Auto-Notruf-System eCall:Hallo, hier spricht der Unfall!

Mit dem automatischen Notruf-System eCall sollen per SMS auf Europas Straßen mehr Menschenleben gerettet werden. Noch aber wird gestritten - auch über die Kosten.

Joachim Becker

Sie fahren häufig schnell, besonders nachts auf der Landstraße: Jeder dritte Verkehrstote in Europa ist jünger als 25 Jahre. Während die Zahl der Verkehrsopfer insgesamt sinkt und so gering ist wie seit 50 Jahren nicht mehr, bleibt das Risiko für junge Fahranfänger überproportional hoch. Das liegt aber nicht immer nur am riskanten Fahrstil, sondern auch an Unfallort und -zeit. Denn auf dem Heimweg von einer Disco auf dem Land ist ein schwerer Crash deshalb besonders gefährlich, weil das Auto allzu leicht von der Bildfläche verschwindet - wer auf einsamer Straße über die Böschung kippt, kann lange warten, bis der Notarzt kommt.

Mit dem automatischen Notruf-System eCall sollen auf Europas Straßen per SMS  mehr Menschenleben gerettet werden. Noch aber wird gestritten - auch über die Kosten

So alarmiert das Rettungs-System eCall bei einem Unfall den Notarzt. Bis zum Jahr 2010 sollen europaweit alle Neuwagen mit der Technologie ausgestattet sein.

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Alarm binnen Minutenfrist

"Golden Hour" nennen Experten die Spanne, die Schwerverletzten bleibt, um durch die Intensivmedizin gerettet zu werden. Vergehen vom Unfall bis zur Ankunft im Krankenhaus mehr als 60 Minuten, steigen Sterblichkeit oder die Gefahr von Spätfolgen rapide an. Amerikanischen Untersuchungen zufolge könnten bis zu 27 Prozent der Todesfälle durch einen automatisierten Notruf, den sogenannten Emergency Call (eCall), vermieden werden. Der ADAC fordert nun den Pflicht-Einbau dieser Systeme in Fahrzeugen und rechnet vor, dass in Europa so jährlich bis zu 2500 Menschenleben gerettet werden könnten.

Das Prinzip des elektronischen Notrufes sieht vor, Rettungskräfte innerhalb einer Minute zu alarmieren. Werden die Airbags bei einem Unfall ausgelöst, schickt das System automatisch eine Daten-SMS mit Rufnummer und Positionsbestimmung des Unfallfahrzeuges.

Über ein integriertes Telefonmodul versucht die angefunkte Leitstelle dann sofort, die Fahrzeuginsassen zu erreichen; gleichzeitig wird der nächstgelegene Rettungsdienst alarmiert, dem die übermittelten Koordinaten bei der Ortung des Fahrzeugs helfen. Weil die Bordelektronik sofort auf den Crash reagiert und die Unfallstelle bis auf zehn Meter genau meldet, könnten die Sanitäter meist doppelt so schnell bei den Verletzten sein.

Die Europäische Union will die Zahl der jährlich im Straßenverkehr getöteten Menschen bis zum Jahr 2010 unter 25 000 senken. Diese Halbierung der Opferzahlen gegenüber dem Jahr 2000 aber ist ohne den automatischen Unfallalarm kaum zu erreichen - das weiß auch der Bundesverkehrsminister: "Möglichst von 2010 an sollen alle neu in Europa auf den Markt kommenden Pkw mit eCall ausgerüstet werden", kündigte Wolfgang Tiefensee Anfang Juni an.

In USA längst Standard

Mit zwei Jahren Verspätung gegenüber EU-Staaten wie Griechenland, Finnland, Schweden oder Italien haben Deutschland und Österreich den Vorvertrag unterzeichnet, der die europaweite Einführung des Notrufsystems ermöglicht. "Ich erwarte, dass sich weitere EU-Staaten schnell für eCall entschließen", so Tiefensee. Doch vieles ist noch ungeklärt.

In den USA ist eCall längst Standard in der automobilen Oberklasse. Mehr als 1,4 Millionen Autobesitzer schaudern bei dem Gedanken, im Ernstfall hilflos an endlosen Highways liegenzubleiben. Europäer haben offensichtlich mehr Gottvertrauen - die allerwenigsten sind bereit, für den automatischen Rettungsdienst zu zahlen.

