Automarkt in Fernost:In China könnte die nächste Auto-Revolution starten

Nio ES8 auf der Shanghai Autoshow

Der Nio ES 8 soll Ende 2017 in Produktion gehen und voll ausgestattet 56 000 Euro kosten.

(Foto: Reuters)

Chinesische Autos haben bei Qualität und Design aufgeholt - und entwickeln sich zu einer Macht bei der Elektromobilität. Das Land ist mittendrin in der neuen automobilen Weltordnung.

Von Georg Kacher

In der alten Autowelt wurden sie als rückständig belächelt. Doch seit in rasanter Geschwindigkeit eine neue automobile Weltordnung entsteht, sind sie plötzlich wieder mitten drin statt nur dabei, die gestern noch hoffnungslos unterlegenen Cherys, FAWs und BYDs aus China.

Peking hat seine Chance prompt erkannt und die Elektromobilität zur Chefsache mit eingebautem Heimvorteil gemacht. Während Europa sich uneins ist und Amerika auf "Wenn möglich, bitte wenden"-Kurs fährt, ändern die Pekinger Autokraten das Regelwerk für den größten Absatzmarkt der Welt ganz nach Belieben. So wie am Montag ein Großflughafen beschlossen wird und am Dienstag 30 000 Anwohner enteignet werden, so rigoros fördert der Staat das Elektroauto und die heimische Industrie.

Weil die Ladeinfrastruktur für den großteils aus Kohle erzeugten Strom erst noch aus dem Boden gestampft werden muss, wird der Plug-in-Hybrid bis auf weiteres in die Quote für reine Batteriefahrzeuge mit eingerechnet. Manche Provinzen subventionieren den Kaufpreis mit bis zu 50 Prozent und mit Wohnsitz Peking ist man praktisch gezwungen, ein nicht zulassungsbeschränktes E-Auto zu erwerben, um mobil zu sein.

Es tut sich viel im neuen China, das seine Großstadtbürger trotz Hupverbot in legendären Megastaus zu Kamikaze-Piloten ausbildet, gegen die selbst das flinkste autonome Fahrzeug keine Chance hätte. Aber auch daran wird natürlich längst gearbeitet, auf Befehl von oben. Dort wurde entschieden, dass man zum Bau von Elektroautos eine Lizenz braucht und dass diese Autos in China produziert werden müssen, selbstverständlich in der von Peking vorgegebenen Fertigungstiefe.

Die IT-Riesen wollen die Zeit ihrer Kunden zu Geld machen

Aktuell gibt es drei Klassen von E-Autos: die billigen und billig gemachten No-Name-Vehikel für den regionalen Bedarf, die meist im Verbund mit ausländischen Herstellern entwickelten global ausgerichteten Stromer, und die von chinesischen Start-ups geförderte Elektro-Elite mit nach oben offenen Leistungs- und Preis-Ambitionen. Marken wie Faraday Future, Future Mobility, Techrules oder Nio stecken zwar noch in der Findungsphase, aber sie wollen sich selbst dort ansiedeln, wo sogar die Europäer zurückzucken: im prestigeträchtigen Luxussegment, wo Stückpreise von 100 000 bis weit über eine Million Euro aufgerufen werden.

Chinesen, Europäer und Amerikaner kämpfen in Sachen E-Antrieb mit ähnlichen Waffen. Was den Unterschied ausmacht, ist das Gesamtpaket und die Strategie der Investoren. Die großen Drei der fernöstlichen Internetwelt - Alibaba, Baidu und Tencent - haben ihre Chips auf mehrere Start-ups verteilt. Das Auto ist dabei oft nur ein durchlaufender Posten, ein trojanisches Pferd auf der Jagd nach Kunden. In China gibt es 700 Millionen Smartphone-User, die pro Woche im Schnitt sagenhafte 26 Stunden online sind. Genau das ist die Zielgruppe der IT-Riesen, die dieses immense Zeitreservoir anzapfen und zu Geld machen wollen - wenn nötig per Fahrzeugnutzung zum Nulltarif. Um das unternehmerische Risiko auszulagern, sollen die meisten E-Autos im Lohnauftrag gefertigt werden. Notfalls will man sogar die Betriebskosten subventionieren, denn Ladestrom ist in China bis zu 90 Prozent günstiger als in Deutschland.

