Autodiebstahl:Vom Fleck weg

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Eine Lenkradkralle erschwert Autodieben die Arbeit.

(Foto: dpa-tmn)

Mafia-ähnliche Banden haben den Autodiebstahl perfektioniert. Ihre Jäger haben kaum eine Chance gegen die organisierte Kriminalität. Doch ausgerechnet die einfachen Methoden schützen das Fahrzeug am besten.

Von Steve Przybilla

Ob Michael Branding den Kampf jemals gewinnen wird, ist fraglich. Zu zahlreich sind seine Gegner, zu gut organisiert, zu professionell ausgestattet. Ans Aufgeben hat er trotzdem noch nie gedacht. "Solange die Aufmerksamkeit auf uns gerichtet ist, können wir etwas bewegen", bekräftigt Branding und listet die kleinen Erfolge auf, die er und seine Mitstreiter in den vergangenen beiden Jahren erreicht haben: Die Polizeipräsenz wurde spürbar erhöht, eine Sonderkommission arbeitet Tag und Nacht, der Ministerpräsident schaut mehrmals im Jahr vorbei. "Aber es reicht einfach nicht", sagt Branding, der hauptberuflich Traktoren verkauft, inzwischen aber so etwas wie der Sprecher einer ganzen Region ist: Die brandenburgische Uckermark, direkt an der deutsch-polnischen Grenze gelegen, ist die vorderste Front im Kampf gegen Autodiebe.

"Allein 2012 wurden vier große Traktoren in der Umgebung geklaut", erzählt Branding, der den Schaden auf 250 000 Euro beziffert. Zwar habe die Versicherung gezahlt - aber eben nur den Restwert. "Der Besitzer hat noch gesehen, wie der Traktor davonfuhr und sofort die Polizei verständigt. Doch obwohl sie mehr als 20 Minuten bis zur Grenze brauchten, konnten die Diebe in aller Ruhe entkommen." So etwas ärgert den Geschäftsmann am meisten. Tausende Euro hätten die Firmen in den vergangenen Jahren in neue Technik investiert: Alarmanlagen, Sicherheitszäune, GPS-Überwachung. All das nütze aber nichts, wenn die Beamten nicht rechtzeitig zur Stelle seien.

Diebstahl ist zur Normalität geworden

In der Uckermark ist Diebstahl zur Normalität geworden. Zwischen endlosen Landstraßen, Feldern und abgelegenen Dörfern fällt es der Polizei schwer, eine flächendeckende Überwachung zu garantieren. Ende 2011 veröffentlichten 92 Unternehmen der Uckermark erstmals eine gemeinsame Bilanz. Ob Rasenmäher, Baumaschine oder Traktor: Einbrüche und Diebstähle führten demnach zu einem Verlust von 2,2 Millionen Euro in den vergangenen Jahren. Als diese Zahl publik wurde, schreckte sogar die Landesregierung auf und rief eine Spezialeinheit gegen organisierte Kriminalität ins Leben. Seit 2011 operiert die 96-köpfige "Soko Grenze" nun im gesamten Bundesland.

114 Kilometer von der Uckermark entfernt: Im polnischen Swiecko laufen die Telefonleitungen heiß. Gerade haben die Beamten einen Hinweis bekommen: An der Grenze zur Ukraine sitzt ein junger Mann in einem aus Deutschland stammenden BMW X5. Die Papiere hat er dabei, doch irgendetwas kommt den Polizisten verdächtig vor. "Schick doch mal die Kollegen zum Fahrzeughalter", sagt Ulf Buschmann zu seinen Mitarbeitern. Der deutsche Beamte leitet das gemeinsame Zentrum, in dem sich polnische und deutsche Beamte in einem Großraumbüro gegenübersitzen - inklusive Dolmetscher. Buschmann ist gut gelaunt: "Die Diebesbanden sind gut vernetzt, aber über eine solche Stelle wie wir verfügen sie nicht."

Marek Fila, Leiter des polnischen Grenzschutzes, sieht noch Verbesserungsbedarf: "Unsere Zusammenarbeit ist sehr gut, aber an der Gesetzgebung hapert es noch." Zwar dürfen deutsche Beamte einen Verdächtigen ins Nachbarland verfolgen (und umgekehrt), hoheitliche Befugnisse haben sie dort aber nicht. "Daran wird aber auf höchster Ebene gearbeitet", versichert Fila - just in dem Moment, als das Telefon erneut klingelt. Der Fahrzeughalter des BMW ist in Deutschland ausfindig gemacht worden, völlig überrascht, dass sein Auto 900 Kilometer von der heimischen Garage entfernt gefunden wurde. Fila freut sich, manchmal geht der Truppe eben doch ein Fang ins Netz.

