Süddeutsche Zeitung

Autodesign:Der Kia Stinger entfaltet einen Design-Zauber

Lesezeit: 3 min

Die koreanische Limousine ist ein gereifter, selbstbewusster Herausforderer der deutschen Oberklasse. Und das Meisterstück eines Wirtssohns aus Bad Reichenhall.

Von Joachim Becker

Design ist die Kunst, ein Lächeln auf die Gesichter zu zaubern. Wenige beherrschen sie seit Jahrzehnten so erfolgreich wie Peter Schreyer. Seine Autos wie das Audi TT-Sportcoupé oder der VW Beetle wurden Design-Ikonen. Ein Kunststück, das er mit dem Kia Stinger wiederholen will. "So ein Auto zu machen, davon habe ich mein ganzes Berufsleben geträumt", sagt der 65-Jährige, der zu einem der drei Firmenpräsidenten der Hyundai Motor Group aufgestiegen ist. Seit zwölf Jahren leitet er das Kia-Design, seit 2013 auch die Formgebung der koreanischen Schwestermarke.

Wer mit dem Stinger unterwegs ist, spürt, wie präzise der Design-Zauber funktioniert. Mit kaum einem Testwagen sind wir so oft angesprochen worden. Es ist immer das gleiche Spiel: Im Wettrennen von Herz und Verstand siegt das Gefühl des Betrachters mit leichtem Vorsprung. Also erst die Faszination, dann der ernüchterte Blick auf das Marken-Emblem: Was, das soll ein Kia sein? Ein Abkömmling jener Marke, die eher für preiswerte Kompaktautos steht? Genau von dieser Positionierung wollten die Koreaner 2006 weg, als sie Schreyer engagierten. "Ein Auto ist etwas, das man nicht nur aus rationalen Gründen kauft, sondern weil man es haben will. Weil es einem gefällt." In der aufgeheizten Diskussion um Antriebsformen und Abgaswerte geht das manchmal unter.

Der Kia Stinger ist Schreyers Meisterstück. "Der hat halt Super-Proportionen, weil er so einen richtig schönen Abstand zwischen den vorderen Rädern und der Frontscheibe hat", erklärt er mit unüberhörbar oberbayerischen Tonfall. Die lange Motorhaube und das Prestigemaß des zurückversetzten Glashauses erinnern nicht von ungefähr an BMW oder Mercedes: Der viertürige Stinger basiert erstmals auf einer Hinterradantriebsplattform. "Bei Audi und VW gab es nur Front- oder Vierradantrieb, aus denen andere Proportionen folgen", so Schreyer. Wie er es geschafft hat, die nüchternen, frontgetriebenen Autos der Koreaner auf eine attraktive und wiedererkennbare Linie zu bringen, das ist seinen eigenen Worten zufolge "ein Traum". Am Anfang habe er das nicht zu hoffen gewagt. "Man kann das nicht planen. Es gab nur ein Gefühl, wo es hingehen könnte."

Wie beharrlich Schreyer seinem Gefühl gefolgt ist, lässt sich mittlerweile auch im Museum verfolgen. 2007 stellte der damals neue Chefdesigner die 4,30 kurze Sportcoupé-Studie Kee auf die IAA in Frankfurt. Das neue Kia-Gesicht, die sogenannte Tiger Nose, war schon zu erkennen. Zehn Jahre später wurde dieses Urmeter einer neuen koreanischen Formensprache in die "Neue Sammlung" der Münchener Pinakothek der Moderne aufgenommen. Keine geringe Ehre für den Wirtssohn aus Bad Reichenhall.

Genau die Markenikone, die sich Kia gewünscht hat

Während der Kee jugendlich-frech wirkt, ist der Stinger ein gereifter und sehr selbstbewusster Herausforderer der deutschen Oberklasse. Ein echter Augenschmeichler mit 4,85 Länge, aber nur 1,40 Meter Höhe und scheinbar endlos langen, breiten C-Säulen. "Wir haben erst einen Sportwagen und dann die viertürige GT-Variante in diesem Ferrari-Rot entworfen", erinnert sich Schreyer. "Von diesem Moment an haben alle Vorstände nur noch von 'The red car' gesprochen."

Sein rotes Auto mit den großen Lufteinlässen unter der langen Haube wurde zum Selbstläufer - obwohl es mit seinem Standardantrieb bei Kia allein auf weiter Flur steht. Der Stinger ist genau die Markenikone, die sich die Koreaner gewünscht hatten - ohne es als Auftrag klar zu formulieren: "Es hat mir keiner gesagt, was ich machen soll. Ich habe es einfach so gemacht, wie ich es am besten für die Marke fand." Das sei schon ein Risiko gewesen. Schließlich war Schreyer der erste Europäer, der in so einer verantwortlichen Position nach Asien gegangen ist. "Die Koreaner wussten, wo gute Autos entstanden sind. Sonst hätten sie ja mit ihren heimischen Designern weiter nüchterne Wagen machen können."

Klassische Eleganz, die über das Konventionelle hinausgeht

Von Anfang an versuchte Schreyer seinem Team dieses Bauchgefühl aus fast 50 Jahren Studium und Berufserfahrung zu erklären. Daraus ist ein "Design-Manifesto" entstanden, das die Runde durch das koreanische Unternehmen macht. Das dünne Bändchen sei keine exakte Gebrauchsanweisung für junge Kreative. "Es ist eher ein Kompass und keine Landkarte, wo man genau hinfahren soll. Dadurch bleibt für jeden Designer die Möglichkeit, sich selbst etwas zu überlegen." Mit dem Manifest bekam jeder Kia-Designer eine Billardkugel überreicht, während die Hyundai-Kollegen einen Flusskiesel erhielten: "Hyundai ist ein Wassertropfen, eher von fließenden und gespannten Formen und von der Natur inspiriert. Kia wirkt dagegen wie ein Eiskristall, mit architektonisch sehr genauen Formen und einem eher technoiden Ansatz", erklärt Schreyer.

Ausnahmen bestätigen die Regel. Der Reiz des Stinger besteht gerade darin, dass er den Eindruck einer technisch perfekten Fahrmaschine mit sehr natürlich wirkenden, muskulösen Formen verbindet. Klassische Eleganz eben, die gleichzeitig über das Konventionelle hinausgeht. Die deutschen Marken könnten sich da momentan eine Scheibe abschneiden.

Aber fährt sich der Stinger auch so sportlich, wie er aussieht? Wer einen einschmeichelnden Café-Racer erwartet, wird von dem etwas sprunghaften Federungskomfort aus seinen Träumen gerüttelt. Dem Stinger fehlt auch die Lenkpräzision eines BMW. Dafür bietet er viel Platz und einen sparsamen, gar nicht lahmen Diesel. Und der Preis von rund 51 000 Euro für einen voll ausgestatteten GT mit Glasdach und Leder-Interieur hält einen Respektabstand von gut 15 000 Euro zu ähnlich ausgestatteten deutschen Modellen. So viel Aufschlag muss einem ein Audi, BMW, Mercedes oder VW Arteon erst einmal wert sein.

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Quelle:
SZ vom 17.03.2018
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