Autojahr 2010 (2):Die Karten werden neu gemischt

Die Autowelt steht 2010 vor einem gewaltigen Umbruch: Luxus läuft nicht mehr, klein ist clever, doch die Kosten galoppieren.

Georg Kacher

Ein System in der Krise: 2009 war ein wirtschaftlich schwieriges Jahr der Überraschungen, Kehrtwendungen und Strategiewechsel. Magna kaufte Opel und dann doch wieder nicht, Porsche wollte VW übernehmen um später selbst übernommen zu werden, Fiat schluckte Chrysler, Washington musste GM mit einem 50-Milliarden-Dollar-Kredit vor der Pleite bewahren. Wer hätte das gedacht? Marken, die noch vor wenigen Jahren für teures Geld installiert wurden oder eine lange Tradition hatten wie Saab, sind plötzlich nichts mehr wert.

VW

Gut aufgestellt: VW, hier die neueste Eco-Studie Up! Lite, gilt als aktuelle und künftige Supermacht.

(Foto: Foto: oh)

Und die neuen starken Männer verstehen nicht viel von Autos, aber vom Kürzen, Reduzieren, Zusperren. Ford-Chef Allan Mullaly kam von Boeing, das GM-Oberhaupt Ed Whitacre war zuvor Oberaufseher von AT&T, Sergio Marchionne wechselte einst vom Schweizer Warenprüfer SGS zu Fiat. Während Ford konsequent auf das Weltauto setzt und selbst in den USA mit kleineren Modellen und sparsameren Motoren punkten will, hat der Umbruch bei GM und Fiat-Chrysler gerade erst begonnen. Vor allem die amerikanisch-italienische Allianz steht auf tönernen Füßen, denn sie kalkuliert mit stark steigendem Absatz und gewagten Synergieeffekten. Ob treue Lancia-Kunden einen Chrysler 300C mit römischer Nase wohl als italienischen Oberklasse-Maßstab akzeptieren werden?

Auch in Europa wird das Auto-Quartett ständig neu gemischt. VW gilt als aktuelle und künftige Supermacht, die im Zeitraffer zu Toyota aufschließt. Doch Wolfsburg kann alles außer billig. Deshalb soll Suzuki demnächst den kleinen Up! in der dritten Welt zum Discountpreis fertigen, deshalb muss sich Škoda wieder auf seine ursprünglichen Markenwerte konzentrieren, und deshalb steht Seat auf dem Prüfstand.

Weil VW durch den Kostenbonus seiner Stückzahlen selbst Erzrivalen wie BMW und Mercedes an einen Tisch zwingt, entstehen immer neue Konstellationen - am Ende nicht zwischen München und Stuttgart, aber zwischen den BMW- und Peugeot-Familien und zwischen Mercedes und Renault/Nissan. Die Schwaben konzipieren die auf drei Modelle erweiterte Smart-Nachfolgegeneration gemeinsam mit ihrem französisch-japanischen Partner, der sich in Sachen Elektromobilität besonders weit aus dem Fenster gelehnt hat. Wenn alles glattgeht, wird man auch das nächste Frontantriebsmodul Schulter an Schulter in Angriff nehmen und die A-/B-Klasse endlich aus der Kostenfalle befreien.

Inder und Chinesen im Kommen

Von wegen goldene Mitte, es zählen die Extreme: entweder Premium pur oder billiger Jakob. Die Erfolgsmarken des Jahres 2009 heißen Chevrolet und Dacia, Hyundai und Kia. Als Aufsteiger für 2010 erwarten wir Tesla und Fisker, Tata und Geely. Diese Prognose gibt die Richtung vor: Im Kommen sind die Inder und vor allem die Chinesen, dazu als erste elitäre Quereinsteiger die grünen US-Puristen mit ihren expressiven Alternativen für betuchte Prius-Aufsteiger.

Die klassischen Premiumanbieter wirken derweil verunsichert, denn das Selbstverständnis von Luxus hat sich in den vergangenen zwölf Monaten radikal gewandelt. Der einzige Schlüssel, der global noch funktioniert, heißt soziale Akzeptanz. Deshalb verkauft Mercedes schon jede fünfte S-Klasse als (Pseudo-)Hybrid, deshalb startet der kleine Frontantriebs-Lexus im Sommer als Doppelherz-Modell, deshalb bereitet BMW als einziger Premiumanbieter mit seiner Project-i-Familie eine grün eingefärbte Produktlinie vor.

