Süddeutsche Zeitung

Autodesign aus Italien:Keiner baut schönere Sportwagen

Ferrari, Lamborghini und Co. sind ein ästhetisches Ereignis. Warum die beglückendsten Autos seit jeher aus Italien stammen.

Von Peter Richter

Die Restaurantterrassen von Forte dei Marmi waren schon gut gefüllt, als das Röhren eines Sportwagens die Gespräche zum Ersterben brachte. Wo in Deutschland ein Murren über Lärm und Gebaren von Sportwagenfahrern angehoben hätte, kam es in dem toskanischen Badeort zu einer Art Aufhorchen wie in der Oper. "Lamborghini!" hauchte am Nebentisch eine Dame, deren Kennerschaft zwischen dem heiseren Belcanto der Boliden aus Sant'Agata Bolognese und den höher tönenden Koloraturen der Konkurrenz von Ferrari zu unterscheiden wusste. Vielleicht hätte sie bei längerem Lauschen auch das Modell nennen können. Aber dazu war keine Zeit, denn die Dame fühlte sich zu einer Klarstellung bemüßigt: Ihre Verehrung gelte allein dem Wagen, nicht dem, der ihn fährt - sie bewundere die Macchina, nicht den Macho. Als der Lamborghini schließlich sichtbar wurde, ein Huracán übrigens, als also dem Sound die Formen folgten wie dem Donner der Blitz, da war es auch wirklich egal, wer da drin steckte. Die ganze Terrasse nahm in Dankbarkeit zur Kenntnis, dass er ihnen diese rollende Skulptur vorführte, eine Erscheinung, die aussah wie mit dem Sushimesser geschnitzt, und aß dann mit umso größeren Appetit weiter.

Aber gut, das ist Italien. Auf deutschen Autobahnen darf man entweder rasen oder man bekommt es mit einer Polizei zu tun, die Opel und solche Sachen fährt. Südlich der Alpen gibt es zwar eine Geschwindigkeitsbegrenzung, aber wer die überschreitet, wird von Carabinieri im Lamborghini zur Strecke gebracht. Wo Geschwindigkeit das ästhetischere Ereignis ist, beantwortet sich damit von selbst. Die "Velocità" haben sie sich in Italien schon als "Frau mit Flügeln an den Fersen" dargestellt (so beschreibt sie der Barockgelehrte Cesare Ripa), als Kutschen noch das schnellste Vehikel waren, das man nutzen konnte. Es spricht einiges dafür, die Italiener generell als die großen Avantgardisten der Automobilkultur zu feiern. Jedenfalls haben sie eine Tradition, treffsicher in die Zukunft zu schauen. Vielleicht hieß auch deswegen die wichtigste moderne Kunstbewegung, die von Italien ausging, Futurismus. Faktisch sahen die Autos nämlich immer noch aus wie Kutschen, nur ohne Pferd, als Tomasso Marinetti 1909 im "futuristischen Manifest" behauptete, ein Rennwagen sei schöner "als die Nike von Samothrake". Er schrieb das in der Zeitung Le Figaro, die in Paris erscheint. Und wenn Marinetti dabei schon vor Augen gehabt hätte, was die französischen Autodesigner im weiteren Verlauf noch alles aushecken würden, dann hätte er das vielleicht vorsichtiger formuliert. Aber er war nun einmal Italiener (so wie übrigens auch Flaminio Bertoni, der die berühmten Ausnahmen geschaffen hat, die die Verteidiger des französischen Automobilbaus jetzt vermutlich ins Feld führen wollen, die Ente und den Citroen DS.)

Marinettis Landsmann und Kollege Giacomo Balla malte 1913 ein Gemälde, das "Geschwindigkeit eines Autos + Licht + Geräusch" hieß, während es auf den Straßen noch Jahre dauern sollte, bis aus den Kutschen ohne Pferde erst Lokomotiven ohne Schornstein wurden und schließlich Autos, die, wenn sie zum Beispiel von Lamborghini kamen, tatsächlich fast so aussahen wie das wilde Bild von Balla - ein Rausch aus scharfen Kanten. Autos bauten auch andere, aber die gingen anders heran. In Deutschland versuchten sie sich an einer Art Bauhaus-Architektur auf Rädern. In den USA wiederum prägte Harley Earl das Styling der Autos mit immer ausladenderen Blech-Fantasien. Und dass man das tatsächlich Styling nannte und nicht Design ist bezeichnend, denn Design meint im Englischen viel zu sehr auch die technische Konstruktion.

