Alec Issigonis:Mister Mini

Sir Alec Issigonis, Schöpfer des kleinsten Kultautos der Welt, wäre jetzt 100 Jahre alt geworden. Eine Erinnerung

Jörg Reichle

Kleine Ursache, großer Schock: Kaum hatte Ägypten im Sommer 1956 den Suez-Kanal blockiert, geriet Westeuropa in Panik. Wo sollte man jetzt noch bezahlbares Erdöl herbekommen? Die Suez-Krise befand sich auf dem Höhepunkt und in den Industrieländern plante man hektisch die Zukunft um. Auch in England. Im September schon sollte das Benzin auf 40 Liter pro Kopf und Monat rationiert werden. Also mussten sparsame und kleine Autos her - je schneller, desto besser.

Bei der British Motor Corporation (BMC), damals größter europäischer Hersteller von Personenwagen, hatte zu dieser Zeit Leonard Lord das Sagen und der wiederum legte den Auftrag für die Entwicklung eines genügsamen Vehikels in die Hand eines Mannes, der sich mit dieser Art Auto bereits bestens auskannte: Alexander Arnold Constantine Issigonis, so hieß der Konstrukteur mit vollem Namen.

Nie die Konkurrenz kopieren

Er hatte gerade den kleinen Minor entwickelt, den ersten Bestseller der Marke Morris (1,6 Millionen Mal verkauft), und überdies waren es vor allem zwei seiner wichtigsten Grundsätze, die Issigonis zum idealen Mann für die Aufgabe machten: Erstens hasste er ohnehin alles, was groß war - Häuser, Autos, Organisationen - und zweitens lebte er nach dem eisernen Motto: "Wenn du ein neues Auto baust, kopiere nie die Konkurrenz."

Dass der erste Mini der Autogeschichte auf einer Serviette entstand, ist natürlich eine schöne Geschichte. Tatsächlich trafen sich Issigonis und seine Gruppe von Technikern (Spitzname: "Issigonis-Zelle") regelmäßig im Restaurant - immer demselben übrigens, denn der griechisch-stämmige Ingenieur hasste es, wenn man seine Lieblingsdrinks nicht kannte.

Beim Mittagessen nahm dann auf Tischdecken und Speisekarten der neue Kleinwagen Form an. Ein Viersitzer sollte es werden, das war die Vorgabe, den sich jedermann leisten konnte, mit optimaler Raumausnutzung, gediegenem Fahrkomfort und toller Straßenlage. Dazu technisch und optisch vollkommen anders als alle aktuellen Autos.

Und was da gekritzelt wurde, war in der Tat einmalig: Eine knapp mehr als drei Meter lange Box warf Issigonis aufs Papier, mit vier winzigen Zehn-Zöllern ganz außen an jeder Ecke, die Vorderräder angetrieben von einem quer stehenden Vierzylinder mit putzigen 848 Kubik Hubraum, der sich seinen Ölhaushalt mit dem Getriebe teilte; das ganze Autochen gefedert auf Gummi statt auf Stahl, die Schweißnähte zwischen Karosse und Kotflügeln aus Kostengründen außenliegend wie übergroße Regenrinnen. Drei Jahre später, 1959, rollte der erste Mini vom Band.

Von Issigonis sagt man, dass er zeitlebens gearbeitet habe wie ein Berserker und dass er wohl nicht leicht zu nehmen war, so ruppig und ungeduldig, wie ihn Zeitgenossen beschreiben. Und dass er zornig wurde, wenn man ihn Designer nannte: "Ich bin ein Ingenieur", erwiderte er dann empört. Andererseits schildern ihn die Damen als "rücksichtsvoll und aufmerksam, in einem altmodischen Sinn sogar liebenswürdig", wie eine Journalistin der Zeitschrift Autocar einmal schrieb.

Verwandt mit Pischetsrieder

Ein kompromissloser Mann mit Ecken und Kanten also, vielleicht, weil seine Jugend alles andere als wohlbehütet war. Geboren wurde Issigonis am 18. November 1906 in der Hafenstadt Smyrna, dem heutigen Izmir. Der Vater, Brite griechischer Herkunft, betrieb dort ein Unternehmen für Schiffsmotorentechnik. Über die Mutter, Hulda Prokopp, eine Bierbrauerstochter, reichten die verwandtschaftlichen Bande auch nach Deutschland. Der gerade abgelöste VW-Chef Bernd Pischetsrieder ist ein Großneffe von Issigonis.

