Automobile Trends:Da kommt was auf uns zu

Am Vorabend des Autosalons in Genf ist eine Standortbestimmung der Autowelt ebenso angemessen wie ein Ausblick auf die kommenden Jahre. Zehn Trends die eine Branche bestimmen werden, deren einzige Konstante die stete Veränderung ist.

Georg Kacher

Premium-Offensive in der Kompaktklasse

Prestige ist die halbe Miete, Größe allein zählt immer weniger, hochwertige Inhalte und Top-Design sind entscheidende Kaufargumente. Deshalb steckt Mercedes teure S-Klasse-Technik nicht nur in die A- und B-Klasse, sondern auch in CLC (kleines viertüriges Coupé), GLC (kleiner Crossover) und in einen kompakten Shooting Brake.

Audi erweitert die A3-Palette um eine Sportlimousine, plant ein A1 Rolldach-Cabrio und einen Q2 Soft-Roader, ergänzt die mit A1 und RSe gestartete E-tron-Offensive um den neuen A2.

BMW verabschiedet sich sogar vom Heckantrieb und entwickelt mit Mini eine sportliche Frontantriebsarchitektur für den Einser GT Minivan, den Einser Touring und ein zwei- oder viertüriges Einser Pendlermodell.

Die große Herausforderung besteht darin, mit diesen Autos genug Geld zu verdienen, um das große Know-how-Rad in allen Segmenten zügig weiterdrehen zu können. Zu diesem Zweck schließt sich Mercedes mit Renault/Nissan/Infiniti kurz, BMW unter anderem mit PSA, Audi bedient sich im Teile- und Konzeptfundus des Mutterkonzerns VW.

Schwere Zeiten für die Japaner

Der Tsunami und die Katastrophe von Fukushima haben die einheimische Autoindustrie stark gebeutelt, doch die Ursachen für die Talfahrt liegen anderswo. Der übersättigte Binnenmarkt nimmt immer weniger Fahrzeuge ab, das Geschäft in den USA und in der dritten Welt wirft kaum Geld ab, der China-Boom kam für manche Hersteller zu früh, in Südamerika sind japanische Anbieter nur schwach vertreten.

Das Resultat ist eine teilweise kapitalschwache Industrie ohne globale Netzwerkpartner. Subaru hängt am Tropf von Fuji Heavy, Mitsubishi wäre ohne die gleichnamige Bank längst mausetot, Suzuki hat sich durch die Querelen mit VW selbst ins Abseits manövriert, Mazda muss nach der Trennung von Ford nun allein klarkommen.

Bleiben die "Großen Drei". Toyota zehrt noch von den fetten Jahren, Nissan macht mit Renault gemeinsame Sache, Honda pflegt sein bröckelndes Underdog-Image. Doch selbst die Marktführer bauen allzu oft anonyme Transportmittel mit lieblosen Innenräumen, unverbindlicher Dynamik und biederem Design. Was das Land braucht, sind neue Fixsterne vom Schlag eines Toyota Prius, Nissan GT-R, Mazda RX-8, Mitsubishi Evo X - und gute Volumenmodelle.

Auto-Design in der Sackgasse

Bruno Sacco für Mercedes, Walter de'Silva für Alfa, Claus Luthe für BMW - das waren noch Zeiten. Inzwischen ist es schwierig geworden, einer Marke durchgängig gelungenes Stilempfinden zu attestieren. Aston Martin, Kia und Landrover sind dicht dran, aber die großen Namen patzen immer öfter. Warum?

Weil Architektur und Proportionen überlagert werden von ornamental-dekorativen Elementen. Das LED-Feuerwerk trübt ebenso die Optik wie die Singleframe- und Plaketten-Kühler, die Toronado- und Charakterlinien, die Glanzschwarz-Schwemme und die Chrom-Inflation. Weil fast jede Marke ihre eigene Stilfibel installiert hat, die kaum ein neues Modell ohne markant-kontroverse Must-haves in die Serie entlässt, endet so manches vielversprechende Projekt in der Grillfalle oder im Fugengrab.

Nicht einmal mehr auf die Konstanten von gestern ist heute Verlass. BMW übt sich abgesehen vom Fünfer in gefälliger Beiläufigkeit, Audi hat den A/Q/R-Baureihen einen statischen Einheitslook verordnet, Mercedes steckt im Formschluss aus Flamboyanz und Effekthascherei. Wieder im Kommen sind Renault, Volvo, Seat, Cadillac. VW macht auf zeitlos und wertig, Opel sucht und findet die goldene Mitte, Ford verwechselt schon mal modisch mit modern.

Koreaner auf dem Siegeszug

Plus 18,6 Prozent für Kia im abgelaufenen Jahr, plus 12,4 Prozent für Hyundai. Gemeinsam kletterten beide Marken 2011 auf Platz fünf der weltweit größten Automobilkonzerne. Außerdem stieg der Gewinn auf ein neues Rekordniveau - allein Hyundai verdiente mehr als 5,5 Milliarden Euro. Nach 6,6 Millionen Fahrzeugen 2011 wollen Hyundai-Kia in diesem Jahr erstmals die Sieben-Millionen-Schallmauer durchbrechen.

