Autoindustrie:Umbruch überall

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Schon vor der Corona-Pandemie hatte Brüssel Verkehrsprobleme. Die könnten nach dem Lockdown mit Wucht wiederkehren. (Foto: Virginia Mayo/dpa)

Neue Chefs, neue Allianzen, neue Prioritäten: Im Autojahr 2019 hat sich einiges verändert. Und was bringt das kommende Jahr? Der Boom bei den SUVs dürfte auf jeden Fall anhalten.

Von Georg Kacher

Dies ist ein ganz persönlicher Rückblick auf das Autojahr 2019, geprägt von ganz unterschiedlichen Eindrücken. Dem Tod von Ferdinand Piëch, den sieben Leben von Tesla, der Ignoranz der Politik gegenüber Wasserstoff und Ökosprit, der Audi-Krise, der blutigen Nase bei einem E-Scooter-Versuch. Und dem Elektro-Gau am Haken eines Servicekombi: "Wir fahren jetzt 25 Kilometer, Sie rekuperieren bitte mit dem Fuß auf der Bremse. Das reicht bis zur nächsten Ladestation." Auch das ist Premium.

Autonom unterwegs: Zumindest im Stoßverkehr wird schon jetzt überwiegend autonom gefahren. Nicht nur per Stop-and-Go-Abstandshalter samt Lenkeingriff, sondern auch durch die geteilte Aufmerksamkeit zwischen Handy und Straße. Wozu es die Sprachbedienung gibt? Für den Anruf ins Büro, aber doch nicht für private Chats mit Fotos und Emoijs. Sobald das Fahrzeug steht, kann man sogar einen Film ansehen - illegale Freischaltung vorausgesetzt. Der Fahrstil der Autonomen ähnelt den Promillesündern: Schlangenlinien gepaart mit ruckartigem Tempowechsel.

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Elektro-Offensive süß-sauer: China soll elektrisch fahren. Doch der Elektroauto-Absatz stockt, denn die staatliche Förderung läuft aus, und wer es sich leisten kann, kauft Image aus Europa. Nur bei den Billigautos, die mit E-Antrieb schon ab 6000 Euro zu haben sind, brauchen die Asiaten keine Konkurrenz zu fürchten. Kein Wunder, dass Dacia demnächst auch hierzulande einen Stromer "Made in China" für knapp 10 000 Euro anbieten will. Mini und Smart werden folgen. No-Name-Marken wie Zotye nehmen lieber die USA ins Visier, wo chinesische Start-ups wie Byton, Faraday Future und Karma bislang aber nur mühsam in die Gänge kommen.

Fridays for Miteinander: Auf Deutschlands Straßen geht es aggressiv zu, doch die Hitzköpfe sitzen nicht immer am Steuer PS-starker SUVs. Kaum besser sind Kampfradler, die sich rücksichtslos ihren Weg bahnen. Oder Schulmeister, die in der 80er-Zone mit Tempo 79 die linke Spur versiegeln. Ebenso Zweite-Reihe-Kurzparker, die mitten im Berufsverkehr mal eben Zigaretten holen, ganz zu schweigen von den Hilfssherrifs mit ihren Dashcams, mit Gott und der Welt verfeindeten Rechthabern sowie Dränglern, Ausbremsern und Wegblinkern. Muss das sein? Sicher nicht. Ab sofort gilt: Gleiten statt hetzen!

Ladesäule für Elektroautos: Wie wird sich die E-Mobilität entwickeln? (Foto: Sina Schuldt/dpa)

Neue Kräfte braucht das Land: Und es bekommt sie. Zum Beispiel Jozef Kaban, der bei VW zum Chefdesigner avanciert. Alexander Seitz, der künftig in Wolfsburg das Controlling verantwortet. Ola Kallenius, der freilich zunächst die Scherben zusammenkehren muss, die ihm Dieter Zetsche bei Daimler hinterlassen hat. Oliver Zipse, der BMW wieder auf Kurs bringen soll. Hildegard Müller, die zur obersten Lobbyistin des Verbands der Automobilindustrie (VDA) berufen wurde. Mike Manley als Nachfolger von Sergio Marchionne. Was noch fehlt, ist ein neuer Verkehrsminister.

Gewinner und Verlierer: Was kommt nach dem SUV? Noch mehr SUV. Und zwar in allen Spielarten vom Crossover-Cabrio bis zum drei Tonnen schweren Elektro-Pick-up, vom Verbrenner bis zur Brennstoffzelle, vom Stadtfloh bis zum Eiger-Nordwand-Stürmer. Auf der Verliererstraße reihen sich preisgünstige Sportwagen an kompakte Coupés und Roadster. Billige Kleinwagen sind stark gefährdet, denn die teure Abgasreinigung drückt auf die Margen. Total aus der Mode gekommen ist das klassische Stufenheck.

