Süddeutsche Zeitung

Gipfelnde Politiker und Autokonzerne:Weg mit den Lade-Hemmungen

Wieder einmal haben sich Automanager und Politiker getroffen, um die Zukunft der Mobilität zu verhandeln. Und wieder ist nicht viel dabei herausgekommen. Dabei drängt die Zeit.

Essay von Thomas Fromm

Wenn Politik und Wirtschaft nicht öffentlich und hinter verschlossenen Türen die Zukunft verhandeln, dann bleibt einem leider nichts anderes übrig, als darauf zu warten, dass die Teilnehmer mit der Veranstaltung fertig sind und berichten. So war das auch in dieser Woche beim Autogipfel im Kanzleramt. Drei Stunden hatten sie bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gesessen, mit dabei unter anderem die Chefs von BMW, Daimler und Volkswagen. Drei Stunden, in denen über die vielleicht größten Veränderungen in der Autoindustrie seit der Erfindung des Autos gesprochen wurde: Elektromobilität, autonomes Fahren, und vor allem: das drängende Problem der Ladeinfrastruktur für die Stromer. Und natürlich schwingt da immer auch die Frage mit, wer die für den Wandel erforderlichen Milliarden am Ende aufbringen soll. Die Konzerne? Der Staat? Die Kunden?

Später dann gaben Teilnehmer zum Teil sehr unterschiedliche Dinge zu Protokoll. Der Reihe nach: BMW-Chef Harald Krüger sprach von "guten Gesprächen". Bernhard Mattes, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), sagte: "Wir haben keine Zusagen bekommen, wir haben auch keine Versprechen gemacht". Die kommissarische SPD-Parteichefin Malu Dreyer sprach von einem "guten und konstruktiven Treffen". Jetzt seien "alle bereit, Tempo zu machen". Und Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) twitterte: Das Gespräch im Kanzleramt mit den Vertretern aus der Autoindustrie habe "Mut gemacht, dass wir durch Forschung, Innovation, Bildung und Infrastrukturausbau die einzigartige Erfolgsgeschichte dt. Automobilproduktion fortsetzen können".

Mut gemacht? Mehr nicht? Ein Twitter-Nutzer antwortete dem Minister so: "Ich übersetze mal: Gab lecker Kekse und Kaffee von Mutti. Alle, die wir für wichtig halten, haben gaaanz toll miteinander gespielt." Regierungssprecher Steffen Seibert hielt dafür fest, dass es sich ja lediglich um einen Einstieg in einen Gesprächsprozess gehandelt habe, und dann war da noch der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Er fand den Gipfel "schwer erträglich", sagte er später. "Ich dachte, mir fällt echt die Zeitung aus der Hand", so Kretschmann. Nun gut, vielleicht fand er den Termin auch deshalb so furchtbar, weil er selbst nicht mit dabei sein durfte. Die Ministerpräsidenten der Auto-Bundesländer Niedersachsen und Baden-Württemberg, also jener Länder, in denen sich die Konzernzentralen von Volkswagen und Daimler befinden, waren gar nicht erst eingeladen, und so musste der Stuttgarter Landesvater die Ergebnisse des Gipfels am nächsten Morgen nachlesen. Und da wird der grüne Landesvater festgestellt haben: So viel gab es da gar nicht nachzuarbeiten.

Denn im Grunde war auch dieser Autogipfel wie immer: Viele Diskussionen, viele Meinungen, am Ende dann der Plan, bis nach dem Sommer einen "Masterplan" für den Ausbau der Ladeinfrastruktur mit bezahlbarem Strom für die E-Autos in Deutschland auszuarbeiten. Diesmal geht es darum, den erwartbaren und tatsächlichen Bedarf der Hersteller an Ladesäulen zu ermitteln und zu schauen, wie weit man da inzwischen eigentlich ist. Nun könnte man sagen: So ein Masterplan ist besser als nichts. Andererseits: Die Themen, die man jetzt bis September angehen will, sind seit Jahren bekannt.