19.658 Pkw-Diebstähle im Jahre 2011

Noch mehr Erfolg aber haben die Diebe. Bei den erbeuteten Fahrzeugen geht es längst nicht nur um Nobelkarossen und Traktoren. 19.658 Pkw-Diebstähle registrierte der Gesamtverband der deutschen Versicherer (GDV) im Jahre 2011 in Deutschland - die Fallzahlen steigen seit vier Jahren kontinuierlich an. Ganz vorne in der Länder-Statistik rangiert Berlin (3,6 Diebstähle je 1000 Pkw), dicht gefolgt von Hamburg (2,1) und Brandenburg (1,7). Dort verschwinden die meisten Autos über die 276 Kilometer lange Grenze zu Polen, wobei das Land laut Polizeiangaben längst nicht die Endstation der Autoschieber ist. Die Ermittler glauben, dass der Schengen-Raum größtenteils nur als Transitgebiet ins Nicht-EU-Ausland dient - so wie bei besagtem BMW, der kurz vor der ukrainischen Grenze gestoppt wurde.

Jedes Jahr veröffentlicht der GDV eine Tabelle "Lieblinge der Autodiebe". In der jüngsten Zusammenstellung stehen die BMW-Modelle X5 und X6 ganz oben. Pro 1000 versicherte Autos werden im Schnitt 17 von ihnen geklaut. Die begehrtesten Marken der Langfinger sind VW (bundesweit 6736 Diebstähle im vergangenen Jahr), BMW (2889) und Audi (2624). Doch nicht mal mit einer Schrottkarre ist man sicher. "Autodiebe stehen eigentlich auf alles", sagt Timo Lück, Leiter der Führungsgruppe der "Soko Grenze" in Frankfurt an der Oder. "Die hochwertigen Modelle gehen direkt nach Osteuropa, alle anderen werden ausgeschlachtet und in Einzelteilen weiterverkauft. Bei Razzien finden wir manchmal nur noch das Lenkrad."

Etwa zehn Großkontrollen führt die Sonderkommission pro Monat in der brandenburgischen Grenzregion durch. Ginge es nach Lück, wären es deutlich mehr. "Aber wir sind auf die Zusammenarbeit mit der Bereitschaftspolizei angewiesen", erläutert der Beamte, "und die haben mit Fußballspielen, Demonstrationen und bundesweiten Großereignissen schon genug zu tun." Steht also zu wenig Personal zur Verfügung, wie es Anwohner unterstellen? Der Soko-Sprecher überlegt. Das größte Problem sei die mangelnde Flexibilität. Mehrere Wochen im Voraus würden die Einsatzpläne erstellt, um die Beamten verschiedener Polizeieinheiten unter einen Hut zu bekommen. "Wenn uns das LKA den Tipp gibt, dass eine Bande einreist, können wir nur unzureichend reagieren."

Arbeitsteilung bei den Autoknackern

Die Autoknacker wissen genau, wie sie diese Schwachstelle ausnutzen können. Aus seinem Aktenstapel holt Lück einen DIN-A4-Zettel hervor, der die Organisationsstruktur der Diebesbanden erläutert. Demnach halten sich die Täter an eine strikte Aufgabenteilung: Ein Späher durchforstet Internetportale wie "Mobile.de" nach brauchbaren Fahrzeugen, ein anderer kundschaftet die Gegend aus. Der eigentliche Dieb überlistet nur die Alarmanlage, um das Auto kurz darauf an einen Kurier weiterzureichen. Dieser bringt den Wagen zum Ziel oder übergibt ihn unterwegs an einen Komplizen. "Jeder kennt nur die nächsthöhere Ebene in diesem Geflecht", erläutert Lück. Werde ein Täter gefasst, könne dieser im Verhör praktisch keine verwertbaren Informationen liefern - eine Struktur wie bei einer Terrorzelle.

Auch in ihren Methoden gehen die Autodiebe mit System vor. "Oft fährt ein Fahrzeug voraus, um die Gegend nach Polizeikontrollen auszukundschaften", erzählt Lück. Wer am Ende tatsächlich die Fäden zieht, weiß bei der Soko noch niemand - der Kopf des Bandenchefs ist im Diagramm als Silhouette dargestellt. "Für verdeckte Ermittler ist es besonders schwer, weil die Banden ausschließlich Familienmitglieder rekrutieren." Umgekehrt vermuten die Betroffenen seit Langem, dass die Autoschieber eigene Informanten in Deutschland haben. "Wenn die Diebe immer genau wissen, wo gerade etwas Wertvolles steht, kann das kein Zufall sein", konstatiert Traktorverkäufer Branding. Ob Kfz-Mechaniker, Firmenangestellte oder Mitarbeiter bei den großen Autokonzernen: Wer alles involviert ist, lässt sich nicht genau sagen. Sogar eine undichte Stelle bei der Polizei will Lück nicht ausschließen: "Unmöglich wäre das nicht."

