Autobahn-Kapellen:Auf die Schnelle in die Stille

Vor 50 Jahren wurde die erste Autobahnkapelle gegründet, heute gibt es 32 - und regelrechte Fans.

Walter Schmidt

"Vater, verzeih' uns, bitte sei uns barmherzig", hat jemand in das schmucklose Rechenheft geschrieben, das gleich links vom Eingang der Kapelle auf einer Schreibkonsole liegt. "Danke Bitte Bete" steht auf dem Titelblatt - und daran halten sich die Einträge auch: Sie danken, bitten und beten, krakelig oder in Schönschrift, stilvoll oder mit derart vielen Fehlern, dass es nicht nur Deutschlehrern grausen kann.

Autobahn-Kapellen: Stiller Ort: Die Autobahnkapelle in Adelsried ist die älteste der 32 vergleichbaren Kirchlein in Deutschland. Bis zu 2000 Autofahrer suchen dort täglich nach Ruhe und Inspiration.

Stiller Ort: Die Autobahnkapelle in Adelsried ist die älteste der 32 vergleichbaren Kirchlein in Deutschland. Bis zu 2000 Autofahrer suchen dort täglich nach Ruhe und Inspiration.

(Foto: Foto: dpa)

Für die eilige Seele

Die Autobahnkapelle Geismühle an der Bundesautobahn 57 vom holländischen Nijmegen nach Köln duckt sich am Rand eines Wäldchens aus Eichen, Linden und Buchen unter deren Wipfel. Würde nicht die gleichnamige Getreidemühle von 1575 Reisende vom benachbarten Rastplatz herbeilocken, würde die Kapelle aus Ziegelstein und Glas womöglich ein Schattendasein führen. Doch so treten immer wieder Menschen in den von Kerzen stimmungsvoll erhellten Raum mit der rückwärtigen Glasfront, durch die der Blick ins Unterholz des Wäldchens fällt wie durch den Schaukasten eines Naturkundemuseums.

Behutsam, fast schüchtern treten die Besucher ein; manche lassen sich kurz auf einer der beiden Ruhebänke an den Seiten des Andachtsraums nieder und betrachten von dort die radscheibenförmige Bronzeplastik mit Bibelszenen im Zentrum der Kapelle. Andere blättern in den niedergeschriebenen Fürbitten und lesen dort Hilferufe von gläubigen Menschen am Rande der großen Straße: "Heilige Maria, Mutter Gottes hilf, beschütze uns vor allem, was uns bedrohen könnte."

Das kleine Gotteshaus auf dem Mühlenhügel am Niederrhein ist eine von mittlerweile 32 deutschen Autobahnkirchen und -kapellen. Die älteste von ihnen, die Kirche "Maria, Schutz der Reisenden" bei Adelsried, liegt an der A8 von München nach Stuttgart. Sie wurde vor 50 Jahren, am 12. Oktober 1958, geweiht und "am selben Tag sozusagen der Öffentlichkeit übergeben", merkt Pater Wolfram Hoyer vom Dominikanerkonvent in Augsburg an. Ein Jahr später folgte die als Autobahnkirche mitgenutzte Dorfkirche in Vlotho-Exter an der A 2.

Auf die Schnelle in die Stille

Die Autobahnkirche in Adelsried aber setzte alles in Bewegung. Der Augsburger Papierfabrikant Georg Haindl stiftete den Baugrund und bezahlte den Rohbau, damit in der Kirche für den Schutz der Reisenden gebetet werden konnte - und sei es nur für den eigenen. "Es gibt die Legende, dass diese Stiftung wegen eines Autounfalls in der Familie geschah, aber sie stimmt nicht", korrigiert Pater Hoyer eine oft zu lesende Behauptung. Vielmehr habe Haindl mit seiner Gabe an zwei "sehr geliebte Familienmitglieder" erinnern wollen, "die aber an Altersschwäche starben", und auch die Geburt seines Sohnes habe eine Rolle gespielt.

Autobahn-Kapellen: Blick in die katholische Autobahn- und Pfarrkirche "Maria am Wege" in Windach: Die Kirche ist wie ein Zeltdach konstruiert und greift so die Thematik des Unterwegsseins auf. Das Dach der Kirche wird, in Anlehnung an die "Grundpfeiler" der Kirche Jesu Christi - die Apostel - von 12 Betonpfeilern getragen.

Blick in die katholische Autobahn- und Pfarrkirche "Maria am Wege" in Windach: Die Kirche ist wie ein Zeltdach konstruiert und greift so die Thematik des Unterwegsseins auf. Das Dach der Kirche wird, in Anlehnung an die "Grundpfeiler" der Kirche Jesu Christi - die Apostel - von 12 Betonpfeilern getragen.

(Foto: Foto:)

Der jährliche "Tag der Autobahnkirchen"

Die Idee jedenfalls kam an, und so entstanden weitere solcher "Tankstellen für die Seele", wie die Kirchen schon genannt worden sind. Mittlerweile gibt es 15 evangelisch, sechs katholisch und elf ökumenisch getragene Einrichtungen für eine halbwegs stille Einkehr am Rand der hektischen Fernstraßen. Die am stärksten genutzte Autobahnkirche "St. Christophorus" an der A5 in Baden-Baden-Sandweier - ein 30 Jahre alter, pyramidenförmiger Bau - werde "täglich von etwa zweitausend Besuchern betreten", sagt Küster Heinz Rebmann.

