Autobahnen, Brücken, Bahngleise:Deutschland kaputt

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Gefährliche Hitze: Zerstörter Straßenbelag auf der A93. Dort kam ein Motorradfahrer ums Leben. (Foto: dpa)

Die Stau-Meldungen zur Urlaubszeit sind kein Zufall. Seit Jahren steckt die Republik zu wenig Geld in den Erhalt ihrer Verkehrsinfrastruktur. Eines ist sicher: Nach der Wahl wird das anders. Fragt sich nur, wer zahlt.

Von Daniela Kuhr, Berlin

Es ist Sommer. Es ist heiß. Fast überall sind bereits Ferien. Glücklich, wer das Wochenende am See, am Meer oder in den Bergen verbringen darf - und schon da ist. Wer sich dagegen erstmal ins Auto setzen muss, um dorthin zu kommen, kann einem leid tun. Er braucht Geduld. Viel Geduld. Denn ausgerechnet in Deutschland, das für seine tempolimit-freien Autobahnen berühmt ist, bewegt sich in diesen Tagen häufig gar nichts mehr. Die Menschen stehen im Stau. In einem von 800, die sich täglich bilden.

Schuld daran sind zum einen natürlich die Sommerferien, die permanent in irgendeinem Bundesland beginnen oder demnächst auch schon wieder enden. Gerade war Baden-Württemberg dran, am Mittwoch folgt Bayern. Aber selbst wenn sich Millionen von Menschen gleichzeitig in Bewegung setzen, müsste das nicht zwangsläufig bedeuten, dass es jedesmal zum Stillstand kommt, wie an diesem Wochenende laut ADAC vermutlich wieder auf 15 Autobahnen im ganzen Bundesgebiet.

Deutschlands stauanfälligste Autobahnen (Foto: N/A)

Dass zur Zeit die Staumeldungen im Radio manchmal länger als die Nachrichten dauern, liegt vielmehr an einem schweren, für die größte Volkswirtschaft Europas geradezu unverzeihlichen Versäumnis: Deutschland steckt seit Jahrzehnten viel zu wenig Geld in den Erhalt seiner Verkehrs-Infrastruktur.

Zwar wurde bundesweit immer gebaut, aber viel zu häufig ging es dabei um neue Projekte: hier eine Umgehungsstraße, dort eine weitere Autobahn oder zumindest eine zusätzliche Spur. Dass aber alles, was einmal gebaut ist, irgendwann auch gepflegt und erneuert werden will, geriet dabei völlig aus dem Blickfeld. Für einen Politiker ist es nun einmal schöner, sich für eine neue Straße feiern zu lassen - als für einen neuen Straßenbelag.

Deutschland lässt seine Verkehrswege verkommen

Und so klafft seit Jahren eine tiefe Lücke zwischen dem Betrag, der nötig wäre, um die Infrastruktur in Schuss zu halten, und dem Betrag, der tatsächlich fließt. Was letztlich nichts anderes bedeutet als: Deutschland lässt seine Verkehrswege regelrecht verkommen. Und zwar nicht nur die Straßen, sondern auch die Wasser- und Schienenwege.

Von 29.000 Eisenbahnbrücken seien 1000 mehr als hundert Jahre alt, klagt Bahnchef Rüdiger Grube. Und von dem 34.000 Kilometer langen Schienennetz stamme der Großteil noch aus dem 19. Jahrhundert. Der Modernisierungsbedarf ist immens. Noch viel stärker bei der Straße. "Unsere größten Sorgenkinder sind die Autobahnen mit einstelligen Nummern", sagt Andreas Hölzel, Sprecher des Automobilclubs ADAC. "Fast die Hälfte aller Staus ereignet sich auf einer von ihnen." Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schätzt, dass ein Fünftel des Autobahn-Netzes und 40 Prozent der Brücken in einem kritischen Zustand sind.