Ist die Zeit der Supersportwagen vorbei?

Die Raketenformen und die Heckflossen, die Earl den Wagen der Jahrhundertmitte verordnet hatte, waren aber eher Ornamente, die Geschwindigkeit nur symbolisieren sollten so wie bei Ripa die Frau mit den Flügelfersen. Praktisch bewirkten sie damit eher das Gegenteil. Das Image von eher behäbigen Bodybuildern verfolgt selbst amerikanische Sportwagen bis heute. In Italien heißt Design hingegen disegno und stand schon in der Kunsttheorie der Renaissance für die Idee, das Ideal, dem mit der Farbe so weit es geht zum irdischen Dasein verholfen wird. So offensichtlich auch bei den Autos: Das Technische, die Konstruktion und die Leistung scheinen hier früher im Mittelpunkt zu stehen als anderswo. Vielleicht schon 1922 beim Lancia Lambda, dem ersten Wagen mit selbsttragender Karosse. Ganz sicher aber dann, als die Karosserie-Manufakturen von Pininfarina und Bertone immer maßgebender werden. Die Firma von Battista Pinin Farina hätte im Alleingang schon den Ruhm der "Scuola Italiana" im Automobielbau begründet, in dem sie all die stromlinienförmigen, pontonförmigen, schließlich trapezförmigen Supertrends des Autodesigns entweder miterfunden oder am elegantesten umgesetzt hat, nicht zuletzt für den Stammkunden Ferrari. Aber es gab eben zahlreiche Konkurrenzunternehmen im eigenen Land, am berühmtesten sicher die Carrozeria Bertone, wo Giuseppe Bertone, der selbst Rennfahrer war, dafür sorgte, dass auch normale Straßenwagen von der Formgebung für den Motorsport profitierten. So wurden die Fünfziger- und die Sechzigerjahre im Automobilbau in etwa das, was in der Kunstgeschichte die Renaissance war, in der auch anderswo viel produziert wurde, die ganz großen Meisterwerke aber überwiegend in Italien entstanden.

Fast immer sind die berühmten Sportwagen jener Zeit nach dem Prinzip des Goldenen Schnitts proportioniert: dynamisch, aber harmonisch. Das änderte sich allerdings, als in den Designfirmen ein Triumvirat von Designern antrat, die alle im Jahr 1938 geboren wurden und ab den späten Sechzigern die Dinge zuspitzten, auch ganz buchstäblich. Leonardo Fioravanti wurde zu dem Mann, der bei Pininfarina die Ferraris zu den flachen roten Keilen gemacht hat, die auf Postern in Millionen Jugendzimmern angehimmelt werden sollten (unter anderem von den Eltern.)

Giorgio Giugiaro hat zuerst als jugendlicher Chefdesigner bei Bertone, danach in der eigenen Firma Italdesign ebenfalls immer scharfkantigere Keile in die Welt geschossen - und zwar wie in einem Fernwettkampf mit Marcello Gandini, der ihn bei Bertone beerbt hatte und dort mit Skalpellen statt mit Stiften zu arbeiten schien, wobei die beiden der Welt nicht nur zweisitzige Testosterongranaten für reiche, schmal gebaute Jünglinge geschenkt haben, sondern auch Familien- und Kleinwagen, die als durchaus begehrenswert erfahren wurden, inklusive Fiat Panda und Golf.

Die große Zeit der radikalen Keilform aus Italien gilt heute als vorbei, die der Supersportwagen im Prinzip auch, für manche sogar die des Autos als solches. Aber auch alle ökologischeren Alternativen müssten zumindest attraktiv genug gestaltet sein, hat Giugiaro neulich die Lehre des italienischen Designs noch einmal zusammengefasst. Denn sonst hätten sie keine Chance in dieser hedonistischen Welt.

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SZ vom 26.09.2018/reek
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