Autokinos:Große Gefühle

Autokinos sind noch immer der ideale Platz für jene, die Filme oder einen anderen lieben.

Bernd Hein

Jungs mit Seitenscheitel und schiefem Grinsen können im Autokino ganz groß rauskommen. Vor allem, wenn sie Tobey Maguire heißen, eine rote Maske mit Netzmuster über den Kopf stülpen und sich als Spiderman durch die Hochhausschluchten Manhattans hangeln.

Autokino Hannover-Laatzen

"The Italian Job" im Autokino.

(Foto: Foto: www.mobile.de)

Wenn es Nacht wird über Aschheim, einer Gemeinde am Ostrand von München, gehen auf dem Feld die Projektoren an und gefilmte Abenteuer breiten sich auf fußballfeldgroßen Wänden aus. Mit den Leinwänden eines Normalkinos haben sie nur die weiße Farbe gemein, denn: In einem Autokino ist alles größer, luftiger, lässiger und individueller. Es ist der American Way of Watch - reinfahren, zuschauen, rausfahren.

Richard Milton Hollingshead, Erbe einer Firma für Autopflegemittel in Camden (New Jersey), experimentierte als Erster mit der Idee, Autofahrer im Kino parken zu lassen. Er spannte Bettlaken im Hinterhof auf, der Ton kam aus Lautsprechern. Hollingshead gefiel seine neue Art der Filmvorführung, bemerkte jedoch eine wesentliche Schwäche. Autofahrer in den hinteren Reihen konnten nur einen Ausschnitt des Bildes sehen, weil die vorderen Fahrzeuge die Sicht versperrten.

Der Tüftler fand eine Lösung, indem er die Leinwand höher aufhängte und Rampen anlegen ließ, auf denen die Autos schräg standen - vorn höher als hinten. Als am Abend des 6. Juni 1933 der erste Filmabend in seinem Autokino anlief, kamen mehr als 600 Gäste. Sie zahlten 25 Cent pro Auto und 25 Cent pro Person, jede Fahrgemeinschaft insgesamt maximal einen Dollar. Die Idee dieser Freiluft-Filmtheater verbreitete sich nur zögerlich; nach dem Zweiten Weltkrieg aber zündete sie, 1958 gab es in den USA bereits 4000 Adressen.

Der Sound kommt nicht mehr aus der Dose

Wäre das Drive-in in Aschheim ausverkauft, würden 1100 Autos auf den Asphaltflächen zwischen den zwei Bildwänden stehen. Die Stellplätze sind von grauen Eisenpfosten flankiert, einer für zwei Autos. Früher stöpselte man die Kabel der Lautsprecher in die Kästchen am oberen Ende der Pfähle. Inzwischen dienen die Steckdosen nur noch dem Betrieb der Heizlüfter, die in den Wintermonaten kostenlos verteilt werden. Der Ton zu den gigantischen Bildern kommt aus dem Autoradio, UKW 98,9.

Große Gefühle

Im Autokino lebt das Gefühl auf zwei Ebenen. Die Bildwand breitet es ganz groß und für alle sichtbar aus. In den Autos aber können die Zuschauer sich anderem zuwenden. Ob Sitzparty oder Zärtlichkeiten - ein besonderer Kick, an einem so öffentlichen Ort unbeobachtet zu sein. Das Auto wird zur Kuschelhöhle.

Autokinos: Die letzte Reihe im Autokino ist die "Love Line".

Die letzte Reihe im Autokino ist die "Love Line".

(Foto: Foto: dpa)

Autokinos hatten es schon immer schwer, gegen die Filmtheater zu bestehen. Schutzlos sind sie dem Wetter ausgesetzt, jede Regenfront macht die Vorstellung zu einem Flop; und die Umstellung auf die Sommerzeit ist regelmäßig von Nachteil, weil die Vorführungen die Dunkelheit brauchen. Also geht es erst um 22 Uhr los. Und zwei Filme hintereinander zu zeigen, ist nur freitags und samstags möglich, weil die Besucher während der Woche am nächsten Tag ausgeschlafen zur Arbeit gehen müssen.

