Automatisiertes Fahren:Bequem chauffiert - oder ferngesteuert ins Verderben?

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Bis der Roboter das Steuer vollständig übernimmt, dauert es noch ein wenig. Dennoch steht der Technologiewandel kurz bevor. (Foto: Daimler AG)

Tesla will uns glauben machen, dass der Computer schon jetzt besser fährt als der Mensch. Das ist zwar falsch, aber der Technologiewandel steht unmittelbar bevor.

Analyse von Joachim Becker

Der tödliche Unfall mit dem Tesla-Autopiloten wird zum Fanal. Während Kritiker das automatisierte Fahren insgesamt infrage stellen, bemühen sich die Autohersteller um Schadensbegrenzung: "Nach unserer Einschätzung lässt der heutige Stand der Technologie noch keine Serienfahrzeuge zu, die im Straßenverkehr automatisch und ohne Unterstützung des Fahrers sicher fahren können", stellt ein BMW-Pressesprecher klar.

Tesla argumentiert mit über 100 Millionen Meilen, die Zehntausende von Fahrern weltweit mit dem Autopiloten zurückgelegt hätten: Die Masse der internen Daten belege ein hohes Sicherheitsniveau, wenn das Assistenzsystem richtig (also mit den Händen am Steuer) bedient werde: "Es ist eine Tatsache, dass die Schwelle 'Besser als der Mensch' überschritten wurde", beteuert Tesla in einem Blog-Eintrag vom 6. Juli. Der Todesfall sei eine "statistische Unvermeidbarkeit" auf dem Weg zu mehr Sicherheit im Straßenverkehr. Im Übrigen ließen sich alle Probleme mit dem Software-Update 8.0 beheben, das Tesla-Boss Elon Musk für Ende 2016 ankündigt.

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Tesla-Kunden als unbezahlte Testfahrer

Hat Tesla den Autopiloten bisher mit einem unfertigen Software-Stand ausgeliefert? Dieser Frage geht das Kraftfahrtbundesamt momentan nach. Elon Musk stellte am vergangenen Wochenende klar, dass wenigstens eine Milliarde Meilen nötig seien, bevor der Autopilot von der Beta-Testversion zum Original-Equipment heraufgestuft würde. Demnach fungieren die aktuellen Kunden als unbezahlte Testfahrer, die dem Autopiloten mit ihren Fahrdaten zur Serienreife verhelfen. Ob dieses Verfahren zulässig ist, müssen nun die Behörden entscheiden.

Außer Frage steht bisher nur, dass Fahrerassistenzsysteme einen eingeschränkten Wirkungsbereich haben. Auf der Skala von null (keine Assistenzsysteme) bis fünf (fahrerloses Auto) befinden wir uns momentan erst auf dem Level 2. Der Tesla kann zwar lenken, bremsen und Gas geben, doch der Fahrer muss jederzeit die Kontrolle behalten. Erst auf der nächsten Stufe kann er seine Aufmerksamkeit zeitweise vom Verkehrsgeschehen abwenden. Besser als der Mensch ist das Auto selbst auf diesem Level 3 noch nicht: Der Fahrer muss als Rückfallebene innerhalb von rund zehn Sekunden bereitstehen, wenn das System an seine Grenzen kommt.

90 Prozent aller Unfälle gehen auf Fahrfehler zurück

Menschen sind als Generalisten hinter dem Steuer noch unübertroffen. Sie finden sich auch im mitunter chaotischen Stadtverkehr zurecht und können sich in andere Fahrer reinversetzen oder zumindest Augenkontakt mit ihnen aufnehmen. Der Blutzoll von weltweit 1,25 Millionen Verkehrstoten jährlich zeigt aber, wie ablenkbar Fahrer sind. Rund 90 Prozent aller Unfälle gehen auf Fahrfehler zurück. Ohne eine weitere Verbreitung von Assistenzsystemen wird auch die Zahl der Verkehrsopfer in Deutschland kaum sinken.

Fahrerassistenzsysteme könnten heute fast die Hälfte aller Unfälle vermeiden. Bislang sind jedoch nur etwa 15 Prozent der Neuwagenkäufer in Deutschland bereit, mehr Geld für die aktive Sicherheit auszugeben. Statt eines automatischen Notbremssystems oder eines vorausschauenden Tempomaten ordern sie lieber Sitzheizung, Metalliclackierung oder größere Räder.

Noch scheut sich die Politik, aktive Sicherheitssysteme über den Schleuderschutz ESP hinaus verpflichtend vorzuschreiben. Ein Wegbereiter ist Mercedes mit dem radarbasierten Abstandswarner als Serienausstattung für alle Pkw der Marke. Der Euro-NCAP-Crashtest wird bis 2020 auch einen Kreuzungsassistenten in die Wertung aufnehmen. Er hätte den tödlichen Tesla-Unfall höchstwahrscheinlich vermeiden können.

Die hohe Nachfrage nach Teslas Autopiloten zeigt aber, dass zumindest in der Oberklasse viele Kunden an einem System interessiert sind, das nicht nur die Sicherheit, sondern vor allem den Fahrkomfort erhöht. Für 2800 Euro (oder 3300 Euro bei nachträglicher Aktivierung per Software-Update) bündelt der Autopilot verschiedene Assistenzsysteme.

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Bei Autos steht der Technologiewandel unmittelbar bevor

Bisher ist allerdings nur Tesla auf die Idee gekommen, Parkpiepser, die fünf Meter weit reichen, auch für automatische Spurwechsel auf der Autobahn zu verwenden. Auch ein Radarsystem, das den querenden Lastwagen laut Tesla für ein Straßenschild hielt, zeigt vor allem eines: Wir brauchen eine bessere Bordelektronik, die ihre Sensordaten zu einem Umfeldmodell fusionieren und verantwortungsvoll agieren kann.

