Automobile Zukunft:Uns erwartet eine schrecklich schöne Autowelt

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Wie die Konzeptstudie F 015 stellt sich Mercedes das Luxusauto der Zukunft vor. Eine realistische Vision? (Foto: Daimler AG)

Autonomes Fahren, E-Fahrzeuge, Carsharing, die totale Vernetzung - und Google und Apple spielen auch mit: Die Mobilität wandelt sich gerade von Grund auf. Unser Autor blickt voraus.

Essay von Georg Kacher

Noch dreieinhalb Jahre, dann werden die CO₂-Limits in Europa verschärft, und damit beginnt die nächste Phase der mobilen Revolution. Noch neun Jahre sind es bis zur großen Flatter - trotz des jüngsten CO₂-Rückziehers der US-Regierung: Schwer erreichbare Schadstoff-Grenzwerte und ein Verbrauch von fünf Liter auf 100 km sollen den Weg schlussendlich zur Nullemission bahnen. Noch knapp zwanzig Jahre, bis die Brennstoffzelle den Stromer überholen soll und sich das Ozonloch endlich wieder schließt. Das werden spannende Zeiten - nicht nur für die Verbraucher, sondern auch für die zahlreichen Protagonisten der zunehmend komplexen Wertschöpfungskette.

Autofahren wandelt sich zum Gefahrenwerden, Autonutzen läuft Autobesitzen den Rang ab, Autotanken wird zum Kräftemessen zwischen Steckdosen-David und Zapfsäulen-Goliath. Der Kunde muss entscheiden, ob und wann er mitspielen will, wie hoch der Einsatz sein darf, und welche Erwartungen zu erfüllen sind. Aktuell gewährt billiger Sprit den in fette SUV eingebauten Verbrennern Karenz und beschert damit in Amerika Innovations-Nachzüglern wie dem Fiat-Chrysler-Konzern (FCA) noch einmal volle Kassen. China, der inzwischen weltgrößte Automarkt, hat sich dagegen längst der Elektromobilität verschrieben. Europa wartet ab oder geht wie Norwegen und Holland eigene progressive Wege.

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Wie wäre es mit einer deutschen IG Automobil?

Die Automobilindustrie weiß, dass dieser Paradigmenwechsel im Alleingang kaum zu stemmen ist. Man müsste konsolidieren, aber man sträubt sich: Mercedes glaubt, dadurch Wettbewerbsvorteile abzusichern; BMW sucht sein Heil in Kooperationen mit Dritten wie Intel und Mobile Eye; Audi will sich im Konzern markenspezifische Freiräume erkämpfen.

Das mag heute, wo viele Technologien noch in den Kinderschuhen stecken, der Suche nach dem späteren Königsweg dienlich sein. Aber schon der nächste Schritt funktioniert viel geschmeidiger im Team. Gemeint ist die Entwicklung standardisierter Algorithmen, Strukturen, Portale, Logiken, Apps und Komponenten. Wie wäre es mit einer IG Automobil, von der Regierung unterstützt und vom Autobauer-Verband VDA gemanagt, als konzertierte Aktion gegen schwer fassbare Gegner wie Big Data und die Chinesen?

Parkplatzsuche, Wertverlust, Fixkosten - alles kein Thema mehr

Die Babyboomer, inzwischen oft mit grauen Schläfen und Bauchansatz unterwegs, wollten besitzen, selber fahren, das Auto auch als Prestige- und Lustobjekt genießen. Doch schon die nächste Generation denkt pragmatischer und weniger emotional. Im Rahmen der Urbanisierung fallen immer mehr Zweitautos weg, ersetzen On-Demand-Anbieter wie car2go (Mercedes) und Drivenow (BMW) die eigenen vier Räder, machen neue Fahrdienste wie Uber und Lyft den Weg von A nach B noch problemloser und günstiger. Parkplatzsuche, Wertverlust, Fixkosten - alles bald kein Thema mehr. Sogar Auto zum Nulltarif nutzen, dürfte zumindest in den Ballungszentren in zwei, drei Jahren keine Utopie mehr sein, denn ausgefuchste Dienstleister wie Google machen allein durch das Verwerten von Kundendaten Milliarden.

Diese neuen Mobilitätsmuster sind zunächst zugeschnitten auf junge Leute im städtischen Umfeld. Ältere Nutzer und die Landbevölkerung werden sich nicht so leicht bekehren lassen und an Mischformen festhalten: Oldtimer am Wochenende, Verbrenner als Erstwagen, E-Auto erst dann, wenn alle Kosten- und Funktionsnachteile eliminiert sind.

Hände weg, Augen weg, Hirn weg

Was sämtliche User-Profile eint, ist der Stau, in dem sich fast jeder irgendwann die Frage stellt, ob man den Stop-and-go-Stress nicht durch Lesen, Arbeiten, Surfen oder Entspannen abbauen könnte. Der erste, für 2021 avisierte Schritt dorthin ist das halb autonome Fahren - Hände weg, Augen weg. Nur vier Jahre später rechnen Trendscouts mit dem Debüt der voll autonomen Autos - Hirn weg. Sobald diese Technik zuverlässig funktioniert, werden immer weniger Anwender selbst das Steuer in die Hand nehmen wollen.