Die Filmverleiher hielten die Autokinos jahrzehntelang an der ganz kurzen Leine, indem sie ihnen die Kopien erst acht Wochen nach dem Start zukommen ließen. Zu Zeiten von Bud Spencer und Terence Hill fühlte sich das Publikum davon nicht gestört. Wenn die beiden Freunde der Faust über die Bildwand blödelten, waren die Stellplätze ausverkauft. Doch dann machte sich die mangelnde Aktualität durch schmelzende Zuschauerzahlen deutlich bemerkbar.

Das Aussterben der Autokinos schien unausweichlich zu sein, als 1984 die Videorekorder auf den Markt kamen und jeder Fernseher zum Privatkino wurde. Doch es kam anders: "Wir begannen 1986, Autokinos in Deutschland zu kaufen und merkten, dass sich die Besucherzahlen erholten", sagt Wolfgang Holl, Prokurist der Walter H. Jann Werbe- und Filmbetriebs GmbH in Starnberg. Inzwischen betreibt die Firma fünf Kinos, darunter auch das in Aschheim sowie Deutschlands ältestes Autokino in Gravenbruch bei Frankfurt.

Blütezeit in den Sechzigern und Siebzigern

Yul Brunner und Deborah Kerr eröffneten es am 31. März 1960 mit dem Oscar-gekrönten Drama "Der König und ich". Wolfgang Holl: "In der Blütezeit, den Sechzigern und Siebzigern, konnte man mit einer halben Million Besucher pro Kino und Jahr rechnen. Heute ziehen selbst die besten Standorte nur etwa ein Fünftel davon an."

Große Gefühle

Die Ertragslage scheint sich auf einem stabilen Niveau einzupendeln. Dazu trägt vor allem die Profilkorrektur bei, der sich die Kinos unterzogen. Heute steht Pornographisches, mit dem man einige Jahre lang versuchte, den Verfall der Publikumszahlen zu bremsen, nicht mehr auf dem Programm. Stattdessen laufen die Blockbuster aus Hollywood auch im Autokino zum Deutschlandstart an.

Und es sind noch nach Jahrzehnten die immer selben Argumente, die für das Autokino sprechen - man braucht sich keine Gedanken über die Garderobe zu machen, kann Baby oder Hund mitnehmen, ohne dass das andere stört; man ist daheim und unterwegs zugleich.

Ein Abend im Autokino ist proppevoll mit Atmosphäre. Die Räder stehen still und die Gefühle fliegen. Film ab unterm Sternenhimmel. Dazu gehört mindestens ein halber Liter Cola und ein extragroßer Becher Popcorn. In den großen Jahren huschten uniformierte Mädels und Jungs auf Rollerskates durch die Autoreihen, um die Träumer mit Snacks zu versorgen. Heutzutage gibt's in der Mitte des Films eine Pause als Einladung an die Besucher, auszusteigen und an der Imbisstheke zwischen Hot Dog, Hamburger und Eis am Stiel zu wählen.

Fummeln in der Love Line

Früher liehen Teenager sich das Auto der Eltern und es war ihnen völlig egal, welcher Film da vorne lief - der spannendere Film lief allemal auf den zurückgeklappten Sitzen. "Die letzte Reihe im Autokino wurde damals Love Line genannt", erinnert sich Wolfgang Holl. Viele Filme handeln von der abendlichen Romantik hinter der Windschutzscheibe; auch die Rockmusik setzte kleine und große Denkmäler. So dichtete der bayerische Spötter Georg Ringsgwandl: "Lucy Baby und Valentino / fummeln bisschen rum im Autokino / in Papas Mercedes-Benz-ah, / tun sie es bei Buddy Spencer."

Spiderman hat seine Freundin gerettet, an seiner Treue besteht kein Zweifel mehr, alle Anfeindungen sind besiegt. Der Abspann zählt die Darsteller auf; hinter dem Kassenfenster am Eingangshäuschen des Autokinos, das wie eine verwaiste Mautstation dasteht, ist das Licht ausgeknipst. Im Licht des Mondes werfen die grauen Blechgebäude des benachbarten Kieswerks Schatten. Und als der Wagen auf die Landstraße biegt, beginnt das Autoradio, UKW 98,9, zu rauschen. Eine Vierteldrehung am Knopf, dann ist das Kino endgültig aus.

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