen in Schrittgeschwindigkeit selbst einen freien Stellplatz.

Der Fortschritt im Kriechtempo wirkt zunächst wenig spektakulär. Doch er ist ein Meilenstein auf dem Weg in die Zukunft. "Wir lernen an dieser Stelle auch viel für das Fahren autonomer Fahrzeuge außerhalb einer Parkgarage", sagt Gerhard Steiger, Vorsitzender Bosch Chassis Systems Control, "stufenweise werden wir das Tempo auf 70 km/h bei den Robotertaxis erhöhen. So ein autonomes Fahrzeug muss dann in der Lage sein, ohne Unterstützung durch die Infrastruktur zu fahren."

Kein serienreifes Robotertaxi vor 2020

Zunächst werden autonome Autos aber noch nicht zu 100 Prozent selbständig sein. "Richtig ist, dass wir vor Anfang der nächsten Dekade kein serienreifes Robotertaxi haben werden", bestätigt Gerhard Steiger. 2019 will Delphi aber fahrerlose Autos in Shanghai auf die Straße schicken, die zur Not fernsteuerbar sind.

Zu den Spielregeln für Roboter-Fahrschüler gehört auch Geo-Fencing, also die Beschränkung auf ein hochgenau dreidimensional vermessenes Einsatzgebiet. Standard ist zudem die Vernetzung mit der Verkehrsinfrastruktur wie Ampeln und anderen Signalanlagen. In Berlin wird gerade ein derartiges digitales Testfeld für automatisiertes und vernetztes Fahren aufgebaut. Zwischen Ernst-Reuter-Platz und Brandenburger Tor werden entlang der Straße des 17. Juni sogenannte Road Side Units installiert: Funkanlagen mit integrierten Sensoren zur Kommunikation mit den Fahrzeugen.

"Der Teufel steckt offensichtlich im Detail"

Schon heute wird der Verkehr vielerorts durch eine Leitstelle kontrolliert. Um Liegenbleiber zu vermeiden, könnten die Verkehrswächter künftig direkt auf autonome Fahrzeuge zugreifen. Diese Vision des teleoperierten Fahrens geistert seit Langem durch die Forschung. Die Idee des automatisierten Parkhauses datiert zum Beispiel zurück auf das Jahr 2011: Zusammen mit dem Berliner Fraunhofer Institut für Offene Kommunikationssysteme hatte Daimler ein "Navigationssystem für das Parkhaus" unter dem Namen E-Valet entwickelt. Per Car2X-Kommunikation wurde das Fahrzeug von einem Zentralrechner durch das Labyrinth gelotst. Hinter dem Steuer saß damals noch ein menschlicher Fahrer, der die Navigationshinweise vom Zentralbildschirm ablas.

"Ich bin erstaunt, dass es sechs Jahre gedauert hat, um aus unserem Projekt ein Produkt zu machen", sagt Fraunhofer-Institutsleiter Dr. Ilja Radusch, "der Teufel steckt offensichtlich im Detail." Tatsächlich muss die intelligente Infrastruktur heute wie gestern eine Menge Fragen beantworten: Ist der weiße Gegenstand auf dem Fahrweg eine Plastiktüte oder womöglich ein Windelkind? Bosch traut sich eine Antwort nicht ohne den Einsatz von Lidar-Scannern im Parkhaus zu. Erst im nächsten Schritt sollen preisgünstigere Hochleistungskameras das Umfeld überwachen. Im Prinzip lassen sich solche Lösungsansätze auch auf den fließenden Verkehr übertragen: "Vollautonome Autos müssen in allen Situationen wie Wind und Regen ohne Fahrer auskommen. Wahrscheinlich brauchen wir daher eine Leitstelle, die sich in kritischen Situationen zuschalten kann", erwartet Ilja Radusch.

Künstliche Intelligenz trifft menschliche Intelligenz

Nissan hat bereits angekündigt, dass es seine autonomen Fahrzeuge mit einer Leitstelle verknüpfen will. Doch eine Hersteller-exklusive Lösung wird auf Dauer zu teuer. Sinnvoller sind markenübergreifende Zentralstellen für teleoperiertes Fahren. Zum Beispiel um Robotertaxis auch in abgelegene Gebiete schicken zu können, die nicht hochgenau kartiert sind und in Echtzeit überwacht werden. Wenn eine Baustelle oder ein umgefallener Baum die Fahrspur versperrt, könnte das System auf Fernsteuerung umschalten. Zu klären ist, welche Bandbreiten nötig sind, um den Zugriff auf alle Sensordaten des autonomen Autos in Echtzeit zu ermöglichen. Erst dadurch könnte die Leistelle die Erlaubnis zur Weiterfahrt erteilen.

Vielleicht genügen aber auch einfachere Infrastrukturmaßnahmen, um Robotertaxis bei Leerfahrten in bekanntem Gebiet intelligent zu steuern. Das Fraunhofer Institut für Offene Kommunikationssysteme hat gerade ein Forschungsprojekt namens "Inframix" vorgestellt. Untersucht werden verschiedene Verkehrsszenarien im Mischbetrieb: Konventionelle und autonome Fahrzeuge sollen zum Beispiel gleichermaßen durch die Fahrbahnverengung vor einer Baustelle geleitet werden. Das Projekt wird von der Europäischen Union bis 2020 mit 4,9 Millionen Euro gefördert. Die Projektpartner BMW, Siemens, Tom Tom sowie der österreichische Straßeninfrastrukturbetreiber Asfinag stocken den Projekt-Etat noch einmal um denselben Betrag auf.

"Insgesamt werden fast 150 Experten an dem Projekt arbeiten. Sie sollen den Verkehr mit autonomen Fahrzeugen erst in einer Simulation testen und dann mit Verkehrsleitsystemen in der Praxis erproben", erklärt Ilja Radusch. Tatsächlich könnte die Simulation noch entscheidender für die Zukunft des autonomen Fahrens sein als die abschließenden Praxistests in Österreich, Spanien und Deutschland. Denn momentan werden viele Verantwortliche in den Kommunen von der rasanten technologischen Entwicklung überrumpelt. "Die meisten Bürgermeister sind thematisch noch weit weg vom autonomen Fahren", sagt Ilja Radusch. Die kommunalen Planer wollen konkrete Berechnungen, wie sich die Robotertaxis auf den Verkehrsfluss der jeweiligen Stadt auswirken werden: Künstliche Intelligenz trifft menschliche Intelligenz. Ausgang offen.

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