Spätestens dann, wenn Kunden sich in dieses Cocooning-on-Demand-Programm einloggen können, müssen die Designer dem Innenraum mindestens soviel Aufmerksamkeit widmen wie dem Exterieur. Das fahrerorientierte Cockpit mutiert dabei zum Lounge-Konzept, die Bedienung erfolgt fast ausschließlich per Spracheingabe, gefahren und geparkt wird vollautomatisch dicht an dicht. Jetzt schlägt die große Stunde von Big Data und speziell von Google, das sich die Poleposition im Rennen um die Aufmerksamkeit und das Portemonnaie des Nutzers sichern will.

Dabei verweisen die Amerikaner gern auf die künstliche Intelligenz, mit der sie jede Metropole bis ins kleinste Detail erfasst haben und so totale Sicherheit in Aussicht stellen. Im Gegenzug hätte man gerne möglichst viele Kundendaten, doch die will oder darf der Hersteller nicht Preis geben. Noch dichter am Produkt arbeitet Apple. Der Computer-Riese steckt rund acht Milliarden Dollar in sein voll vernetztes iCar, das so intuitiv zu bedienen sein soll wie das aktuellste Smartphone.

Die neuen selbstdenkenden, selbstfahrenden Raumkapseln sind keine No-Name-Roboter, sondern moderne Transportmittel mit spezifischen Eigenschaften. Sie funktionieren im Verbund als Taxis oder Schwarm, sind entsprechend konfiguriert, voll langstrecken-tauglich, lassen den Fahrer ans Steuer oder außen vor, machen auf Cruiser oder Racer.

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Durchbruch des E-Autos? Nicht vor 2019

Die Budget-Versionen mögen entfernt an die Kargheit des ÖPNV erinnern, doch die Premium-Modelle punkten mit Premium-Service. Und zwar in Form von voll vernetzten, lernfähigen Fahrzeugen, die ihre Nutzer in- und auswendig kennen, jede Verkehrssituation jederzeit im Griff haben und fix den digitalen Datenfluss verarbeiten. Mehr Premium kann man sich per Mausklick dazukaufen: zum Beispiel mehr Batterie-Power für die nächste Autobahn-Etappe, ein vergleichbares Fahrzeug bei der Ankunft am Zielflughafen, den gewünschten Slot an der Schnellladestation, oder einen Platz im ferngesteuerten Konvoi nach Italien am ersten Ferienwochenende.

Der Fantasie sind kaum Grenzen gesetzt, doch vor 2019 verhindern schon das dünne Angebot und die lückenhaften Rahmenbedingungen den großen E-Auto-Durchbruch. In Amerika gibt es aktuell 285 Tesla-Stationen mit mehreren Ladesäulen, aber immer noch 70 000 Tankstellen, in Europa nuckelt sich eine 100-kWh-Batterie in rund 18 Stunden am Haushaltsstrom von leer auf voll, in China macht der Strommix mit seinem hohen Kohlekraftwerks-Anteil das BEV schon heute zur Farce. Außerdem steht und fällt das E-Auto mit der Ladeinfrastruktur und dem Preis-Leistungs-Verhältnis, bei dem die staatliche Förderung nur eine Nebenrolle spielt.

E-Mobilität und autonomes Fahren marschieren fast im Gleichschritt

Doch sobald die Voraussetzungen gegeben sind, werden die Konversionszyklen immer schneller. Obwohl Experten die Kosten für die Vernetzung Deutschlands mit öffentlich zugänglichen 220-V- und 400-V-Steckdosen mit nur rund 200 Millionen Euro veranschlagen, will die Autoindustrie nicht in Vorleistung gehen - clevere Entscheidung oder verpasste Chance?

Wenn man CO₂-neutral hergestellten Ladestrom zugrunde legt, müsste der BEV-Anteil 2025 mindestens 30 Prozent betragen. Weil wir bis dahin auf ein schnelles und stabiles 5-G-Internet zurückgreifen können, marschieren Elektromobilität und autonomes Fahren fast im Gleichschritt. Die Stromer mit dem siebten Sinn sind in manchen Details trotzdem deutlich weniger komplex als zum Beispiel ein aktueller Audi A5, denn sie werden nicht mehr von 85 Steuergeräten befehligt, sondern von einem einzigen Zentralrechner plus Back-up-Einheit.

Obwohl der Schwarm sein stetig wachsendes Wissen speichert und weitergibt, fehlt bis dato ein stabiler Industriestandard zur Verarbeitung dieser sicherheitsrelevanten Daten. So ist am Ende doch jedes Auto für sich selbst und sein Umfeld verantwortlich. Trotz der vielen Kameras und Sensoren ist der wirklich beherrschbare Korridor nur rund drei Meter breit und 100 Meter lang - wenig Freiraum, viel Freiheit.

© SZ vom 13.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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