Automobiltechnik:Wer braucht schon mehr als vier Gänge?

Vario.Drive-Getriebe von VW

Das Vario.Drive-Getriebe von VW hat nur vier mechanische Gänge, aber auch zwei variable und fünf elektrische Schaltstufen.

(Foto: Volkswagen)
  • Volkswagen entwickelt eine neue Getriebegeneration speziell für Hybrid-Autos.
  • Die Technologie nennt sich Vario.Drive und bietet lediglich vier mechanische Schaltstufen.
  • Damit geht VW einen anderen Weg als viele Konkurrenten, die an ihren Automatikgetrieben mit deutlich mehr Gängen festhalten.

Von Joachim Becker

Am Ende wurde es zweistellig: Bei Automatikgetrieben kennt die Entwicklung seit Jahrzehnten nur eine Richtung - zu immer mehr Schaltstufen. Mit neuen Zehngangautomaten wie im Lexus LS 500 ist das mechanische Optimum nahezu erreicht. Auch VW hatte 2013 ein Zehngang-Doppelkupplungsgetriebe angekündigt. Mit 550 Newtonmetern Drehmoment sollte es Sechszylinder-Modelle auf ein neues Effizienzniveau heben. Doch das Wundergetriebe ging nie in Serie.

Stattdessen kommt Vario.Drive: VW-Konzernforscher haben diese Zukunftsvision des Plug-in-Hybridantriebs vorgestellt - mit lediglich vier Gangstufen. Tobias Boehm, Leiter elektrifizierter Antriebsstrang in der Konzernforschung, arbeitet mit seinem Team seit 2010 an der neuartigen Form der Kraftübertragung. "Mit vier mechanischen, zwei variablen und fünf elektrischen Schaltstufen können wir alle Anforderungen erfüllen", sagt Boehm, "und mit einem zusätzlichen E-Motor an der Hinterachse ist auch ein elektrischer Allradantrieb möglich."

Viele Effizienzfortschritte der letzten Jahre gehen auf das Konto der Getriebe. Auch Vario.Drive soll das Überleben bestehender Fahrzeug-Architekturen sichern. Konkret geht es darum, den Einsatzbereich des elektrischen Antriebs weiter auszubauen, ohne auf die Reichweiten- und Kostenvorteile des konventionellen Motors zu verzichten.

Dank Vario.Drive passen bis zu 150 Kilowatt elektrische Leistung in den vorhandenen Getriebetunnel von heckgetriebenen Fahrzeugen. Aus dem Längsbaukasten unter Entwicklungshoheit von Audi lassen sich also mit überschaubarem Aufwand sparsame Teilzeitstromer entwickeln. Während bisherige Plug-in-Hybride die kompletten Komponenten und Kosten einer Verbrenner- und einer Elektroplattform kombinieren, soll Vario.Drive beim Gewicht und vor allem bei den Kosten abspecken, um die Elektromobilität voranzubringen.

VW verzichtet auf eine energiezehrende Hydraulik

"Ob getrieben durch die Gesetzgebung oder durch den Fahrspaß: Die Elektrifizierung wird die Zukunft der Antriebstechnik signifikant verändern", ist Mario Brunner von der AVL List GmbH überzeugt. Bei Vario.Drive teilen sich mechanische Schaltelemente den knappen Bauraum mit einem vollwertigen Elektromotor im hinteren Getriebeteil. Durch die Möglichkeit, das Fahrzeug auch an der Steckdose zu laden, werden selbst schwere Autos im neuen WLTP-Testzyklus zu Umweltengeln. Dafür wird im Getriebeaufbau auf eine energiezehrende Hydraulik verzichtet. Mit Planetenradsatz (ähnlich wie bei den Hybriden von Toyota und Lexus) und Klauenkupplungen können die Entwickler hohe Leistungen bei gleichzeitig kompakterer Ausführung und verbessertem Wirkungsgrad realisieren.

Schon 2005 hatte BMW eine Kooperation mit Daimler und General Motors gestartet, um gemeinsam den Lexus-Vorsprung bei Hybrid-Autos aufzuholen. Anders als bei den Japanern (und bei Vario.Drive) ließ sich das sogenannte "Two-Mode-Hybrid-System" mit seinem direkten mechanischen Durchtrieb schon damals für den Allradantrieb von schweren SUV nutzen. Doch letztendlich war das Hightech-Getriebe viel zu teuer.

Der chinesische Markt treibt die Entwicklung voran

Jetzt stehen die Vorzeichen besonders in China auf Elektrifizierung - und auf Entfeinerung der Kraftübertragung. Ähnlich wie Toyota und Lexus entwickeln einige Unternehmen dort neue Antriebsstränge exklusiv für Hybridmodelle. Schaeffler-Entwicklungs-Chef Peter Gutzmer lässt durchblicken, dass der Zulieferer eine entsprechende Hybridgetriebe-Lösung mit vier Gängen vorbereitet.

Fachleute sprechen von Dedicated Hybrid Transmission (DHT), was sich mit einer maßgemachten Kraftübertragung für Hybride übersetzen lässt. Vorteil dieser Lösung: Der Elektromotor kann bei Leistungsspitzen einspringen und die Drehzahl des Verbrenners butterweich an die Betriebsbedingungen des Fahrzeugs anpassen. Idealerweise wird der Verbrenner also als sparsamer Stationärmotor betrieben oder er macht gleich ganz Pause.

BMW entwickelt lieber sein Achtganggetriebe weiter

Auch Jörg Grotendorst, Leiter E-Mobility beim Zulieferer ZF, gibt zu, dass intern intensiv darüber diskutiert werde, ob ein Getriebe wie Vario.Drive Sinn mache. "Wir haben intensiv untersucht, was das richtige Verhältnis zwischen Batteriegröße und Verbrenner ist." Weil das Marktvolumen im Hybrid-Segment aber schwer vorherzusehen sei, scheuten viele Autohersteller das Risiko einer kompletten Getriebe-Neuentwicklung. "So lange die Anforderungen an die Fahrdynamik hoch bleiben und die Kunden keine Abstriche durch die begrenzte Verfügbarkeit der Batterie machen wollen, brauchen wir den Verbrennungsmotor immer noch über das gesamte Leistungsspektrum", glaubt Bernd Stockmann. Der Divisionsleiter Car Powertrain Technology bei ZF dämpft deshalb allzu große Erwartungen: "Wir sehen die erforderliche Anzahl der Gänge weiterhin bei mindestens sechs."

Ergibt das DHT also für Autohersteller wie BMW überhaupt Sinn? Die Münchner haben Hybrid-Prototypen mit Verbrenner und großer Batterie gezeigt, zögern aber offensichtlich, ihre erfolgreichen Achtgangautomaten komplett zu ersetzen. "Die Anforderungen für die nächste Fahrzeuggeneration, die wir kennen, gehen nicht in die Fläche mit Dedicated Hybrid Transmission", stellt Stockmann klar. Deshalb wird auch die Achtstufenautomatik weiterentwickelt. Statt des Wandlers werden bei Plug-in-Modellen schon heute Elektromotoren eingesetzt. Künftig soll je nach Stromlage von 20 bis über 120 Kilowatt Leistung in den Getriebekopf integriert werden. Das System ist zwar aufwendig, bleibt durch die hohen Stückzahlen des Standardgetriebes aber bezahlbar.

VW hat dagegen schon mit selbst gebauten Doppelkupplungsgetrieben gezeigt, wie sich neue Standards etablieren lassen. Ab Ende des Jahrzehnts soll Vario.Drive den Erfolg wiederholen.

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