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Welche Folgen das hat, war zuletzt mehrfach deutlich zu sehen. Ende vergangenen Jahres musste eine stark befahrene Autobahn-Brücke bei Leverkusen drei Monate lang für 3,5-Tonnen-schwere Fahrzeuge gesperrt werden, weil Risse aufgetreten waren. Eine weitere Brücke in der Nähe von Essen ist nur noch in einer Richtung befahrbar, weil die Fahrbahnübergänge dringend erneuert werden müssen. Und im Juni, als Deutschland ebenfalls unter einer Hitzewelle litt, platzten auf mehreren Autobahnen die Betondecken auf. Ein Motorradfahrer kam dabei ums Leben.

Schlaglöcher, Risse, Rillen - quer durch die Parteien haben Politiker erkannt, dass sie vor dem Problem nicht länger die Augen verschließen können. Ganze 7,2 Milliarden Euro müssten Bund, Länder und Kommunen in den nächsten 15 Jahren zusätzlich aufbringen, um Straßen, Schienen und Wasserwege zu reparieren. Jährlich! Zu diesem Ergebnis kam 2012 eine von der Verkehrsministerkonferenz eingesetzte Kommission. So ungeheuerlich der Betrag auch klingen mag: Unter den Verkehrsexperten in Wirtschaft und Politik zweifelt ihn niemand mehr ernsthaft an.

Und deshalb tagt auch bereits die nächste Kommission. Seit Juni suchen unter dem Vorsitz des früheren Bundesverkehrsministers Kurt Bodewig (SPD) sieben Landesminister und weitere Experten nach Möglichkeiten, wie sich der Betrag angesichts knapper Haushaltsmittel finanzieren lassen könnte. Am 27. September - fünf Tage nach der Bundestagswahl - wollen sie ihre Vorschläge präsentieren. Da in der Kommission Bund, Länder sowie mehrere Parteien vertreten sind, gehen die Mitglieder fest davon aus, dass ihre Ideen in irgendeiner Form Eingang in die Koalitionsverhandlungen finden - wer auch immer diese dann führen wird.

Das heißt: Es sind nicht etwa hübsche, aber belanglose Gedankenspiele. Was die Experten vorschlagen, hat vielmehr große Chancen, umgesetzt zu werden. Und deshalb darf man ruhig aufhorchen, wenn der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne), der in der Kommission sitzt, sagt: Die Mehrheit der Landesverkehrsminister und der Bund seien der Meinung, "dass wir eine wie auch immer geartete zusätzliche Nutzerfinanzierung brauchen, um die Sieben-Milliarden-Lücke zu schließen".

Diskussion um die Vignette

Eine Nutzerfinanzierung? Was heißt das genau? Es heißt, dass künftig alle, die die Infrastruktur benutzen, stärker zur Kasse gebeten werden sollen. In welcher Form kann Hermann noch nicht sagen. Nur so viel: "Wir denken im Moment in alle Richtungen." Leicht wird das nicht. Während Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) am liebsten eine Pkw-Maut in Form einer Vignette einführen würde, lehnt Hamburgs Verkehrssenator und Kommissionsmitglied Frank Hoch (parteilos) das ab. Genau wie Hessens Verkehrsminister Florian Rentsch (FDP). Hermann wiederum wäre für eine Maut zu haben, aber nicht als Vignette, sondern eine, die so ähnlich wie die Lkw-Maut funktioniert: bei der die Höhe der Gebühr also davon abhängt, wie viel Kilometer der Nutzer fährt.

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In alle Richtungen zu denken, kann heißen: eine höhere Mineralölsteuer zu erwägen oder eine andere Form der Steuerfinanzierung, etwa durch den Soli, wie es Kanzlerin Merkel gerade erwogen hat. Redet man mit Mitgliedern der Kommission, klingt es tatsächlich so, als sei vieles denkbar. Nur eines nicht: dass nach der Wahl alles beim Alten bleibt. Sieben Milliarden Euro müssen her. Und zwar schnell. Darüber scheinen sich die Politiker einig zu sein.

Mit jedem Tag, an dem das Geld fehlt, verfällt Deutschlands Infrastruktur ein Stückchen mehr.

© SZ vom 27.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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