Bentley versucht es stattdessen mit Biosprit-tauglichen Motoren, Ferrari plant Zylinderabschaltung und V12-Hybride, Aston Martin bringt mit dem Cygnet einen Toyota iQ im Königsornat. Das kleinste Feigenblatt ist groß genug. Weil die Droge des "schneller, höher, weiter" rapide an Wirkung verliert, sucht Premium nach alternativen Überlebensmustern, doch die Kundschaft zögert, denn noch hat die Politik die Nachhaltigkeit der technischen Lösungen nicht durch entsprechende finanzielle Anreize legitimiert.

Früher wurde mit dem Ertrag der großen und teuren Modelle die Entwicklung der kleineren Fahrzeuge finanziert, aber inzwischen gilt bei den meisten Marken der Umkehrschluss. Downsizing ist nämlich nicht nur bei den Motoren angesagt, sondern auch bei den Modellen - der Kunde kauft vermehrt Audi A4 statt A6, BMW Einser statt Dreier, Mercedes E- statt S-Klasse. Um gegenzusteuern, sollen höhere Stückzahlen die schrumpfenden Margen ausgleichen.

Und wieder punktet vor allem VW, wo, verteilt über die Markenwelten, nur zwei modulare Strukturen (Quer- und Längsbaukasten) die gesamte Palette abdecken. BMW braucht drei Säulen, Mercedes sogar vier. Gleichzeitig gerät der (Über-)Lebensraum von Volumenmarken wie Ford, Opel, Renault/Nissan, Peugeot/Citroën, Toyota oder Honda von verschiedenen Seiten unter Druck. Die Versuche der Höherpositionierung (Vel Satis, C6, Omega, Scorpio, Accord, Camry) dürfen als gescheitert gelten, die Kleinwagen-Kompetenz wird immer öfter von Billigmarken untergraben, und selbst in der Polo-Klasse proben bald neue Premium-Produkte wie der Audi A1 oder der geplante Frontantriebs-BMW den Aufstand.

Die Volumenhersteller müssen das Auto einmal mehr neu erfinden

Die Lösung? Die Volumenhersteller müssen sich möglichst rasch neu erfinden. Durch innovative technische Inhalte und Konzepte, deutlich attraktivere Preise oder durch neue strategische Allianzen - zum Beispiel mit Apple als iCar-Partner, mit einem Batteriehersteller als Provider billiger Lithium-Ionen-Batterien oder mit einem clever aufgestellten Energieversorger als super-günstigem Stromlieferant.

Gewinner und Verlierer: Wer Kleinwagen im Sortiment hat, macht Kasse in diesen schwierigen Zeiten, die Inlandszuwachsrate 2009 betrug 115 Prozent. Doch der Marktführer geht ausnahmsweise fast leer aus, denn der VW Up! startet erst Anfang 2011, und der Fox ist ein Auslaufmodell. Dafür punktet Fiat mit dem 500, von dem es 2010 weitere Varianten geben wird, Citroën bastelt am 2CV-Nachfolger (Cactus), aus Korea kommen Hyundai i10 und 2011 der neue Picanto, Suzuki bringt im nächsten Jahr den Swift-Nachfolger.

Die Tendenz bei den Geländewagen ist zwiespältig. Große SUVs sind total out, kompakte Crossover verkaufen sich dagegen wie geschnitten Brot. Das gleiche Bild bei den Minivans: XXL-Modelle stehen wie Blei beim Händler (Ausnahme: VW T5), kleinere Fahrzeuge wie der Škoda Roomster sind gefragt. Die Crossover-Hausse wird 2010 vermutlich weitergehen. Dafür sorgen Neuerscheinungen wie der Mini Countryman, der Nachfolger des Kia Sportage, der Hyundai ix35, der Land Rover LRX und der neue BMW X3. Die Minivan-Hits des nächsten Jahres sind Opel Meriva, VW Sharan, die C-Max-Zwillinge von Ford und der Chevrolet Orlando.

Gegen den Trend der rückgängigen Oberklasse-Verkäufe kämpft mit Erfolg die noch junge Spezies der viertürigen Coupés, die Mercedes mit dem CLS erfunden hat. 2010 startet die zweite Generation, gefolgt vom Audi A7 Sportback und dem bildschönen Aston Martin Rapide. BMW will Anfang 2012 den Sechser GT nachschieben. Die Luxusklasse steckt besonders tief in der Krise. Die Marke Maybach hängt am Tropf, der Bentley-Absatz hat sich glatt halbiert, Rolls-Royce könnte ohne den guten Geist des Ghost zusperren, Lamborghini begann schon im Spätsommer mit dem Winterschlaf, Porsche arbeitet kurz bis Ende März, selbst Ferrari wäre ohne den neuen Italia ein Problemfall.