Die Frage, welche Menschen in Rasthofnähe oder nur wenige Schritte von Zapfsäulen entfernt Trost und Ruhe suchen, wollte die Akademie der Bruderhilfe-Pax-Familienfürsorge klären, denn der kirchliche Versicherer aus Kassel engagiert sich für die Rastplätze zur inneren Einkehr, er gibt ein aktuelles Verzeichnis heraus und organisiert einmal im Jahr den "Tag der Autobahnkirchen".

Beauftragt mit der Studie wurden die Professoren Michael Ebertz und Burkhard Werner vom Zentrum für Kirchliche Sozialforschung an der Katholischen Fachhochschule Freiburg. Die Wissenschaftler haben vom Sommer 2007 bis Anfang 2008 die Besucher von 23 deutschen Autobahnkirchen und -kapellen befragen lassen und dann "mehr als 400 Fragebögen" ausgewertet.

Auf die Schnelle in die Stille

Danach werden die Stätten der Andacht von "etwa 40 Prozent der Besucher gezielt und mehrfach angefahren". Sie seien so etwas wie "Durchreise-Inseln" - vornehmlich für Berufstätige und Besucher, die häufig kommen, um sich dort von ihrer Reise zu erholen und in der Ruhe Kraft zu finden.

Offenbar gibt es regelrechte Autobahnkirchen-Fans. Die Besucher sind außerdem meist männlich und eher älter. Sie haben häufiger mittlere und höhere Bildungsabschlüsse und sind überdurchschnittlich oft verheiratete Eltern. Und schließlich: Katholische Autobahnkirchgänger besuchen auch evangelische Einrichtungen.

Durchschnittliche Verweildauer: zehn Minuten

Was die Besucher gerne besser hätten, klingt mitunter recht profan. Viele, vor allem Urlaubsreisende, würden es begrüßen, wenn neben den Kirchen ein WC und davor Sitzgelegenheiten zum Picknicken sowie ein Spielplatz bereitstünden. Auch Opferkerzen stehen auf der Wunschliste der Befragten. "Allerdings sind die meisten Autobahnkirchen in evangelischer Hand", so Ebertz, und das Entzünden von Opferkerzen sei im protestantischen Glauben nicht vorgesehen.

Dass die katholischen Besucher überwiegen überrascht Ebertz nicht, denn Kirchgänger fänden sich generell typischerweise eher unter Katholiken. "Für sie sind Kirchen heilige Räume, wo man Gott näher sein kann", sagt der Sozialwissenschaftler. Für ihn ist auch klar, dass die Autobahnkirchen sich neu orientieren sollten. "Eine Frage ist, wie man junge Menschen erreichen kann", auch durch die Ästhetik der Kirchen und eine spezielle Ansprache dieser unterrepräsentierten Besuchergruppe.

Auch blieben die meisten Besucher "nur etwa zehn Minuten", wodurch sich aus Sicht der Kirchenträger die Frage stelle: "Wie kann man in so kurzer Zeit eine Botschaft senden?" Dazu müssten wesentliche Inhalte "gut und religiös stimmig kommuniziert werden", urteilt der Freiburger Professor. Und mit Blick auf die häufigeren Besucher erscheint es ihm auch ratsam, ab und an Neues in den Kirchen anzubieten - wechselnde Botschaften und Themen also.

Auf die Schnelle in die Stille

Grenzen findet jedes Neukonzept jedoch schon in der mitunter sehr bescheidenen Größe der Einrichtungen. Neben großen Kirchen gebe es auch welche, "in die gerade mal fünf Leute reinpassen wie in ein Indianer-Tipi", sagt Ebertz. Zudem sind eine Reihe von Autobahnkirchen nicht als solche errichtet worden, sondern vor langer Zeit als noch immer genutzte Gotteshäuser mit eigener Gemeinde. Dies sei vor allem in Ostdeutschland der Fall.

Reizvolle Lektüre bieten für viele Besucher die ausgelegten Anliegen-Bücher, die Raum für Kommentare und Fürbitten anbieten. Laut Ebertz werde da "ganz viel hineingeschrieben", und keineswegs nur Beiträge, die mit der Autoreise zu tun hätten sowie den möglichen Gefahren, die von ihr ausgingen.

Beten für billigeres Benzin?

Dafür liefert die Kladde der kleinen Autobahnkapelle St. Raphael, gelegen an der A 57 Köln-Nijmegen auf dem Gelände der Raststätte Nievenheim, zum Teil sehr bewegende Beispiele. Während offenbar ein angehender Bundespolizist für seinen Job bei einer legendären Grenzschutzgruppe notiert hat ("Gib mir Kraft und Mut für die GSG 9. Danke!"), erhebt ein anderer Kapellenbesucher verzweifelt Klage gegen seinen Gott: "Wo bist du? Alle meine Gebete sind umsonst. Langsam verliere ich den Glauben an dich. Wo sind die Zeichen? Ich habe dir ein Versprechen gegeben. Meinst du, mein Vater will so leben oder ich?"

Im krassen Gegensatz zu solcher Dramatik wiederum stehen Einträge wie dieser : "Danke, lieber Gott, dass ich meine Brille wieder habe." Oder es finden sich simple Ausrufe der Freude, bisweilen sogar an Petrus: "Danke für das tolle Wetter!" Nur für billigeres Benzin hat noch niemand den Herrgott angerufen. Das kommt sicher auch bald.

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