1922, in den Wirren der türkischen Staatsgründung, musste die Familie nach Malta fliehen, der Vater starb dort, da war Alec gerade 16. Weiter ging es mit der Mutter nach London, dort folgten drei Jahre Maschinenbau-Ausbildung auf dem Battersea Polytechnikum - und damit ein lebenslanger Kampf gegen die Allmacht der Zahlen: "Mathematik", sagte Issigonis einmal, "ist der natürliche Feind eines jeden kreativen Menschen." Also wurde nichts aus einem weiterführenden Studium.

Teurer als der Käfer

Doch konstruieren - das hieß vor allem: zeichnen - konnte Issigonis auch so, besonders, wenn er die richtigen Leute fand, um seine Skizzen umzusetzen. Berufliche Stationen waren zunächst ein freies Konstruktionsbüro, es folgte 1934 die Marke Humber, zwei Jahre später Morris Motors. 1941 startete dort das Projekt Mosquito, die Entwicklung eines kompakten Viersitzers, bei dem Issigonis für Design und Technik verantwortliche war.

1948 feierte der Minor Premiere und auch wenn ihn Firmen-Gründer William Morris als "pochiertes Ei" verspottete - der Kleine wurde ein Hit. Dennoch wollte Issigonis die Verschmelzung von Morris mit Austin zur BMC 1952 nicht mitmachen - zu sehr fürchtete er um seine Unabhängigkeit nach der Elefantenhochzeit. Es folgte ein Intermezzo bei der Sportwagenfirma Alvis, doch schon 1955 kehrte der Workaholic zur BMC zurück - als stellvertretender technischer Leiter des Austin-Werks in Longbridge. Dann kam der Mini.

Szenenwechsel: Aktueller Fototermin mit dem Ur-Mini aus der Asservatenkammer von BMW, einem Morris 850 (als Austin nannte sich der Mini "Seven"), Fertigungsnummer 322, Erstzulassung November 1959 in Dänemark.

Noch immer verblüfft dieser Minimalismus: Ein schwarzes Lenkrad mit einem Kranz so dünn wie ein kleiner Finger thront derart flach vor dem Fahrer, dass er seine Arme darauflegen kann. Davor dehnt sich eine weit ausladende Ablagefläche, die nur deshalb Armaturenbrett heißt, weil sie ein einziges riesengroßes Rundinstrument trägt.

Darunter, in Griffweite, zwei Kipp- und zwei Zugschalter für Heizung, Licht und Scheibenwischer. Und ein Seilzug, um die Tür zu öffnen. Das war's. Angelassen wird der Kleine, der noch in seiner Originalfarbe glänzt, einem anmutigen Himbeer-Rot mit beige lackierten Rädern und Kühlergrill, mit Hilfe eines dicken Knopfs am Boden vor dem Beifahrersitz.

Teurer als der Käfer

Dann schnurrt der Vierzylinder mit seinen 34 PS noch immer wie ein verspieltes Kätzchen, das Autochen streckt sich ein bisschen und flitzt hoppelnd ums Eck. Dazu genießt man wunderbare Rundumsicht und jede Menge Platz, man glaubt es kaum. 5780 Mark kostete der Mini damals beim Importeur. Zum Vergleich: Einen Käfer gab's für 4600 Mark.

5,3 Millionen Exemplare liefen einschließlich aller Mini-Varianten bis zum Produktionsende im Jahr 2000 vom Band, er war geliebt von Adel, Jet-Set und Durchschnittsmenschen, gewann Rallyes und Rennen und wurde so nicht nur zum Kultauto, sondern zum Inbegriff des Kleinwagens schlechthin.

Und Issigonis wurde mit Ehrungen überhäuft, inklusive seiner Erhebung in den Adelsstand 1969. Bescheiden blieb er dennoch. "Ich habe den Mini nicht erfunden, ich habe ihn nur konstruiert", betonte er immer wieder. Am 2. Oktober 1988 starb Sir Alec, einen Monat vor seinem 82. Geburtstag.

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