Süddeutsche Zeitung

Autobahnbrücken:Es bröckelt und bröselt auch in Deutschland

  • Zwei Drittel der 40 000 Autobahn- und Bundesstraßenbrücken haben mehr als 30 Jahre auf den Pfeilern.
  • Die Bundesanstalt für Straßenwesen (Bast) bewertet fast die Hälfte der Autobahnbrücken nur mit "ausreichend" oder schlechter.
  • Einen Einsturz wie in Genua hält man in Deutschland trotz des schlechten Zustands vieler Bauwerke aber für "nicht vorstellbar".

Von Markus Balser, Berlin

In einem mehr als 300 Meter langen Bogen zieht sich die Talbrücke Thalaubach zwanzig Kilometer südlich von Fulda durch die bergigen Ausläufer der Rhön. Auf dicken Betonpfeilern überspannen die Fahrbahnen Felder und Wald in der Tiefe. Das Bauwerk aus dem Jahr 1968, über das täglich Zehntausende Autos auf der A 7 fahren, sieht für Laien solide aus. Doch ein aktuelles Gutachten attestiert der Konstruktion einen ziemlich kritischen Zustand.

Damit der Verkehr auf der wichtigen Verkehrsader überhaupt weiterrollen darf, wird die Brücke derzeit verstärkt. Eine Reparatur aber ist nicht mehr drin. Von 2022 an wird der Riese aus Stahl und Beton abgerissen und durch einen neuen ersetzt. Kosten: rund 50 Millionen Euro. Ständig muss die Brücke nun überwacht werden. Die Prüfer richteten sogar eine Alarmierungskette ein - falls sie die so wichtige Autobahn kurzfristig sperren müssen. Noch droht kein Ernstfall, doch der Herbst naht. Vor allem bei kühlem Wetter besteht laut Gutachten die Gefahr einer Beschädigung des Brückentragwerks.

Solche Protokolle des Verfalls sind selbst in Deutschland keine Seltenheit mehr. Im Gegenteil. Es bröckelt und bröselt allerorten. Zwei Drittel der 40 000 Autobahn- und Bundesstraßenbrücken haben mehr als 30 Jahre auf den Pfeilern. Die Bundesanstalt für Straßenwesen (Bast) bewertet fast die Hälfte der Autobahnbrücken nur mit "ausreichend" oder schlechter. 14 Prozent bekommen sogar die Noten "nicht ausreichend" oder "ungenügend". Nach den Regeln der entscheidenden Bundesbehörde heißt das: "die Standsicherheit und/oder Verkehrssicherheit sind erheblich beeinträchtigt oder nicht mehr gegeben". Auch das Bundesverkehrsministerium kam zuletzt auf mehr als 2500 Brückenabschnitte in mangelhaftem oder sogar ungenügendem Zustand.

Ein Unfall in Deutschland machte 2016 klar, wie schwer die Konstruktionen zu berechnen sind

Brückenfachmann Heiko Durth hält den schlechten Zustand vieler Bauten für ein ernstes Problem. Durth ist Abteilungsleiter im Dienst der hessischen Landesregierung in Wiesbaden und verantwortlich für die Planung und Instandhaltung von Straßen und Brücken. Bei den 6500 hessischen Brücken sieht Durth in 350 Fällen Handlungsbedarf. Mal ist es die Baustoffqualität, mal die Verarbeitung, mal der wachsende Verkehr, was sie mürbe macht. Bei der Thalaubachbrücke kommt vieles zusammen. Schweißnähte drohen zu reißen. Und während bei der Brückenöffnung vor 50 Jahren täglich 3800 Autos und 1300 Laster über die Brücke rollten, waren es zuletzt 47 000 Autos und 10 000 Lkw. "Die Belastungen durch die wachsende Mobilität sind stark gestiegen", sagt Durth.