Elektromobilität im Land der Autoindustrie - ein Fall für Gremiensitzungen und Arbeitsgruppen, für Experten, Bürokraten und Vorstandsvorlagen. Alles, nur keine konkreten Ergebnisse. Geschrieben, gelesen, gelocht: so geht es von Gipfel zu Gipfel. Das große Planen begann vor fast zehn Jahren, als Bundesregierung und Industrie gemeinsame Ziele und Maßnahmen zum Ausbau der Elektromobilität in Deutschland formulierten. Das Ganze hatte damals den wunderbaren Titel "Nationale Plattform Elektromobilität", und weil Deutschland Autobauer-Land Nr. 1 war, wollte man auch künftig - was sonst - "Leitmarkt und Leitanbieter" für Elektromobilität werden. Das Ziel war, bis zum Jahre 2020 eine Million E-Autos auf die Straße zu bringen. Ein Ziel, von dem man heute meilenweit entfernt ist. Anfang 2019 sollen es gerade mal 400 000 Fahrzeuge gewesen sein - Hybrid-Autos mit dazurechnet. Die Nationale Plattform Elektromobilität wurde übrigens 2018 eingestellt, die Initiative heißt nun "Nationale Plattform Zukunft der Mobilität (NPM)". Klingt auch nicht schlecht, ändert aber auch nichts daran, dass nur wenig voran geht.

Auch nach diesem x-ten Autogipfel im Kanzleramt (der wievielte Autogipfel war das jetzt eigentlich schon?) ist man nicht viel schlauer als vorher, aber die Stimmung ist, immerhin das: gut. Die Frage ist, ob das reicht, um eine Branche zu retten, die an die 800 000 Beschäftigte in Deutschland hat und die die wohl wichtigste Industrie des Landes ist. In den Großstädten wächst eine neue Generation heran, die sich von Carsharing über öffentliche Verkehrsmittel bis hin zum E-Scooter so ziemlich alles vorstellen kann. Aber eben nicht, 30 000 Euro für ein eigenes Auto auszugeben. Von Kalifornien und China aus haben sich neue Anbieter aufgemacht, den deutschen Autobauern auf dem Gebiet der Elektroautos heftig in die Parade zu fahren - die Zeit für immer neue Autogipfel läuft also allmählich aus.

Zuerst war es die Industrie, die das Thema lange Zeit nicht erkannt hat. Jahrelang hat die Branche über alternative Antriebe gelästert, gelacht und erst mal alles aufgeschoben. Stress mit CO₂? Klimawandel? Strengere Gesetze? Ach was, geht doch auch so. Es gab Zeiten, da waren die Lobbyisten der Konzerne mindestens so wichtig wie die Ingenieure. Vielleicht sogar noch wichtiger. Es brauchte dann die Abgasaffäre bei VW und die immer strengeren CO₂-Grenzwerte der Europäischen Union, die die Industrie zum Umdenken zwangen. Bis 2030 sollen die CO₂-Emissionen von Neuwagen um 37,5 Prozent im Vergleich zu 2021 sinken; schon ab 2020 gilt ein Grenzwert von 95 Gramm CO₂/km. Eine einfache Rechnung: Gelingt es einem Massenhersteller wie VW nicht, schon in wenigen Jahren möglichst viele emissionsfreie Autos in den Markt zu drücken und sein Angebot zu drehen, kostet das Milliardenstrafen an Brüssel. Die Hersteller haben das inzwischen verstanden, aber: Sie können noch so schöne Elektroautos bauen - wenn nicht in den kommenden Jahren Hunderttausende neuer E-Tankstellen über das Land kommen, werden die Kunden auch weiterhin Benziner und Diesel kaufen. BMW-Chef Harald Krüger etwa plant viele neue E-Modelle. Aber die werden ihm nichts bringen, wenn die nicht aufgetankt werden können. Und je mehr Autos mit Verbrennungsmotoren Kunden in den nächsten Jahren noch ordern, desto größer werden die Probleme derjenigen, die diese Autos verkaufen. Ein bemerkenswerter, bislang so noch nicht da gewesener Marktmechanismus.

Der Bund fördert bereits Investitionen in die Infrastruktur, die Autokonzerne wollen ein Netz von Schnellladepunkten an den Autobahnen hochziehen, und auch die großen Energieversorger sind mit im Boot. Aber auf das, was auf die Industrie zukommt, wenn bis 2030 bis zu zehn Millionen Elektroautos über Deutschlands Straßen rollen, ist man nicht vorbereitet. Der VDA rechnet vor, dass man dann an die 100 000 Schnelllade-Säulen, eine Million öffentliche Ladepunkte und ein Vielfaches an privaten Ladepunkten brauchen wird. Was sich nach nüchterner Zahlenanalyse anhört, wird in Wahrheit ein enormer Kraftakt. Die Zeit drängt, die Klimaziele sind in Gefahr, und der Autoindustrie droht eine jahrelange, gefährliche Irrfahrt mit Diesel und Benzin. Der nächste "Masterplan" darf daher nicht wieder irgendein Masterplan sein. Es muss DER Masterplan werden. Konkret, verbindlich, und ohne dass strittige Details wieder auf den nächsten Gipfel vertagt werden.

Das Angebot wird sich nach der Nachfrage richten

Industrie und Politik müssen sich einigen, nach welchem Schlüssel der Plan am Ende bezahlt werden soll. Es kann nur auf eine Lösung hinauslaufen: Beide müssen ihre Taschen öffnen. Die öffentliche Hand wird nicht darum herumkommen, noch stärker als bisher in eine öffentliche Ladeinfrastruktur zu investieren. Es ist allemal besser, Ladesäulen aufzubauen, als Kaufprämien für die Anschaffung neuer Elektroautos auszuloben und damit diejenigen zu subventionieren, die sich ohnehin ein schickes Elektroauto von BMW leisten können. Aber auch die Stromkonzerne und die Autohersteller, die in den vergangenen (sehr guten und profitablen) Jahren Milliarden an Gewinnen eingefahren haben, werden einen großen Teil dazu beitragen müssen. Wer den Umbruch will, muss alles dafür tun, dass er auch stattfindet. Das Angebot wird sich am Ende eh nach der Nachfrage richten müssen: Je mehr Kunden an bestimmten Orten Ladesäulen verlangen, desto mehr wird sich dort der Aufbau von Ladeinfrastrukturen lohnen.

Es ist ein Umbruch, der die vielleicht größte Veränderung seit der Geschichte des Automobils mit sich bringt: Statt morgens an der Tanke zu halten und einmal vollzutanken, werden Besitzer von Elektroautos künftig viele Ladepunkte anfahren können oder das gleich von zuhause aus erledigen. Das Smartphone ans Kabel hängen oder einen i3 von BMW - künftig wird das keinen großen Unterschied mehr machen. Das bedeutet aber auch: Es müssen nicht nur die technischen, sondern auch die rechtlichen Grundlagen dafür geschaffen werden, sämtliche Tiefgaragen, Parkplätze vor Bürokomplexen oder die Innenhöfe von Mehrfamilienhäusern mit der nötigen Infrastruktur auszurüsten. Dafür müssen aber erst einmal die komplizierten Genehmigungsprozeduren vereinfacht werden. Wenn dann die grundsätzlichen Dinge geklärt sind, wird über den Strompreis zu sprechen sein. E-Auto-Fahrer können hierzulande schon mal bis zu 55 Cent pro Kilowattstunde bezahlen. Das ist nicht der Preis, der einen Dieselfahrer davon überzeugen dürfte, seinen alten Stinker gegen ein E-Auto einzutauschen.

Der vielleicht größte Umbruch, seit im Januar 1886 Carl Benz seinen Motorwagen zum Patent anmeldete, wird nicht umsonst zu haben sein. Es braucht hohe Investitionen, einige Kompromisse und vor allem Weitsicht. Aber die Anstrengungen werden sich lohnen - es geht um die Zukunft von Klima, Mobilität und Hunderttausende Arbeitsplätze. Und wenn man es richtig angeht, lässt sich am Ende sogar Geld damit verdienen.

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Quelle:
SZ vom 29.06.2019/cku
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