Auto-Jubiläum:50 Jahre Alfa Romeo Spider: Aufstieg und Fall eines Filmhelden

"Die Reifeprüfung" machte ihn zum Star, dank einer langen Karriere wurde er zur Legende. Doch Alfa Romeo hat es fast geschafft, den Kult um den Spider zu zerstören.

Von Thomas Harloff

Der Begriff Kultfilm wird überstrapaziert, aber bei "The Graduate", hierzulande besser bekannt als "Die Reifeprüfung", passt er. 1967 löste der Film heftige Debatten aus. Er handelt von einem College-Absolventen, der erst eine sexuelle Beziehung zu einer mehr als doppelt so alten verheirateten Frau unterhält und sich später in ihre Tochter verliebt. Der Film stellt die Moralvorstellungen des amerikanischen Establishments nicht nur dar, es brachte sie in der realen Welt gehörig durcheinander.

So intensiv über ihn diskutiert wurde, so erfolgreich war der Film an der Kinokasse. Mit zahlreichen Preisen förderte auch die Kritik den bis heute anhaltenden Kult um "The Graduate". Außerdem gab er den entscheidenden Impuls für die Weltkarriere des damals 30 Jahre alte Dustin Hoffman. Er bescherte dem Folk-Rock-Duo Simon & Garfunkel mit "Mrs. Robinson" einen ihrer größten Hits. Und er machte den Alfa Romeo Spider weltweit populär. So populär, dass viele Autokenner heute noch vom "Graduate Spider" sprechen.

Wie in einem Werbefilm

Etwas Besseres als dieser Filmauftritt hätte den Marketingstrategen des italienischen Autobauers nicht einfallen können. Gleich mehrfach setzte Regisseur Mike Nichols den Spider so in Szene, wie es sonst nur Werbefilmer tun würden. Er ließ den Alfa über hügelige Straßen rund um San Francisco und auf die Oakland Bay Bridge fahren, natürlich untermalt von den lieblichen Stimmen Paul Simons und Art Garfunkels. Kraftvoll wirbelte der Wind Hoffmans Haar durcheinander. Flink schlängelte sich der kompakte Zweisitzer zwischen schwerfälligen US-Limousinen hindurch. Stets präsent war zudem das ungefilterte Motorgeräusch, das der Vierzylinder aus dem Auspuff trompetete. Wenn Hoffman mit dem Spider durch die Tunnels fuhr, durfte der 1,6-Liter-Motor sogar "Mrs. Robinson" übertönen.

Wie schön dieses Auto ist, lässt sich in diesen Szenen leicht erkennen. Dabei kam das Design des Spider in seiner Heimat Italien nicht so gut an. Wenig schmeichelhafte Spitznamen waren die Folge, meist traf die Häme die rundliche Form des Hecks. So war es keine Überraschung, dass die Designer das Hinterteil schon nach drei Jahren änderten. Von 1969 an gab es eine klare Abrisskante, außerdem verzichtete Alfa kurze Zeit später auf die gewölbten Gläser vor den Scheinwerfern. Der Spider, nun mit dem Beinamen "Fastback" behaftet, erhielt die Grundform, die er bis 1993 beibehalten sollte.

Plastik-Stoßstangen und Gummispoiler

Wenn sich am Design etwas änderte, dann Kleinigkeiten. Doch die machten den Spider nicht gerade schöner. Es ging los mit wenig eleganten Plastik-Stoßstangen, um den US-Sicherheitsvorschriften der Siebzigerjahre zu entsprechen, und setzte sich fort in den Achtzigerjahren, als Alfa Romeo dem Spider den Namenszusatz "Aerodinamica" und einen Heckspoiler verpasste. Der Volksmund fand jedoch eine andere Bezeichnung für diese Generation: Gummilippe. Die verschwand beim nächsten Facelift 1989 wieder, auch die Stoßstangen waren nun wieder in Wagenfarbe lackiert und fügten sich harmonisch ins Design ein. Dafür wucherten die Heckleuchten aus. Wieder war es das Heck, das nicht hundertprozentig mit der restlichen Form harmonierte.

Harmonie war dem Alfa Spider beim Fahren umso wichtiger. Ihm ging es um genussvolles, nicht um möglichst schnelles Vorankommen. Er wollte seine Insassen die Elemente spüren und etwas von der Welt um sie herum sehen lassen. Dennoch besaß er mit Hinterradantrieb und einem Gewicht von nicht einmal einer Tonne die richtigen Basiszutaten für flotte Touren auf kurvigen Straßen. Auch das weitere technische Rüstzeug wie Scheibenbremsen rundum, Fünfgang-Getriebe und Weber-Doppelvergaser hätte gut zu einem echten Sportwagen gepasst. Aber die Leistung der Motoren blieb - bei aller Drehfreude - überschaubar. Bei 88 PS aus 1,3 Litern Hubraum ging es los, bei 113 PS hörte es auf. Das reichte immerhin für eine Höchstgeschwindigkeit von 190 km/h.

