Autobahnmaut:Fahren nach Zahlen

Die Pläne für eine Autobahnmaut sind ein Dauerbrenner der Politik. Ob sich der Aufwand lohnt, ist fraglich.

Joachim Becker

Maut geht immer. In keiner Diskussion über Steuererhöhungen fehlt dieser Klassiker des "Polit-Theaters" (ADAC). Das Reizwort genügt, um zuverlässig Tumult im Publikum auszulösen. Die Folgen sind bekannt: Der ADAC schlägt Alarm und übt sich in Politikerschelte. Und die Zuschauer, erregt ob drohender Mehrkosten, klatschen sich vor Vergnügen auf die Schenkel.

Mobiles Leben 31.05.10

In Deutschland hat man bisher nur mit der Lkw-Maut Erfahrungen gesammelt. Frankreich, Italien und sogar London sind da schon weiter.

Im April war es wieder so weit: Der Vorschlag des Umweltbundesamtes (UBA) zur Einführung einer flächendeckenden Pkw-Maut in Deutschland sei ungerecht und unsozial, wetterte Europas größter Automobilclub: "Auf die Autofahrer kämen jährliche Zusatzkosten von mehreren hundert Euro zu, sollte dieser abenteuerliche Vorschlag verwirklicht werden", zürnte ADAC-Präsident Peter Meyer.

Schon 2006 hatte der Club Mautforderungen der CSU als "unausgegorenes Provinzgeschwafel" bezeichnet. Die Argumente sind dieselben geblieben: Die maximal fünf Prozent ausländischer Autofahrer würden über eine Vignette höchstens 150 Millionen Euro einbringen, rechnete der ADAC damals vor.

Dem stünden anteilige Kosten von 300 Millionen Euro für Inkasso, Streckenkontrolle und Verwaltung gegenüber. Der Versuch, unsere europäischen Nachbarn auf den Transitautobahnen abzukassieren, sei letztlich ein Verlustgeschäft. Auch 2010 weist der ADAC auf die hohen Erhebungs- und Kontrollkosten eines bundesweiten Pkw-Mautsystems hin, die mindestens 20 Prozent der Einnahmen auffressen würden.

Ein intelligentes Mautsystem kostet Geld

Niemand bestreitet, dass ein intelligentes Mautsystem viel Geld kostet - auch die einschlägige Studie des Berliner UBA (www.umweltdaten.de/publikationen/fpdf-l/3929.pdf) nicht: "Während rein auf Finanzierung ausgelegte Systeme wie in Oslo nur zehn Prozent der Einnahmen als laufende Betriebskosten beanspruchen, erfordern Systeme mit Verkehrslenkungszielen zwischen 20 und 40 Prozent."

Wenn die Gebühren wie in London mit 9,50 Euro pro Tag sehr hoch ausfallen, hat die City-Maut merkliche Auswirkungen auf den Pendlerverkehr. Seit Einführung der "Congestion Charge" 2003 fahren 15 Prozent weniger Fahrzeuge in die Innenstadt. Deshalb bleiben die jährlichen Einnahmen mit 290 Millionen Euro hinter den Erwartungen zurück. Der positive Effekt ist aber ebenso wenig von der Hand zu weisen: Die Zahl der Staus hat um 30 bis 40 Prozent abgenommen. Wer heute Big Ben oder Westminster Abbey besuchen will, bekommt problemlos einen Parkplatz.

Maut allein löst kein Verkehrsproblem

Das kamerabasierte Kontrollsystem in London hat rund 150 Millionen Euro gekostet. Die Investitionen für Erfassungssysteme von 45 Millionen Personenwagen würden sich in Deutschland auf eine zweistellige Milliardensumme addieren. Also: Thema durch und ein Hurra auf die gute alte Mineralölsteuer? Tankstellen als fiskalische Kassenhäuschen sind tatsächlich billiger als Vignetten wie in Österreich und der Schweiz oder Mautstationen wie auf den Autobahnen Italiens, Frankreichs und Spaniens.

Doch diese Melkstationen für Autofahrer lösen nicht die zunehmenden Verkehrsprobleme auf den überlasteten Straßen. Nach dem Ende des billigen Öls brauchen wir mehr Intelligenz rund um den Straßenverkehr, wenn unser mobiles Leben eine Zukunft haben soll. Auch die CO2-Ziele der Europäischen Union und der Vorsatz, bis zum Jahr 2050 unabhängig von fossilen Kraftstoffen zu werden, lassen sich ohne die elektronische Verknüpfung von Fahrzeug und Verkehrsnetz nicht erreichen.