Die Ära der Allianzen: Bei Mercedes steht nach Geely jetzt mit BAIC schon der zweite chinesische Aktionär vor der Tür. BMW kooperiert mit Great Wall und Brillance, aber auch mit Toyota und Jaguar Land Rover. Nur der Deal mit Daimler will einfach nicht zustandekommen. VW hat sich mit Ford und Argo (autonomes Fahren) zusammengetan, sucht aber noch einen Partner im Kleinwagensegment. Auch wenn jetzt PSA und Fiat Chrysler gemeinsame Sache machen, ist die Alfa-Maserati-Hängepartie keineswegs beendet. Nur General Motors, Hyundai/Kia und Toyota wollen unabhängig bleiben, komme was wolle.

Marke und Design: Bei Carsharing und Kurzzeitmiete geht's rein ums Geld. Doch sobald Leasing oder Kauf ins Spiel kommen, gelten andere Prioritäten. Zum Beispiel die Kernwerte der Marke als wichtige Richtgröße für Image und Prestige. Weil das Design die Marke prägt, sitzen Formgeber und Marketing-Profis automatisch an den längsten Hebeln. Der goldene Schnitt zwischen Ästhetik und Funktion schafft die gewünschte Außenwirkung und die entsprechenden Produkteigenschaften. Weil Polarisierung der erste Schritt zur Ablehnung durch die Kunden ist, sollten sich die Designer ihrer Sache freilich absolut sicher sein.

Daimler-Fahrzeug in China: Bei dem Konzern steht nach Geely jetzt mit BAIC schon der zweite chinesische Aktionär vor der Tür. (Foto: Stephen Shaver/dpa)

Künftige Killer-Kriterien: Zylinderzahl, Hubraum, Leistung, Schaltgetriebe - das war gestern. Allein das Drehmoment eint die alte und die neue Auto-Welt, wobei es nur im E-Mobil ansatzlos zur Verfügung steht. Was mit dem CO₂-Fußabdruck verloren geht, sind der Sound und ein gutes Stück Emotion. Beschleunigung ist unter Stromern bald kein Thema mehr, und auch der Status der Höchstgeschwindigkeit wankt, denn schnell bewegte E-Autos müssen öfter nachladen. Differenziert wird künftig verstärkt über Reichweite, Ladezeit, Wiederholbarkeit und Kosten.

Der Herr der Wolfsburg: Herbert Diess will unseren Planeten retten und gleichzeitig VW zu einem der profitabelsten Unternehmen der Welt machen, mit einer Marktkapitalisierung von zunächst 200 Milliarden Euro. Deshalb setzt der Chef alles auf die Elektrokarte. Premiummarken pflegen? Nur wenn die Zahlen stimmen. Wasserstoff? Im Auge behalten, aber nicht forcieren. Eigenes Betriebssystem? Ehrensache. Eigene Zellfertigung, Systemführerschaft auch bei Feststoffbatterien? Da leuchten des Meisters Augen.

Der Siegeszug von Hyundai/Kia: Die Koreaner sind nicht ganz so schnell wie die Chinesen und nicht ganz so gründlich wie die Japaner, doch die nach europäischem Muster entwickelten Produkte kommen an. Hyundai und Kia arbeiten flexibel und günstig, setzen Trends rasch um, und forcieren gemeinsam mit Toyota & Co. und staatlicher Schützenhilfe die Wasserstoff-Infrastruktur. Die Modelle dazu stehen nicht mehr im Designstudio, sondern beim Händler. Hübsch eingekleidet, ordentlich verarbeitet, absolut bezahlbar und mit langer Garantie.

Premium am Scheideweg: Der untrügliche Frühindikator heißt Wertverlust. BMW-Hybride sind nur mit hohem Nachlass zu verkaufen, große Audi-Diesel stehen wie Blei beim Händler, Mercedes kämpft selbst bei Nischenmodellen mit der Nachfrage-Flaute. Stimmt - e-tron, i-Pace und EQC haben ihre Fans, aber die XE- und XF-Typen von Jaguar, der Audi A 8 und der Mercedes CLS sind Ladenhüter. Warum? Weil Premium nicht mehr nur Bling und Prestige sein darf, sondern auch soziale Akzeptanz. Ganz abgesehen davon, dass die immer komplexere Bedienung den Nutzer auf die Digital-Palme treibt.

© SZ vom 28.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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