Während die meisten Anbieter in Europa kaum noch zulegen, gelang Hyundai Deutschland im Januar ein Absatzplus von 51 Prozent. Nur eine Eintagsfliege? Keineswegs. Die Kia-Neuzulassungen stiegen sogar um 132 Prozent. Das Wachstum steht auf einem relativ soliden Fundament, denn mit jedem Modellwechsel verbessern die Koreaner die Qualität, das Design und die Technik.

Inzwischen besteht nur noch bei der Fahrdynamik Nachholbedarf. Gleichzeitig wird das Angebot zügig erweitert. Kia will den Soul zur kompletten Lifestyle-Familie nach Mini-Vorbild ausbauen; Hyundai denkt über eine Genesis-Luxusmarke nach Art von Lexus nach.

Neue Marken mit Startproblemen

Noch stecken sie in den Kinderschuhen, die Newcomer der Autobranche. Tesla und Fisker werden auf dem Weg zum erschwinglichen Hybrid immer wieder von Kurzschlüssen zurückgeworfen, Tata ist mit seinen rudimentären Automobilen genauso wenig Europa-tauglich wie der geplante 3000-Euro-Kleinwagen von Dacia und Renault, die chinesischen Anbieter Qoros und Geely stehen mit ihren Weltauto-Plänen erst ganz am Anfang, auch Coda und Next Autoworks kommen mit ihren umweltfreundlichen US-Billigmobilen kaum in die Gänge.

Klar, dass neue Marken es schwer haben in Zeiten wie diesen, wo selbst große Namen vom Markt verschwinden - siehe Oldsmobile, Saturn, Plymouth und Saab. Diese Liste lässt sich verlängern: V-Vehicle und Aptera wurden bereits liquidiert, Next und Coda sind auf Geld von der US-Regierung oder auf Rettung aus China angewiesen, und auch europäische Hoffnungsträger wie Mindset oder Venturi haben die Erwartungen bislang nicht erfüllt. Woran es liegt? Am Produkt, am Vertrieb und, nicht zuletzt, an der etablierten Konkurrenz.

Karussell der Kooperationen

Übernahmen wie der Fiat-Chrysler-Deal sind eher die Ausnahme. Zusammenarbeit statt Ausverkauf heißt stattdessen die Devise. Das betrifft nicht nur die Großserienhersteller, sondern auch die Premiummarken, die stets auf der Suche nach kostensenkenden Stückzahlen sind. Nur Audi kann sich den Luxus leisten, Freier links liegen zu lassen, denn im Zweifelsfall besorgt der Mutterkonzern VW die Synergieeffekte.

Mercedes hat in Eigenregie den MFA-Frontantriebsbaukasten für A- und B-Klasse auf die Räder gestellt, doch die kleinen Motoren stammen von Renault, und auch Infiniti will mittelfristig in die MFA-Familie einheiraten. In einem zweiten Schritt soll MFA mit den Kompaktwagen-Architekturen von Renault und Nissan zusammengelegt werden, was das Stückzahlgerüst auf 1,5 Millionen Fahrzeuge aufstockt.

BMW baut mit PSA sparsame Vierzylinder und will auch in Sachen Hybrid gemeinsame Sache machen. Trotzdem haben die Münchner Ende 2011 einen Kooperationsvertrag mit Toyota geschlossen, der alternative Antriebskonzepte im Tausch gegen Diesel-Know-how vorsieht. Der punktuelle Schulterschluss mit GM betrifft die Brennstoffzelle und den Range Extender. Kein glückliches Händchen hat BMW mit den Motorenlieferungen an Carbon Motors (Kreditzusage fehlt), Saab (Marke ist insolvent) und Fisker (der Nina-Anlauf verzögert sich).

Das autonome Fahren kommt

Unbemannte Kampfjets, künstliche Intelligenz am Steuer von Automobilen - das ist die Zukunft, ob wir wollen oder nicht. Fahrzeug denkt, Fahrzeug lenkt, Fahrzeug bremst und beschleunigt. Das alles wird möglich sein, sobald entsprechende Systeme samt Redundanzen serienreif sind - und sobald die Produkthaftungs- und Akzeptanzhürden genommen sind.