Nimmersatte E-Mobile

Der Die Zukunft des Autos - Ein Land unter Strom hat längst begonnen - das weiß auch der ADAC. "2015: Das Auto fährt elektrisch", verkündet die ADAC Motorwelt schon Ende 2009. Sieger bei diesem Systemwechsel werden nicht nur einzelne Autohersteller sein, sondern ganze Staaten, die ihre Infrastruktur radikal modernisieren. Dazu gehört ein Stromnetz, das sowohl Energie als auch Daten transportiert und eine Einspeisung von den mobilen Batterieträgern zurück ins Netz erlaubt.

Die nimmersatten E-Mobile sind ohnehin ständig auf Telematikdienste angewiesen, um im Wechsel von Laden und Fahren sicher ans Ziel zu kommen. Straßen und (Strom-)Tankstellen müssen in ein Netz von Datenautobahnen integriert werden, damit der E-Verkehr zuverlässig fließt - sonst werden ausgelaugte Batterieautos am Straßenrand das Durchkommen zusätzlich erschweren.

Wenn die Bundesregierung bis 2020 eine Million Elektrofahrzeuge auf deutschen Straßen sehen will, muss sie mehr tun, als Arbeitsgruppen für die technische Normung zu bilden. Bei der City-Maut in Stockholm erhöhte sich nach einer Mautbefreiung für Pkw mit alternativen Antrieben deren Anteil in weniger als einem Jahr von drei Prozent auf elf Prozent.

Kaufanreize für die ersten 100.000 Elektroautos wären schnell verpufft, wenn sie nicht an einen Infrastrukturausbau geknüpft werden. Wer Autos mit Verbrennungsmotor lediglich durch solche mit Batterieantrieb ersetzen will, steuert direkt in die nächste Sackgasse. Experten gehen davon aus, dass der Güterverkehr in der EU bis 2020 um rund 50 Prozent anwachsen wird, gleichzeitig soll der Personenverkehr weiter zunehmen. Angesichts dieser Blechlawine reicht es nicht aus, das Straßennetz auszubauen - es muss auch viel effizienter genutzt werden als heute.

Der Verkehrsfluss muss besser gesteuert werden

Die individuelle Mobilität 2.0 braucht ein generelles Update für die Straße: Schilderbrücken und Telematikdienste im Fahrzeug sind ein wesentliches Mittel zur Steuerung des Verkehrsflusses. Durchschlagenden Erfolg haben sie allerdings erst in Kombination mit finanziellen Anreizsystemen - sprich mit einer fahrzeug-, strecken- und uhrzeitabhängigen Straßenmaut. In den chronisch verstopften Niederlanden hat ein Feldversuch jüngst gezeigt, wie das gehen könnte: Rund um Eindhoven wurden ausgewählte Verkehrsteilnehmer sechs Monate lang mit einem nutzungsabhängigen Bezahlsystem ähnlich wie bei der deutschen Lkw-Maut für ihr Verhalten finanziell belohnt oder bestraft. Auf mehr als 200.000 gefahrenen Kilometern wurden die Stecke, Straßenart, Tageszeit und die Umwelteigenschaften des jeweiligen Fahrzeugtyps protokolliert. Ergebnis: 70 Prozent der Fahrer veränderten ihr Nutzungsverhalten, mieden den Berufsverkehr und fuhren häufiger auf Schnellstraßen statt im innerstädtischen Verkehr. Dadurch konnten sie ihre Kosten pro gefahrenem Kilometer um durchschnittlich rund 16 Prozent senken.

Wer die CO2- und Feinstaubemissionen nach der EU-Luftqualitätsrichtlinie konsequent weiter verringern will, kommt um Verkehrsleitsysteme inklusive einer Bemautung mittelfristig kaum herum. Auf Autobahnen genügen kamerabasierte Systeme nicht mehr, die meisten Fahrzeuge müssten wie heute schon die Lkw mit On-Board-Units ausgerüstet werden. Diese Geräte verfolgen die gefahrene Strecke per GPS und senden die Daten per SMS direkt in eine Leitstelle. Die Schilderbrücken auf den Autobahnen haben also lediglich Kontrollfunktion. Mehrere hundert Euro kostet so eine On-Board-Unit. Auch das käme die Pkw-Nutzer teuer.

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