344 Millionen Euro Schaden

344 Millionen Euro Schaden entstanden 2011 durch geklaute Autos, berichtet der GDV in seiner aktuellen Statistik. "Wird ein Modell extrem häufig gestohlen, kann die Prämie für die Teilkaskoversicherung etwas höher sein als bei anderen Modellen", erläutert eine GDV-Sprecherin. Allerdings: Eine besondere Priorität räumt die Versicherungswirtschaft dem Kampf gegen Autodiebe nicht ein: "Andere Schadensarten, etwa Glasbruch, verursachen ein Vielfaches der Kosten." Die reinen Zahlen geben den Versicherern recht: Wurden 1993 noch mehr als 100 000 Fahrzeuge in Deutschland als gestohlen gemeldet, reduzierten sich die Fälle bis 2011 um 80 Prozent. Allerdings steigt der Wert seit 2009 wieder an. Auch in der brandenburgischen Grenzregion sehen die Zahlen zunächst gut aus: 2012 wurden 546 Kraftfahrzeuge gestohlen - 18 Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Allerdings ging gleichzeitig die Aufklärungsquote zurück.

Nicht nur Betroffene klagen, dass Autodiebstahl in Deutschland insgesamt zu wenig ernst genommen werde. "Der Verband der Versicherungswirtschaft geht nicht in die Offensive", moniert Manfred Göth, Inhaber eines kriminaltechnischen Prüflabors und ehemaliger Ermittler beim LKA Wiesbaden. Göth wirft der Polizei vor, die Diebstähle lediglich zu verwalten. Sondergruppen in Großstädten seien "nur ein Tropfen auf den heißen Stein". Und auch die Fahrzeughalter schieben keine Panik: "In Deutschland werden Diebstahlschutzsysteme seltener geordert als im weltweiten Durchschnitt", erläutert ein BMW-Sprecher. Wie viel die Konzerne für die Forschung an Diebstahlsicherungen ausgeben, wollen jedoch weder BMW noch Mercedes verraten. Audi verweist lediglich auf eine eigene Abteilung, die sich ausschließlich dem Diebstahlschutz widme.

Starkes Sicherheitsgefälle in Deutschland

Ein Grund für die Halbherzigkeit im Kampf gegen Autoknacker könnte das starke Sicherheitsgefälle in Deutschland sein: So ist in den Produktionsländern Baden-Württemberg und Bayern die Wahrscheinlichkeit verschwindend gering, Opfer eines Autodiebstahls zu werden. In Städten wie Düsseldorf, Leipzig, Hamburg oder Berlin boomt hingegen das Geschäft der Langfinger. Wie man sie am effektivsten bekämpft, darüber gehen die Meinungen auseinander. Konsens herrscht allerdings in der Frage, warum selbst ausgefeilte Wegfahrsperren und Alarmanlagen überwunden werden können. "Der heutige Autodieb braucht keine Gewalt mehr", sagt Manfred Göth. Elektronikbauteile und -programme würden im Internet frei angeboten, teilweise zu erschwinglichen Preisen. Komme eine neue Diebstahlsicherung auf den Markt, vergingen oft nur wenige Tage bis zu deren Überlistung. "Es ist ein Wettrüsten", sagt Göth, "manche Täter mieten einen neuen Autotyp sogar eigens an, um zu schauen, was dort verbaut ist."

Ganz sinnlos ist die Technik aber dann doch nicht. "Die einfachsten Methoden schützen immer noch am besten", betont Soko-Sprecher Lück. Das könne schon eine mechanische Lenkradkralle sein, die mit moderner Elektronik nicht zu überlisten ist. "Kein Dieb kann es riskieren, länger als drei Minuten am Fahrzeug zu bleiben." Und Traktorverkäufer Michael Branding? Der will mit seiner Initiative weitermachen wie bisher. "Solange es ein solches Wohlstandsgefälle in Europa gibt, wird das Problem nie ganz verschwinden", glaubt der Geschäftsmann. "Aber wir können weiter Druck auf die Politik ausüben. Was in den letzten Monaten passiert ist, stimmt mich vorsichtig optimistisch."

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