Maßvolle Modernisierungen

So behutsam wie das Design entwickelte Alfa Romeo die Technik seines Sympathieträgers weiter. Die Triebwerke blieben vom grundsätzlichen Aufbau her gleich, bekamen jedoch über die Jahre eine Benzineinspritzung und Katalysatoren, außerdem elektronische Motorregelungen und eine variable Nockenwellensteuerung. Am Ende der 27-jährigen Karriere des klassischen Spiders waren die Triebwerke kaum stärker als an deren Beginn. Zwischen 108 und 138 PS leisteten die 1,6 und zwei Liter großen Motoren der vierten Serie - der kurze Zeit später vorgestellte, aber deutlich billigere Fiat Barchetta präsentierte ähnliche Werte.

Den Alfa-Entscheidern wurde langsam klar, dass das Ende ihres als Neuwagen verkauften Oldtimers nahte. Dass er ein moderneres Design brauchte, neue Technik und mehr Leistung, um sich von den kleineren und günstigeren Roadstern, die im Windschatten des erfolgreichen Mazda MX-5 auf den Markt kamen, abzuheben und abzusetzen. Dass die Zäsur aber so groß werden würde, dass da ein Spider auf den Markt kommen würde, der mit allen Traditionen bricht, war eine riesige Überraschung.

Der neue Spider, ein motorisierter Keil

Das Auto, das Alfa Romeo auf dem Genfer Autosalon 1994 vorstellte, war radikal anders als der elegante Vorgänger. Ein motorisierter Keil, dessen geometrische Formen das Designstudio Pininfarina so komponierte, dass er aussah wie ein Auto aus einer fernen Zukunft. Ein Auto, das es nun auch als Coupé (Alfa Romeo GTV) gab. Das unter der progressiv gestylten Karosserie viel Technik aus dem Fiat-Baukasten präsentierte. Darunter die Vierzylindermotoren, die ihre Leistung nun an die Vorderräder abgaben. Bei vielen Fans kam das neue Antriebs-Layout nicht gut an. Dafür erschloss sich Alfa mit diesem Spider neue Kundenkreise unter denen, die den Vorgänger inzwischen für zu altbacken hielten. Und unter denen, die auf leistungsstarke Motoren standen. Denn fortan gab es den Spider auch mit V6-Motor und bis zu 240 PS.

Sogar 260 PS hatte der Spider, der 2006 auf den Markt kam. Er sah wieder eleganter und gefälliger aus, hatte aber die fast einschüchternde Alfa-Front. Wie kleine runde Augen, die zwischen eng zusammengekniffenen Lidern hindurch stieren, flankieren zwei Scheinwerfer-Trios den charakteristischen, als "Scudetto" (Abzeichen) bekannten Kühlergrill. Darüber hinaus hatte der neue Spider aber nur wenig Traditionelles zu bieten. Der Innenraum war eher luxuriös als sportlich-spartanisch eingerichtet, die Sitzposition für einen Roadster viel zu hoch. Die Motoren, darunter auch Diesel, trieben wieder die Vorderräder an - außer beim V6-Topmodell, einem Allrader.

Der Spider verliert seine Seele

Sein größtes Manko war aber sein Gewicht. Die Plattform des damaligen Kooperationspartners General Motors trieb es je nach Motor und Ausstattung auf mehr als 1,8 Tonnen. Entsprechend unwillig benahm er sich in Kurven, das flinke Naturell des klassischen Spiders kam ihm völlig abhanden. Erschwerend kam hinzu, dass Alfa keine selbst entwickelten Motoren mehr anbot. Dass Konzernmutter Fiat die Vierzylinder lieferte - geschenkt. Aber dass die behäbigen und durstigen V6-Triebwerke von GM stammten, war für viele Alfa-Fans schwer, für manche gar nicht zu ertragen. Dabei war Alfa Romeo doch gerade für seine famosen V6-Benziner berühmt!

Der Spider verkörperte vieles von dem, was die gesamte Marke abstürzen ließ. Alfa Romeo produzierte weiterhin schöne Autos. Aber die Seele, die Markenidentität, das Emotionale ging im Laufe der Jahre völlig verloren. Kaum jemand wollte den mittelmäßigen, aber überteuerten Spider haben, 2010 verschwand er ganz leise vom Markt. Einen Nachfolger gibt es bis heute nicht. Vielleicht ja im nächsten Jahr. Den passenden Anlass gäbe es: Dustin Hoffmans Leinwand-Liaison mit Mrs. Robinson jährt sich dann zum 50. Mal.

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