Als Voraussetzung für autonomes Fahren gilt die Erfassung aller Fahrbahnen und Fahrzeuge. Mit Hilfe von Kameras, Radar- und Infrarotstrahlen sowie ausgeklügelter Sensorik werden selbst Utopien wie der aktive Lenkungseingriff oder die automatisch eingeleitete Verzögerung plötzlich Realität. Im Versuch wurden bereits folgende Fahrsituationen simuliert: Autobahn-Kolonnenverkehr mit knappem Sicherheitsabstand bei Richtgeschwindigkeit, automatische Spurführung, selbsttätiges Überholen/Spurwechsel, Erfassen von Querverkehr und Gegenverkehr, Einhaltung der Vorfahrtsregelung auch an mehrspurigen Kreuzungen/Einmündungen. Alles nur Zukunftsmusik? Keineswegs. In spätestens zehn Jahren ist es so weit.

Von vielem immer weniger

Downsizing ist in, und zwar in allen Preis- und Leistungsklassen. Bei Bentley heißt das V8 statt W12, bei Mercedes V6 statt V8, bei BMW Vierzylinder statt Sechszylinder, bei VW Drei- statt Vierzylinder. Nur Smart bleibt beim Zweizylinder. Trotzdem existiert auf dem Papier längst auch das Einzylinder-Auto - und zwar als Billiglösung für Schwellenländer.

Gleichzeitig mit den Zylinderzahlen sinken die Einheits-Hubräume auf maximal 500 cm3. Um Sprit zu sparen, wird immer öfter jeder zweite Zylinder im Teillast- und Schiebebetrieb ausgeblendet. Die neuen Aggregate werden in immer leichtere Autos eingebaut. Effizientere Werkstoffe, innovative Fügetechniken, vormontierte Module, neu gestaltete Architekturen und optimierte Bauteile senken das Gewicht.

Dem gleichen Zweck dient die Miniaturisierung von E-Motoren, Klimakompressoren und Batterien. Die weiterentwickelte Bordelektronik steuert energiesparende Fahrprogramme wie Segeln oder stufenweises Rekuperieren. Ebenfalls im Kommen: variable Verdichtung, voll variable Ventilsteuerung, variables Hubvolumen statt über Nockenwellen einzeln elektronisch angesteuerte Ventile, noch höhere Einspritzdrücke, sequentielle Aufladung, Reibleistungsoptimierung, effizientere Gemischbildung.

Zukunft mit Ladehemmung

Die Zukunft der alternativen Antriebe hängt von den Rahmenbedingungen ab. Dazu fallen uns 15 offene Fragen ein.

Wird Kauf und Betrieb staatlich gefördert? Kann mit billigem Strom aufgeladen werden? Übernimmt der Hersteller das Risiko in Bezug auf die Leistungsfähigkeit und Alterung der Batterie? Muss man kaufen - oder kann auch geleast werden? Dürfen im E-Betrieb Sperrzonen befahren, Busspuren genutzt und Sonderparkplätze angesteuert werden? Wann gibt es in Ballungszentren und an Autobahnen Schnellladestationen?

Wann ist mit einer flächendeckenden Wasserstoff-Infrastruktur zu rechnen? Wann startet die nächste Batterie-Generation - und wie viel leichter, leistungsfähiger, teurer ist sie? Wie schnell wächst das Netz öffentlicher Ladesäulen? Wann kommt die Induktionsladung? Wird sich die Wechselbatterie nach dem System Better Place durchsetzen?

Ist der Vollhybrid mehr als eine schwere und teure Zwischenlösung? Hat der Range Extender Zukunft, oder wartet man besser auf den Plug-in-Hybrid? Welche politischen und ökonomischen Einflussgrößen beschleunigen oder verzögern die Einführung der Elektromobilität? Sind Benziner und Diesel bis auf weiteres nicht doch die erste Wahl - auch in Hinblick auf eine ehrliche CO2-Bilanz?

Diktat der Assistenten

Als Mercedes 1987 ASD und ASR eingeführt hat, ging ein Aufschrei durchs Land - Entmündigung! 25 Jahre später steigen wir freiwillig in kein Auto, das nicht über ein elektronisches Stabilitätsprogramm verfügt. Keine Frage, der Siegeszug der Assistenzsysteme ist nicht aufzuhalten. Im Gegenteil: Die Elektromobilität wird das Thema weiter anheizen, denn wo bis zu vier verschiedene Antriebsquellen walten, braucht es neben dem Traktionsassistenten auch einen Torque-Vectoring-Assistenten, der - by wire - Fahrdynamik und Fahrsicherheit auf einen Nenner bringt.

Nach Bremsassistenten, Parkassistenten und Totwinkelassistenten erwarten wir den mitlenkenden Spurfolgeassistenten, den bis 60 km/h selbsttätig beschleunigenden Staufolgeassistenten, den Nachtsichtassistenten mit Wildwechselwarner, den mit LED-Pixeln arbeitenden Fernlichtassistenten, den per Stereokamera vorausschauend dämpfenden Komfortassistenten und den als aktiven Kollisionsverhinderer ausgelegten Lenkassistenten. Schöne neue Elektronikwelt? Mag sein. Doch was uns zu unserem Glück fehlt, ist der Bräunungsassistent in Form einer Infrarot-Innenleuchte.

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