Die Frage ist also nicht ob, sondern wann und in welchen Schritten Autos zu intelligenten Maschinen werden. An Computer, die Schachweltmeister schlagen, haben wir uns längst gewöhnt. Auch Mobiltelefone ohne Apps mit festen Tasten und kleinen Bildschirmen verkaufen sich heute kaum noch. Der Handy-Weltmarktführer Nokia verschlief den Trend zu Streicheltablettchen und verschwand in wenigen Jahren von der Bildfläche. Bei Autos steht der disruptive Technologiewandel unmittelbar bevor: "Das autonome Fahren wird die Automobilbranche in den nächsten Jahren mehr verändern als alle anderen Themen", sagt Ricky Hudi, Audis oberster Entwickler für Elektrik und Elektronik, "statt Ende des nächsten Jahrzehnts werden die ersten dieser Systeme schon Anfang des nächsten Jahrzehnts kommen."

Autonome Fahrzeuge versprechen eine bedarfsgerechte Mobilität

Die digitale Revolution wird unser Verhältnis zum Auto grundlegend wandeln: Warum ein Fahrzeug kaufen, das 23 Stunden pro Tag ungenutzt rumsteht, rasant an Wert verliert und technisch veraltet, wenn man stattdessen stets ein neues haben kann? Und warum sollte uns das Auto nicht an der Tür abholen? "Es gibt künftig eine Premium-Flatrate für vielleicht 1500 Euro pro Monat. Dafür kann der Kunde alle Modelle eines Anbieters nutzen. Er kann sie wenige Tage im Voraus buchen - passend zu seinem Bedarf. Zum Beispiel einen großen Wagen für den Familienausflug oder ein Cabrio für das Wochenende. Die Autos kommen vollautonom zu ihm - und fahren nach der Nutzung selbständig zum Reinigen und Tanken zurück ins Depot", sagte Ricky Hudi jüngst auf dem Kongress für Autoelektronik in Ludwigsburg. Das ist die Luxusvariante. In Großstädten könnten zirkulierende Robotertaxis den fahrerlosen Transport kostengünstiger machen als ein eigenes Auto.

Bevor wir Fahrzeuge mit ein paar Klicks herzitieren können, muss sich die Bordelektronik allerdings komplett wandeln. Bisher sind die Sensoren und bis zu hundert Steuergeräte über das ganze Bordnetz verteilt. Künftig muss die historisch gewachsene und entsprechend unflexible Elektronikarchitektur schrittweise durch Zentralrechner (unter anderem für Sicherheit, Antrieb und Infotainment) ersetzt werden.

Die Rechenleistung dafür steht dank der Smartphones bereits zur Verfügung. Während Teraflop-Supercomputer früher Säle füllten, passen sie heute auf einen Fingernagel. Entsprechend bestückte Prototypen für das autonome Fahren sind seit wenigen Monaten bei allen führenden Autoherstellern in Erprobung. BMW hat für 2021 den vollautonomen BMW i Next angekündigt. Doch auch dieser Chauffeurswagen wird noch ein Lenkrad haben: Anfänglich kann er nur in klar umrissenen Gebieten wie Autobahnen und Parkhäusern selbständig schalten und walten. Für das wirklich fahrerlose Auto ist schließlich ein zentraler Car Computer nötig, der wie das menschliche Hirn mit seinem Umfeld hoch vernetzt ist. Um diesen Sprung in die Zukunft zu schaffen, fahren führende Autohersteller mittlerweile zweigleisig: "Parallel zur Evolution bestehender Fahrzeugarchitekturen und Fahrerassistenzsysteme entwickeln wir auch die übernächste Generation des Bordnetzes und der Cloud-basierten Dienste", verrät BMW-Entwicklungsvorstand Klaus Fröhlich.

Ein ähnliches System wie beim Flugverkehr

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Gerade diese "Cloud-basierten Dienste" haben Smartphones zum Erfolgsmodell gemacht. Das neue Zauberwort in der Automobilbrache heißt folglich "End-to-End-Architektur". Wesentliche Sensordaten sollen an Großrechner in der Cloud gesendet werden, um ein digitales Abbild des Verkehrsgeschehens zu erzeugen. Das funktioniert ähnlich wie bei einer Flugraumkontrolle: Der (Auto-)Pilot bekommt von seiner Leitstelle hochpräzise Informationen zum Flugverkehr. Mit einem derartigen Überblick können autonome Autos weiter schauen, als ihre Sensoren reichen. Und sie erkennen schon im Ansatz, wenn andere Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger Fehler machen. Erst dann dürfen sich autonome Fahrzeuge von der Autobahn oder Ringstraßen auch auf schwieriges urbanes Terrain wagen.

Das ist alles noch Zukunftsmusik. Bisher wissen Behörden nicht einmal, wie die Software zur Abgasreinigung in den meisten Autos funktioniert. Auch für das höhere automatisierte Fahren brauchen wir (Prüf-)Standards für Computer-Programme.

BMW will mit einer Partnerschaft mit Mobileye und Intel vorausfahren. Die Münchner haben mit der Software-Plattform Autosar und dem Ethernet im Auto bereits bewiesen, dass sie Standards initiieren können. "Im vergangenen Jahr haben wir den Weg für hochgenaue Karten geebnet, als wir gemeinsam mit Audi und Mercedes den Kartendienst Here übernommen haben. Das war der erste strategische Schritt", sagt BMW-Chef Harald Krüger, "mit unserer neuen Partnerschaft machen wir den nächsten großen Schritt auf dem Weg zum autonomen Fahren: Wir wollen einen offenen Standard für die Automobilindustrie entwickeln."

© SZ vom 16.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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