Es ist aber nicht nur das Mehr an Verkehr, das den Brücken zu schaffen macht. Es ist auch die Art des Verkehrs. Immer mehr Ware wird auf den Straßen transportiert. Die transportierte Last der Lkw wird schwerer. Auch Autos wiegen heute deutlich mehr. Ältere Konstruktionen sind dafür nicht ausgelegt. Die meisten Brücken stammen aus den Sechziger- und Siebzigerjahren, als an ein derartiges Verkehrsaufkommen und einen solchen Wandel auf der Straße nicht zu denken war.

Einen Einsturz wie in Genua hält man in Deutschland in der Bast-Zentrale in Bergisch-Gladbach trotz solcher Entwicklungen und trotz des schlechten Zustands vieler Bauwerke aber für "nicht vorstellbar". Das Urteil "ungenügend" bedeute ja nicht, dass Brücken akut einsturzgefährdet seien, sagt ein Behördensprecher. Dies könne etwa bedeuten, dass Stäbe eines Geländers fehlten oder Beton auf der Fahrbahn abgeplatzt sei. In der Regel würden in der Folge Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, etwa Tempolimits oder Fahrverbote für schwere Lastwagen. Eine Vollsperrung sei meist nicht nötig.

Vor zwei Jahren aber machte ein schwerer Unfall auch in Deutschland klar, wie schwer die Konstruktionen zu berechnen - und wie folgenschwer Fehler sind. Im Juni 2016 war ein gerade frisch betoniertes Teil der neuen Schraudenbach-Talbrücke der A7 zwischen der Raststätte Riedener Wald und dem Kreuz Schweinfurt/Werneck eingestürzt. Mehrere Bauarbeiter wurden bis zu 26 Metern in die Tiefe gerissen. Ein Arbeiter starb. Verbindungselemente sollen unterdimensioniert gewesen sein, urteilte ein Gutachten später. Deshalb wurde eine Stütze instabil. Sie hielt dem Gewicht der Brücke einfach nicht mehr stand.

Roboter prüfen die Seile von Hängebrücken, Sensoren messen Erschütterungen

Regelmäßige Tests sollen dafür sorgen, dass die gewaltigen Bauten unter dem rollenden Verkehr nicht zum Sicherheitsrisiko werden. Alle sechs Jahre wird eine Brücke intensiv von Experten durchleuchtet. Sie fahnden nach Rissen. Sie kontrollieren Schrauben, Bolzen oder Schweißnähte. Sie klopfen mit Hämmerchen gegen den Beton, um Hohlräume aufzuspüren. Infrarotgeräte erkennen Feuchtigkeit, kleine Roboter prüfen die Seile von Hängebrücken, Sensoren messen Erschütterungen. Diese Pflicht gelte auch für Autobahnabschnitte, die von privaten Investoren betrieben werden, teilte das Bundesverkehrsministerium in Berlin mit.

Der Einsturz in Genua könnte aber auch auf hiesige Kontrollen Einfluss haben. "Wir werden uns sehr genau anschauen, was die Brücke zum Einsturz gebracht hat", sagt Durth. Denn wie die vierspurige Morandi-Brücke wurden auch die meisten Brückenbauwerke in Deutschland aus Spannbeton hergestellt - eine nach dem Zweiten Weltkrieg neue Bauweise. 70 Prozent der Fernstraßenbrücken bestehen hierzulande aus solchen Konstruktionen. Spannbeton enthält Stahleinlagen, die ihn zusammenpressen und stabiler machen. Erst im Lauf der Zeit spürten Ingenieure eine Schwachstelle auf: Wo Bauteile aneinandergekoppelt werden, treten Ermüdungen auf.

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hält den Vergleich von deutschen und ausländischen Brücken allerdings für unpassend. "Was in Deutschland als marode oder nicht ausreichend gilt, ist anderswo in einem guten Zustand eingestuft", sagte Scheuer.

Mehr Geld soll trotzdem in die Brückensanierung fließen. Die Mittel von 1,4 Milliarden Euro im aktuellen Haushalt sollen bis 2022 auf 1,6 Milliarden steigen - vorsichtshalber.

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Quelle:
SZ vom 16.08.2018/fued
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