Auch Wohlhabende haben ihr Verhältnis zum Auto geändert

Warum das so ist? Weil selbst Wohlhabende ihr Verhältnis zum Auto geändert haben. Smart-buys sind in, ostentativer Luxus out. Der Absatz des BMW Z4 boomt, SL, R8 und 911 müssen Federn lassen. Während die nach oben offene Sportwagenskala bislang für fast jedes Extrem gut war, ist die Luft am unteren Ende aus Tradition gefährlich dünn - siehe Tigra, Barchetta, CRX, Puma.

Doch trotz der vielen Flops wagt Honda 2010 mit dem CR-Z einen neuen Anlauf, Mini plant Coupé- und Speedster-Varianten, Renault bringt CC-Ableger von Mégane und Twingo. Richtig spannend dürfte es werden, wenn 2012 auf der neuen Konzern-Mittelmotorplattform ein preiswerter VW Roadster, das Audi R4 Coupé und die Reinkarnation des Porsche 356 ins Rennen gehen. Der im Prinzip fertige BMW Z2 wurde dagegen in letzter Minute gestoppt. Die Münchner wollen stattdessen mit einer zusätzlichen Einstiegsbaureihe, die sich genetisch am nächsten Mini ausrichtet, die für 2010 angekündigte Audi-Offensive mit A1 Coupé und Sportback möglichst zeitnah kontern.

Die Politik entscheidet über unterschiedliche Zukunftstechnologien für die drei Mega-Märkte. Der Technik-Bauchladen ist zumindest bei den führenden Anbietern gut bestückt. Er enthält Diesel und Benziner, Hybride in vielen Spielarten, Elektroautos, Leichtbau-Know-how, Abgasnachbehandlungen aller Art, LPG- und CNG-Motoren, Sunfuel und Synfuel, dazu natürlich die Brennstoffzelle und als treibende Kraft regenerativ erzeugten Wasserstoff.

Was fehlt, um aus diesem Repertoire die beste Wahl zu treffen, sind klare Ansagen für die drei größten Absatzmärkte Europa, China und Nordamerika - Ansagen in Bezug auf Kraftstoffqualität, verbindliche Verbrauch- und Abgas-Grenzwerte sowie auf die Boni und Strafen, die mit dem Einhalten oder Überschreiten verbunden sind. Die Industrie hat sich kürzlich zwar auf einen normierten Batterie-Ladestecker geeinigt, aber bei den geplanten EU-Abgaslimits reicht das Spektrum (im noch ein paar Jahre entfernten Extremfall) von 5000 Euro Förderung bis zu 7500 Euro Belastung. Als gesetzt gelten Maßnahmenpakete wie BlueMotion und verschiedene Hybrid-Applikationen vom Range Extender über den Vollhybrid bis zum für die USA essentiellen Plug-in-Hybrid.

Antriebe: Alles soll möglich sein

Was das Antriebsthema so komplex und teuer macht, sind die vielen Parallelentwicklungen. Wer am Ball bleiben will, muss die großen Motoren für Märkte wie China und Russland pflegen und gleichzeitig für die alte Welt Downsizing betreiben, das heißt neue Drei- und Zweizylinder an den Start bringen, natürlich als Diesel und als Benziner.

Langfristig wird der V8 den spitzen Gipfel des Zylinderberges bilden, wird der Sechszylinder zum Kerntriebwerk in der Oberklasse avancieren, werden Vierzylinder mit 250 PS (Diesel) bis 350 PS (Benziner) keine Seltenheit mehr sein. Die kleineren und leichteren Motoren bedingen kaum Abstriche bei Leistung und Drehmoment, und die damit bestückten Autos bleiben so groß wie sie sind, denn auf ein liebgewonnenes Raumgefühl will niemand mehr verzichten. Den Hybridantrieb gibt es bald in den unterschiedlichsten Spielarten mit und ohne Boost-Funktion, mit und ohne elektrisches Fahren bis zu 80 Kilometer Reichweite, mit einer E-Modul-Leistung von 20 bis 100 PS.

So divers wie die Hybrid-Strategie präsentiert sich auch die Elektromobilität. Sie funktioniert Top-down wie beim Audi e-tron Sportcoupé, Bottom-up wie beim E-Mini oder als stromführende Klammer wie bei Mercedes, wo zwischen dem SLS eDrive und dem Elektro-Smart genug Platz ist für viele weitere Spielarten. Zu dumm nur, dass auch diese Kosten-Nutzen-Rechnung ganz entscheidend vom Gesetzgeber beeinflusst werden wird.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: