Autofreie Innenstädte:Die Welt unter dem Schleier

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Paris erstickt im Smog, die Stadt reagiert mit Fahrverboten für Autos. (Foto: AFP)

Smog, das giftige Gemisch aus Rauch und Nebel, geistert weiterhin durch Großstädte. Doch bislang werden konventionelle Autos selten aus der City verbannt. Dabei zeigen einige Beispiele, wie es funktionieren könnte.

Von Steve Przybilla

Ein T-Shirt also. Für Heiko Bruns, Vorsitzender des Vereins Autofrei e.V., erbringt das Kleidungsstück den schlagenden Beweis, dass sich die Zeiten eben doch ändern. "Wenn man vor zehn Jahren ein T-Shirt getragen hat, auf dem das Wort Autofreiheit vorkam, gab es nur zwei Reaktionen", sagt Bruns. Die eine: "Willst du gleich eins auf die Fresse?". Die andere: "Oder lieber später?".

Seit 1998 setzt sich der Verein für "ein Leben gegen den Strom ein", wie es die Mitglieder selbst formulieren. Zumindest von der Grundstimmung ist der Satz nicht mehr ganz aktuell. Wer heute kein Auto besitzt - in den Zentren deutscher Großstädte sind das mindestens 40 Prozent -, gilt nicht mehr automatisch als Öko-Spinner. "Politisch", sagt Bruns, "fehlt uns aber die Unterstützung." Wenn überhaupt, gebe es in Deutschland nur Symbolprojekte, etwa das Ziel Münchens, zur Radlerhauptstadt zu avancieren. Schlecht findet das Bruns nicht. "Sobald aber etwas zu Lasten des Autoverkehrs geht, wird's problematisch. Dann endet die Euphorie."

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Paris als warnendes Beispiel

Es gibt viele Gründe, konventionelle Fahrzeuge aus den Innenstädten zu verbannen. Den aktuellsten liefert Paris, wo Mitte März zum ersten Mal seit 1997 ein Fahrverbot verhängt wurde. Die gemessenen Feinstaubwerte hatten an einigen Stellen im krebserregenden Bereich gelegen. Als Feinstaub-Obergrenze gelten in der EU ein Jahresmittelwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter sowie ein Tagesmittelwert von 50 Mikrogramm. Letzterer darf an maximal 35 Tagen pro Jahr überschritten werden. In Deutschland war das zuletzt nur noch an 13 von 385 Messstationen der Fall.

Entwarnung bedeutet das trotzdem nicht. So geht das Umweltbundesamt davon aus, dass jedes Jahr 47 000 Menschen an den Folgen des Feinstaubs vorzeitig sterben. Allein in Deutschland. Das Umweltbundesamt fordert daher, die strengeren Grenzwerte der Weltgesundheitsorganisation (20 Mikrogramm) als Leitwert anzuerkennen. Auf politischer Ebene müsse endlich das Programm "Saubere Luft" der EU-Kommission umgesetzt werden, das eine drastische Einschränkung der lokalen Emissionen vorsieht.

Gemischte Bilanz bei den Umweltzonen

Ideen, wie man dies erreichen könnte, gibt es viele. Am bekanntesten sind die 48 deutschen Umweltzonen, in die Dreckschleudern erst gar nicht einfahren dürfen. Ihre Bilanz ist gemischt, gerade in Ballungszentren, in denen sich die nächste Autobahn oder Fabrik nur ein paar Meter neben der Umweltzone befindet. "Dieser Anteil der Schadstoffbelastung ist durch lokale Maßnahmen (. . .) nahezu nicht beeinflussbar", heißt es etwa im Luftreinhalteplan der Stadt Köln. Dort wird die Feinstaubgrenze inzwischen knapp eingehalten; der Grenzwert für Stickstoffdioxid ist aber immer noch zu hoch.

Andere Regionen leiden noch stärker. In 13 Städten wurde vergangenes Jahr der zulässige Tagesmittelwert für Feinstaub an mehr als 35 Tagen überschritten, darunter Gelsenkirchen, Stuttgart und Tübingen. Der dortige Oberbürgermeister Boris Palmer, ein Grüner, galt einst als glühender Verfechter einer Citymaut, durch die seine Stadt entlastet werden sollte. Nach massivem Druck der Autolobby hat er sich von seinem Vorhaben wieder verabschiedet.

Dicke Luft in Freiburg

Auch im (ebenfalls grün regierten) Freiburg herrscht dicke Luft. Trotz gut ausgebauter Radwege und ÖPNV-Verbindungen wälzt sich täglich eine Pendlerlawine mitten durch die Stadt. Autos ohne Umweltplakette dürften dort eigentlich gar nicht fahren, weil die Strecke mitten durch die Umweltzone verläuft. Doch das Regierungspräsidium pocht auf eine Ausnahme, da es sich bei der B31 um eine wichtige Verbindung in den Schwarzwald handelt. Schnelle Verbesserungen sind nicht zu erwarten - nun soll eine Studie herausfinden, wie man das Problem langfristig in den Griff bekommt.

Nimmt man die hiesigen Bemühungen als Maßstab, geht es jenseits der Landesgrenzen geradezu radikal zu. Im Nobel-Skiort Zermatt sind Autos seit Jahrzehnten verboten - mit dem Segen der Bevölkerung, die über die Regelung zweimal abgestimmt hat. Das Tiroler Bergdorf Serfaus hat 1985 eine eigene U-Bahn für Wintersportler eröffnet. Aktuell entsteht in Abu Dhabi die Ökostadt Masdar City, eine Metropole, die komplett ohne Autos funktionieren soll. Kein Punkt der Stadt, so sehen es die Pläne vor, darf mehr als 200 Meter von einer Haltestelle entfernt liegen.

