Autotest B-Klasse gegen Golf Sportsvan:Sag nicht Baby-Bomber zu mir

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(Foto: Mercedes; Volkswagen)

Bei Kompaktvans zählen die inneren Werte. Mercedes interpretiert das mit der B-Klasse neu. Wie schlägt sie sich gegen den Golf Sportsvan?

Von Joachim Becker

Nichts wirkt älter als die Mode von gestern, das gilt auch für Vans: Was in den Achtzigerjahren als ultimativ praktisch und trendig erschien, kommt heute etwas altbacken daher. Der erste Renault Espace war seinerzeit eine Revolution: Die Großraumlimousine bot viel mehr Platz und vor allem Kopffreiheit als herkömmliche Autos. Auch die parkplatzkompatiblen Kompaktvans mit nur zwei Sitzreihen wurden Bestseller. Ihre halbhohe Sitzposition erleichtert nicht nur das Einsteigen, sondern lässt auch den Hinterbänklern mehr Beinraum als flache Limousinen mit Briefschlitzöffnungen für die Füße.

In diesem Sinne sind die raumfunktionalen Vans also Vorläufer der heute ach so beliebten Crossover-Modelle. Doch in der Mode zählt immer nur der jeweils letzte Schrei. Das Van-Segment schrumpft rapide, während Möchtegern-Geländewagen von einem Verkaufsrekord zum nächsten eilen. Als Segmentführer haben sie selbst Fließheck-Limousinen wie den VW Golf abgelöst. Da hilft es wenig, dass die kleinen Raumwunder mehr Kofferraumvolumen bieten als vergleichbare SUV- und Crossover-Modelle. Weil immer mehr Neuwagenkäufer Vernunft langweilig finden, wird BMW den 2er-Kompaktvan in der nächsten Generation durch eine Bergstiefel-Variante ersetzen. Aus Kostengründen dünnen auch Daimler, Ford, Opel und VW ihre Modellpalette aus und setzen voll auf SUVs. Das verheißt für Kompaktvans wie den VW Golf Sportsvan und die Mercedes B-Klasse nichts Gutes.

Autotest B-Klasse gegen Golf Sportsvan: Alles ist da, wo es schon immer war: Das Cockpit des Golf Sportsvan ist nüchtern, ohne viele digitale Spielereien.

Alles ist da, wo es schon immer war: Das Cockpit des Golf Sportsvan ist nüchtern, ohne viele digitale Spielereien.

(Foto: Volkswagen AG)

Kann schon sein, dass die hochgebockten Allradkraxler mit ihren Riesen-Schlappen nicht nur das Straßenbild, sondern auch die kollektive Wahrnehmung verändern. Jedenfalls wirken kleine Räder unter mächtigen Blechkörpern im Vergleich plump und pummelig. Ziemlich out sind auch die großen Glashäuser, die Kompaktvans optisch in die Höhe ziehen. Spötter sprechen von rollenden Telefonzellen. Die Rundumsicht ist zwar besser als durch die heute fast obligatorischen Schießscharten. Dafür lassen schmale Fensterbänder selbst Zweitonner flacher, breiter und sportlicher wirken.

Als digitaler Trendsetter hat die B-Klasse kurzerhand die großen Modelle überholt

Fazit der kurzen Stilkritik: Nicht der Zweck, sondern die coole Form heiligt jedes Mittel. Mercedes versucht der Retrofalle durch modernes Design ohne Kanten und Sicken zu entkommen. Auch der spoilerähnliche Aufsatz über dem Heckfenster der B-Klasse soll sportlich wirken. Und eine aufgestellte Dachreling ist gänzlich verboten, um die fließenden Linien nicht zu stören. Bella figura vor der Eisdiele macht der kleine Mercedes trotzdem nicht. Zu viel Funktionalität, zu wenig Image-Gewinn. Das ist schlecht in Zeiten, in denen sich viele Kunden nicht mehr fragen: "Was brauche ich?", um Personen und Güter von A nach B zu transportieren. Stattdessen steht selbst bei Volkswagen die vollständige Individualisierung ganz oben auf dem Programm. "Was will ich?" lautet der neue Schlachtruf all derjenigen, die sich vor lauter Service- und Unterhaltungsangeboten kaum noch retten können.