Nio hält den Nordschleifen-Rekord für Elektrosportwagen

Einer dieser geheimnisvollen Neueinsteiger ist Nio. Die 24 Monate junge Firma hat bereits einmal den Namen gewechselt (von Next EV), den Vordenker der Autosparte, Martin Leach, durch frühen Tod verloren, mit Nelson Piquet jr. die Formel-E-WM gewonnen, auf dem Nürburgring den Rundenrekord für E-Sportwagen aufgestellt und nebenbei das erste Serienmodell entwickelt, das Ende 2017 in Produktion geht. Nio gehört sechs sehr reichen Investoren. Deshalb ist der neue ES 8 auch kein Me-Too-Crossover, sondern das erste Vollalu-Auto aus China, mit einer Anfangskapazität von 300 000 Einheiten. Der Siebensitzer glänzt mit Allradantrieb, 650 PS Systemleistung, 72 kWh starken Wechsel-Akkus und 500 Kilometer Reichweite. Der Preis? Umgerechnet knapp 56 000 Euro, voll ausgestattet.

Das meistverkaufte Auto Chinas ist der Wuling Hongguang, ein einfach gestrickter Kleinbus. Auf dem Land, wo der Van unterschiedlichste Transportbedürfnisse erfüllt, verdient ein Arbeiter mit 300 Euro nur halb soviel wie in der Stadt. Kein Wunder, dass 2016 über 7,4 Millionen solcher Budget Cars abgesetzt wurden, Tendenz steigend. Ausgerechnet VW, das alles kann außer günstig, will vom Jahr 2019 an an diesem Kuchen mitnaschen - unglaubliche neun Jahre nach Projektanstoß. Weil sämtliche Werke bereits für den teuren modularen Querbaukasten eingerüstet sind, kommt der Billig-Volkswagen, der nicht VW heißen darf, nur schwer in die Gänge. Drei verschiedene Modelle sind geplant, eine 4,6 Meter lange Limousine und zwei SUVs, alle mit 1,4-Liter-Motor und komplettem Sicherheitspaket. Anvisiert ist eine Preisspanne von 9 000 bis 15 000 Euro. Damit wäre man zwar bei der Musik, doch der Marktführer Haval will kontern und den Rivalen unterbieten.

Die Online-Welt findet im Auto eine weitere Heimat

Die Chinesen lieben Luxus, Status, Komfort und ihre Smartphones. Chrom und Leder? Das war gestern. Heute geht es um Bildschirmgrößen, totale Vernetzung und kleine Aufmerksamkeiten wie die per Lichteffekt und Computerstimme inszenierte Begrüßung des Fahrers. Connectivity und Infotainment sind inklusive Updates aufpreisfrei an Bord, die private und geschäftliche Online-Welt findet im Auto ihre dritte Heimat.

Während bei den Budget Cars mit einer Lebensdauer von nur sieben Jahren kalkuliert wird, sind die Chinesen in der Preisklasse ab 25 000 Euro schon erstaunlich dicht dran an der europäischen Premium-Konkurrenz. Der Wey W01 (dahinter steckt Haval) ist zum Beispiel nach der Papierform auf Q5-Niveau, kostet aber nur die Hälfte. Noch beeindruckender sind die S5 und S7 SUV's der wieder erstarkten Nobelmarke Hongqi (Rote Fahne), die sich in Bezug auf die Anmutung und Ausstattung nicht vor der europäischen Oberklasse verstecken müssen.

Die nächste Präsidenten-Limousine und ein Coupé mit Titankarosserie

Natürlich kopieren die Chinesen weiterhin ohne Skrupel - die diversen Evoque- und Tiguan-Verschnitte wären anderswo ein Fall für die Wettbewerbshüter. Doch immer öfter wird kooperiert, investiert und expandiert. So hat sich der Zulieferer KDX mit dem Know-how von Fritzmeier und der TU München zu einem veritablen Karbonspezialisten gemausert, der inzwischen pro Jahr 1,5 Millionen Teile fertigt. Auf der Überholspur fährt auch die Designschmiede Icona, die mit über 100 Mitarbeitern aus 18 Nationen in drei Studios (Schanghai, Turin, Los Angeles) aktuell an 30 Projekten arbeitet. Eines davon ist die nächste Präsidenten-Limousine, ein anderes das Vulcano V8-Coupé mit Titankarosserie, das 9,6 Millionen Euro kosten soll. Trotz des horrenden Preises war das Auto schon am Ende des ersten Pressetages so gut wie vergeben - auch das ist China.

Geely hat aus Volvo innerhalb kurzer Zeit eine Premium-Weltmarke geformt, die in Daqing den S 90 bereits in exportfähiger Qualität produziert. Auch das erste Volvo-Elektroauto soll aus China kommen. Im Volumensegment lässt die Geely-Tochter Lynk & Co aufhorchen - mit spannendem Design, Garantie auf Lebenszeit und einem virtuellen Vertriebsnetz. Den Service übernehmen Volvo-Händler. Was diese heile Welt ins Wanken bringen könnte, ist weder eine höhere Elektro-Quote noch das für Ende 2020 avisierte Ende aller Subventionen, sondern die Endlichkeit der Verkehrsflächen in den Ballungszentren. Wer weiß - vielleicht wird die nächste automobile Revolution allein aus dieser Not heraus in China geboren.

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