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Und wann kommt in Deutschland der große Wurf? Bernd Herzog-Schlagk, Geschäftsführer des Verbands Fuss e.V., lacht kurz auf: "Im Koalitionsvertrag findet sich nicht mal das Wort Fußgänger." Statt Alternativen anzubieten, kürze die Bundesregierung seit Jahren die ÖPNV-Mittel. "Dabei greifen die Leute zu, wenn man ihnen etwas anbietet." Nur was? Abgesehen von einigen autofreien Wohnvierteln muss man lange suchen, um alternative Modelle zu finden. Zum Beispiel auf Helgoland. Auf der 1,7 Quadratkilometer großen Nordseeinsel fährt sogar die Müllabfuhr elektrisch.

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"Autos sind bei uns nicht nötig", betont Bürgermeister Jörg Singer (parteilos). "Zu Fuß erreicht man hier jeden Punkt in maximal 30 Minuten." Das Verkehrskonzept - selbst Fahrräder sind verboten - erfreue sich bei Touristen wie Einheimischen großer Beliebtheit. Allerdings, gesteht Singer, könne man eine Insel nicht mit einer Großstadt vergleichen. "Bis autofreie Innenstädte wirklich umgesetzt werden, wird es sicher noch 20 Jahre dauern", glaubt Singer, "aber sie werden kommen." Dann sagt der gebürtige Konstanzer allerdings etwas, das eher den Geist einer Autonation widerspiegelt: "Manchmal vermisse ich meinen Wagen ja schon ein wenig."

Im Elektroauto durch Garmisch

Am anderen Ende der Republik, im Alpenvorort Garmisch-Partenkirchen, dreht Christoph Ebert den Zündschlüssel um. Es passiert - nichts. Zumindest ist kein Geräusch zu hören, weil im Citroën C-Zero ein Elektromotor steckt. Das kleine Gefährt steht direkt vor dem Bahnhof, damit Touristen, die ohne Auto anreisen, sofort umsteigen können. Nun ja, fast: Zuvor muss man sich beim Carsharing-Anbieter Flinkster registrieren, 50 Euro Anmeldegebühr zahlen und die Codekarte zum Türöffnen im Bahnhofsbüro abholen. Dann kann es endlich losgehen.

Ein sanfter Druck aufs Gaspedal genügt, um den Flitzer durch die Bergstraßen zu jagen. Ebert ist stolz. Als Koordinator der "Modellkommune Elektromobilität" will er eine Vorreiterrolle einnehmen. Aus seinem Mund kommen Sätze wie: "Von der Energiewende bekommt man nichts mit, außer bei der Stromrechnung. Bei uns ist das anders." Zumindest ein bisschen. 16 Elektroautos stehen in Garmisch-Partenkirchen zur Auswahl, versorgt von elf E-Tankstellen. Eine halbe Million Euro stellt das Land der Modellkommune für ihr Projekt zur Verfügung; die Stadt selbst steuert den gleichen Betrag hinzu.

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Vor allem Touristen sollen auf die benzinlosen Gefährte umsteigen. In einer Umfrage hat die Gemeinde herausgefunden, dass momentan über 70 Prozent aller Gäste im eigenen Auto anreisen. "Wenn sie einmal hier sind, fahren aber über 90 Prozent maximal 60 Kilometer am Tag", sagt Ebert. "Für Elektroautos ist das ideal." Hannes Krätz, der Tourismusbürgermeister, drückt es blumiger aus: "In einer so angenehm aufgeladenen Urlaubsumgebung lässt sich die Barriere in den Köpfen leichter durchbrechen." Von einer autofreien Innenstadt, das weiß auch der Bürgermeister, ist man aber weit entfernt. "In diese Richtung könnte es gehen, auf lange Sicht."

Die Bundesregierung hat das Ziel ausgegeben, bis 2020 eine Million Elektroautos auf deutschen Straßen zu sehen. Erste Umsetzungsversuche laufen, etwa das "Schaufenster Elektromobilität", das Bayern und Sachsen ins Leben gerufen haben. So entsteht auf der A9 zwischen München und Leipzig (wo BMW seinen i3 produziert) momentan ein Netz von Schnellladestationen. Heiko Bruns von Autofrei e.V. hält solche Pläne für Augenwischerei: "Man umgibt sich mit dem Hauch von Elektromobilität, aber woher kommt der Strom denn?" Eine echte Chance, glaubt Bruns, habe E-Mobilität höchstens auf dem Land. "In der Großstadt braucht man keine Elektroautos, da gibt es genügend Busse."

Unterdessen hat das Emirat Abu Dhabi bekannt gegeben, dass sich die Bauarbeiten in Masdar City massiv verzögern. Ursprünglich sollte die Ökostadt im Jahre 2016 fertig werden; nun ist von frühestens 2025 die Rede. Im selben Jahr sollen auch in Freiburg die Bauarbeiten starten, um die abgasgeplagte B31 in den Untergrund zu verlegen. In Garmisch-Partenkirchen laufen die Fördergelder schon 2015 aus. Wer dann die Elektroautos finanziert? Der Bürgermeister überlegt lange. "Für uns ist das Risiko und Chance zugleich."

© SZ vom 29.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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