Die neue Mercedes-Benz B-Klasse Mallorca 2018  The new Mercedes-Benz B-Class Mallorca 2018

In der B-Klasse geht es deutlich futuristischer zu. Den großen Bildschirm gibt es allerdings nur gegen Aufpreis. Insgesamt lässt sich mit den Extras der Grundpreis schnell verdoppeln.

(Foto: Daimler AG)

Das Augenmerk verlagert sich auf den Innenraum: Hier spielt die Musik, beziehungsweise: hier plappert der Sprachassistent. Was sich jenseits der Panoramafenster abspielt, ist weniger interessant. Zumindest solange es noch keine animierte Umwelt wie bei Pokémon Go gibt. Die neue B-Klasse versucht mit ihrem hochauflösenden Widescreen-Cockpit jeden Hosenträger-Verdacht abzustreifen. Auch der nächste Golf wird ab Ende des Jahres zum todschicken Abspielplatz der digitalen Rundumversorgung. Der Sportsvan ist dagegen noch von altem Schrot und Korn. Von wegen digital Lifestyle auf hochauflösenden Displays: Der Bildschirm auf der Mittelkonsole wirkt wie ein aufgeflanschter Röhrenfernseher, der nur einen Bruchteil der Unterhaltungs- und Informationsangebote im Vergleich zur B-Klasse bietet.

Nützlichkeit allein steht auch beim Mercedes-Kompaktvan nicht mehr an erster Stelle. Das macht die 68-seitige (!) Ausstattungsliste überdeutlich. Mit edelsten Materialkombinationen verdoppelt der Testwagen kurzerhand den Grundpreis des B 200 d auf gut 60 000 Euro. Mehr Luxus und Digital-Programm können auch die Flaggschiffe der Sternenflotte nicht bieten. Im Gegenteil: Wer aus der neuen B-Klasse in die C-Klasse umsteigt, weiß, wie groß der Fortschritt bei dem frontgetriebenen Kompakten ist. Auf Wunsch werden zwei 10,25-Zoll-Displays mit je 26 Zentimeter Bildschirmdiagonale zur großen Bühne für das neue MBUX. Das Bediensystem, das auf "Hey Mercedes" hört, versteht zum ersten Mal fast alle Wünsche der Passagiere aufs Wort und setzt sie in Windeseile um. Das gilt nicht nur für Navigationsziele, sondern auch für andere Einstellungen wie die Wohlfühltemperatur. Von der wachsenden Zahl von Vernetzungsdiensten in der Cloud gar nicht zu reden.

Ohne die wulstige Hutze früherer Modelle strahlt die freistehende Mercedes-Media-Landschaft jetzt eine kühle Eleganz aus. Dagegen ist der Sportsvan sichtlich in die Jahre gekommen: Jeder Knopf ist beim Golf da, wo er immer schon war. Die Basis-Bedienung funktioniert oft nicht einmal schlechter als bei den vielen Eingabemöglichkeiten der voll ausgestatteten B-Klasse. Doch die Drehknöpfe wirken ungefähr so modern wie ein Tastentelefon. Zudem kann das System viele Digital-Gimmicks nicht bieten, deren Entwicklungstempo viel schneller ist als bei der Hardware. Wer sich an den Mercedes-Sprachassistenten gewöhnt hat, empfindet selbst Apples Spracherkennung Siri als veraltet. Wenn dann beim Abbiegen auch noch ein Live-Bild der vorausliegenden Straße mit großen blau animierten Abbiegepfeilen auf der Mattscheibe erscheint, wird das banale Autofahren zum Hightech-Videospiel. Das ist aufregender als jeder Eisdielen-Faktor.

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