Autohäuser der Zukunft:Das Auto wird zur Nebensache

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Der Kunde von morgen ist gut informiert, will modernste mobile Vernetzungstechnologie und verlangt nach individuellen Mobilitätslösungen. Teure Automarken sind deshalb unter Zugzwang, denn klassische Verkaufsstrategien haben ausgedient. Digitalen Showrooms gehört die Zukunft.

Joachim Becker

Chrom, Lack und Leder: Gut hundert Jahre lang war das Auto Kultobjekt, Transport- und Rauschmittel in einem. Ob jung oder alt - fast alle Generationen huldigten der individuellen Mobilität. Doch die Zeiten ändern sich, die Freiheit auf vier Rädern verliert - zumindest bei jüngeren Leuten - an Begehrlichkeit. Statt in PS-Prestige stecken sie ihr Geld erst einmal in coole elektronische Geräte. Internet, Tablet-PCs und Smartphones prägen einen neuen digitalen Lebensstil, das Fahren wird als Spaßfaktor Nummer eins abgelöst. Ganz abgesehen davon, dass der raumgreifende Individualverkehr an Grenzen stößt: "Wie soll und kann Mobilität aussehen in einer Welt mit sieben, ja bald neun Milliarden Einwohnern, von denen auch noch 70 Prozent in Megacitys leben werden?", stellt der Audi-Chef Rupert Stadler eine eher rhetorisch gemeinte Frage.

Mobilitätsverhalten und Kunden wandeln sich. Autobauer müssen sich darauf einstellen. (Foto: Bloomberg)

Natürlich wollen die Hersteller weiterhin Autos verkaufen, davon leben Marken wie Audi prächtig. Doch die nächste Kundengeneration, die es zu erobern gilt, träumt weniger von automobiler Autonomie als von einer möglichst umfassenden Vernetzung. Es ist daher kein Zufall, dass die Chefs von Audi und Daimler entsprechende Innovationen persönlich auf der CES, der weltweit größten Elektronikmesse in Las Vegas, präsentieren: "Unsere Modelle sollen für die Kunden das perfekte Mobile Device sein", sagt Audi-Mann Stadler. Der Siegeszug von Smartphones, Internet-Communitys wie Facebook und den Kleinstprogrammen (Apps) setzen Standards selbst beim Autoverkauf.

Der Kunde von morgen besitzt digitale Schwarmintelligenz

Neun von zehn Kunden, die heute ein neues Auto suchen, informieren sich zuvor online. Viele von ihnen sammeln dabei Informationen anhand von Bewertungen aus sozialen Netzwerken. Dank der Schwarmintelligenz von Millionen Usern verstehen sich diese neuen Kunden nicht mehr als passive Konsumenten. Sie möchten sich und ihre Wünsche in die Entwicklung neuer Produkte aktiv einbringen, wollen gehört werden und mitgestalten. Lange vor dem Autokauf kann so eine emotionale Beziehung zur Marke der Wahl entstehen.

Das wird desto wichtiger, je mehr sich der Trend vom Besitzen zum Nutzen hin verstärkt. Schon heute werden deutlich mehr als die Hälfte aller Fahrzeuge von Audi, BMW und Mercedes in Deutschland nicht verkauft, sondern verleast. Künftig werden die Hersteller ihren Kunden noch flexiblere Möglichkeiten zur Fahrzeugnutzung anbieten. Wer sagt denn, dass Fahrer von Firmenwagen nicht mehrere Automodelle im (jahreszeitlichen) Wechsel fahren wollen? "Die Mobilität von morgen muss maßgeschneidert sein. Der Kunde sucht sich dann das Konzept, das zu seiner Situation passt", erwartet Rupert Stadler.

Flexible Kombiangebote könnten für den Erfolg der Elektromobilität sogar ausschlaggebend sein. Wer seinen Stromer für die City jederzeit gegen ein konventionelles Auto für längere Touren tauschen kann, wird sich mit den Reichweitenbeschränkungen der neuen Technik schneller anfreunden. Die teuren Elektroautos haben ohnehin ein Riesenproblem, auf nennenswerte Stückzahlen zu kommen. Ziel muss es also sein, den alternativen Antrieb als begehrenswerten, neuen Lifestyle zu etablieren. Die sozialen Netzwerke und webbasierten Infotainment-Dienste weisen den Weg dahin: "Zwei der wichtigsten aktuellen Entwicklungen der Autoindustrie - die Vernetzung und die Elektrifizierung - sind getrennt voneinander entstanden, werden sich aber in Zukunft gemeinsam weiterentwickeln und beeinflussen", so Audi-Mann Stadler.

Ohne emotionale Beziehung zur Marke entscheidet beim Autokauf allein der Preis. Deshalb setzen Audi und BMW jetzt auf neue, exklusive Vertriebswege. Im Juli wurden fast zeitgleich und nur wenige Kilometer voneinander entfernt der erste BMW i Store und der erste Audi City Store eröffnet. Die Idee hinter den beiden Londoner Flaggschiff-Läden ist dieselbe: In den besten Innenstadtlagen von Metropolen soll den Passanten neueste Technologie mühelos nahegebracht werden. BMW präsentiert in der Londoner Park Lane gut ein Jahr vor dem Verkaufsstart die ersten Elektrofahrzeuge der neuen Submarke BMW i.

In Großstädten sind künftig aber nicht nur Autos, sondern flexible Mobilitätslösungen gefragt. Deshalb steht im Schauraum ein Pedelec (Pedal Electric Cycle) neben dem City-Stromer BMW i3 Concept und dem Plug-in-Hybrid-Sportwagen BMW i8 Concept. Das kompakte Fahrrad mit Elektromotor ist eine praktische Ergänzung für den zäh fließenden Innenstadtverkehr: Es passt gleich zweifach in den Kofferraum des BMW i3 Concept und lässt sich blitzschnell auseinanderfalten.

Während der BMW i Store das Thema Nachhaltigkeit herausstellt, setzt Audi in seinen urbanen Treffpunkten auf digitale Erlebniswelten. Touchscreens in den Tischen und raumhohe Projektionsflächen sollen auch Menschen, die noch keinen tieferen Kontakt zur Marke hatten, spielerisch an die Produkte heranführen. Die Logik dahinter: 2007 zählten die Ingolstädter noch 23 Modelle, Mitte 2012 sind es bereits 36 und bis 2015 werden es deutlich mehr als 40 sein. Bei der Modelloffensive blickt der Laie ebenso wenig durch wie angesichts der Flut neuer Assistenzsysteme, Infotainment-Lösungen und Antriebskonfigurationen. Nur mit modernster Technik lässt sich die gesamte Modellpalette mit mehreren hundert Millionen Konfigurationsmöglichkeiten darstellen.

Auf den riesigen "Powerwalls" können die Video-Spieler ihren Traumwagen auch überlebensgroß und vor aller Augen durch unterschiedliche Landschaften fahren lassen. Markenbindung per Gaming-Event also, in dem die Automobiltechnik eher beiläufig vermittelt wird. Die Hightech-Präsentationsmittel sollen nicht nur in 20 Audi City Stores, sondern sukzessive auch in den klassischen Audi-Autohäusern zum Einsatz kommen.

© SZ vom 06.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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