So hat Mercedes 2005 sein System Teleaid abgeschaltet, Audi bietet gar kein Notrufsystem an und bei Peugeot sind nur 1686 Fahrzeuge für eCall freigeschaltet; Voraussetzung bei Peugeot sind die Navi-Systeme RT3 oder RT4, letzteres kostet ohne notwendige SIM-Karte für die Funkfunktion bereits 2300 Euro.

Im zweiten Teil lesen Sie, warum in der eCall-Technik auch ein Milliardengeschäft steckt.

Hallo, hier spricht der Unfall!

Volvo wird im Herbst des Jahres ein Safety-Paket namens "on Call" anbieten, das ohne Navigationsfunktion 1580 Euro kosten soll. Europas Marktführer bei der Telematik - der Kombination von Telekommunikation und Informatik im Auto - ist derzeit BMW. "Für unsere Kunden sind Innovationen insgesamt wichtig; deshalb haben wir die Dienste ausgebaut, als viele andere ihre Angebote wieder eingestellt haben", erklärt Sprecherin Susanne Cohn.

Ländersache Lebensrettung

Noch sind mit eCall ausgerüstete Autos in Europa so exotisch wie Schwimmfahrzeuge. "Äußerst ambitioniert" finden Fachleute daher die Ankündigung von Minister Tiefensee, von 2010 an einen europaweit einheitlichen elektronischen Notruf zu betreiben. "Ich kenne niemanden, der den Sinn von eCall grundsätzlich in Frage stellt", sagt Hans-Jörg Vögel, Leiter des Forschungsprojekts Telematik bei BMW. "Aber die Rettungsleitstellen in Deutschland und Europa sind heute noch weit davon entfernt, einen Datensatz über eine einheitliche Schnittstelle entgegennehmen zu können", schildert Vögel das Problem.

Lebensrettung ist in Deutschland Ländersache - wer den Notruf 112 wählt, landet bei der nächstgelegenen Rettungsleitstelle. Doch für den Ansturm von eCall-Daten sind die öffentlichen Einsatzkräfte nicht gerüstet. "Da die technische Ausstattung sehr unterschiedlich ist, wären nach unserer Einschätzung zum Teil erhebliche Investitionen nötig, um die mehr als 500 Notrufabfragestellen für eCall aufzurüsten", weiß auch der ADAC und befürchtet: "Das könnte die Umsetzung von eCall in Deutschland erheblich verzögern, das EU-Zieldatum 2010 wäre nicht zu halten."

Dem Verkehrsclub schwebt als schnelle Interimslösung eine Public Private Partnership vor: In den ADAC-Leitstellen könnten echte Notrufe aussortiert und sofort weitergemeldet werden, was die Rettungsdienste von Fehlanrufen entlasten würde.

Ein Milliardenmarkt

Trotz allem: Mit politischem Rückenwind könnte sich eCall zum Milliardenmarkt entwickeln. Besonders dann, wenn es neben der Notruftaste auch eine Service-Taste gäbe. Denn mit zusätzlichen Assistenzdiensten wie Pannenhilfe, dem ferngesteuerten Aufsperren des Fahrzeugs oder der Ortung von gestohlenen Autos wird in den USA gutes Geld verdient.

Und Dieter-Lebrecht Koch, Vorstandsmitglied im Europäischen Verkehrssicherheitsrat, stellt den geschätzten Jahreskosten von knapp fünf Milliarden Euro für die eCall-Infrastruktur fünf Mal höhere Einsparungen entgegen, inklusive der geringeren Dauer von unfallbedingten Staus.

Klar ist allen, dass es bei eCall nicht nur um Leben und Tod, sondern auch um Geld geht. So ist zum Beispiel noch nicht ausdiskutiert, in welchem Datenformat der automatische Notruf eines Tages verschickt werden soll. Die privaten Anbieter setzen bisher auf das bewährte SMS-Format; der ADAC dagegen hat für seine jüngste Machbarkeitsstudie In-Band-Modems genutzt, die parallel zur Sprechverbindung auch Daten verschicken können. Diese relativ junge Technologie aber ist durch Patente des in Seattle ansässigen Unternehmens Airbiquity geschützt, Lizenzzahlungen wären unvermeidbar.

Auch auf die Nutzer eines verordneten Notruf-Systems kämen Mehrkosten zu. Der Dienst über "112" bliebe zwar kostenfrei; aber der Einbau des Telefonmoduls, der Schnittstelle zum Airbagsystem und die Satellitenortung würde mindestens 200 Euro kosten. "Staatliche Zuschüsse", machte das Bundesverkehrsministerium bereits klar, "sind nicht vorgesehen."

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