Auto-Designer Hans Muth:"Wir werden langsamer"

Auf dem Weg zu einer neuen Mobilität: Der Autodesigner Hans A. Muth erklärt, wie wir in Zukunft das Elektroauto nutzen und warum die großen Autokonzerne Trends verschlafen.

Thies Jonas

Der Designer Hans A. Muth wurde 1935 in Rathenow (Kreis Westhavelland) geboren. Nach seiner Ausbildung zum Werkzeugmacher, Grafiker und Designer illustrierte er zunächst Automobil-Kataloge für Porsche, Mercedes, Opel und VW. Für die Zeitschriften des Motor Presse Verlags zeichnete er Designvorschläge zeitgenössischer Sportwagen. 1965 begann er seine Karriere als Designer bei Ford, 1971 wechselte er zu BMW, um dort als Chefdesigner die Verantwortung für das Interieur- und das Motorrad-Design zu übernehmen. 1980 ging Muth nach Japan, wo er zehn Jahre lang Autos, Kameras, Golfschlägern, Uhren und Hubschrauber entwarf. Heute bildet er den Design-Nachwuchs unter anderem am Art Center College of Design (ACCD) in der Schweiz aus.

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Raubtiermaul: Die Nase des Hai E3 erinnert stark an die Schnauze eines Haifischs.

(Foto: Foto: Thies Jonas)

sueddeutsche.de: Sie beschäftigen sich seit 50 Jahren mit dem Design von Autos. Wie sieht ihr persönliches Traumauto aus?

Hans A. Muth: (lacht) Man muss unterscheiden zwischen geträumten Autos und Traumautos. Mein geträumtes Auto ist ein Ferrari 275 GTB und ein 300 SL Flügeltürer. Mit denen bin ich groß geworden. Als sie herauskamen, war ich noch ein Jugendlicher. Sie haben mich begeistert und waren Motivation zum Beruf eines Fahrzeug-Designers. Das Traumauto aber ist in der neuen Mobilität angesiedelt; das gibt es so noch nicht. Es ist leicht, konsequent in seinem Layout auf die Möglichkeiten eines E-Antriebs und attraktiv. Die Analogie dazu ist eher ein Flugzeug. Bis auf die Rollgeräusche ist es ein sonores Dahingleiten, es ergibt eine völlig neue und nachvollziehbare Mobilitäts-Qualität, eben die neue Mobilität.

sueddeutsche.de: Was meinen Sie mit "neuer Mobilität"?

Muth: Wir werden langsamer, bewusster, diversifizierter und vielfältiger werden. Die Kurzstrecke fahren die Leute mit dem Elektroauto, für lange Strecken nehmen sie einen Diesel oder die Eisenbahn. Es geht auch darum, vom Rasen zum Genießen, vom Stress zur Lebensqualität zu kommen. Notwendig ist ein neues Bewusstsein. Betrachtet man die heutigen Autos genau, ergeben sich unterbewusste Zeichen ihres Zustands: Die aufgerissenen Mäuler als Kühleröffnungen schreien nach Luft, die ihnen wohl bald ausgeht!

sueddeutsche.de: Wir werden langsamer in einer immer rasanter werdenden Zeit?

Muth: Natürlich werden wir langsamer. Ist ein 500 PS starker und 250 kmh schneller Mercedes noch zeitgemäß, den ich doch nur aggressiv auf der Autobahn bewegen kann? Wofür braucht man diese ganzen Ausstattungsoptionen, diesen elektronischen Schalter-Schnick-Schnack; gefaltete Modemätzchen der Designaussagen? Was werden hier wirklich für Botschaften transportiert? Und dann die Suche nach einem Parkplatz. Wir werden alle verlangsamt. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder es kommt per Gesetz mit Anordnungen oder wir werden uns selber bewusst und öffnen uns den neuen Anforderungen und Gegebenheiten. Wir müssen umdenken. Das Schwierigste ist, das Bewusstsein für die neue Mobilität zu schaffen.

Mit den Genen des Großvaters

sueddeutsche.de: Gab es vor 50 Jahren, als Sie in die Autobranche eingestiegen sind, auch so einen Aufbruch?

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Kein Konkurrent für den Hai: Tesla, das momentan wohl bekannteste Elektroauto

(Foto: Foto: Reuters)

Muth: Nein. Es war die Nachkriegszeit. Die großen Autohersteller entwickelten die nächsten Schritte im Layout und in den Außenformen. Alles wurde homogener, integrierter. Mercedes-Benz begann wieder Autorennen zu fahren. Das war damals für mich begeisternd und aufregend. Mein Großvater war damals ein Automobil-Konstrukteur, lehrte an der TH Aachen Kraftfahrzeuglehre, zog sich später als Automobil-Grafiker und Maler mit dem zentralen Thema Auto und Kunst zurück.

sueddeutsche.de: Also kommt Ihre Leidenschaft fürs Auto aus der Familie?

Muth: Das sind die Gene meines Großvaters. Der war ein Automane, ein Wahnsinnstyp. Jedes Mal, wenn er uns besuchte, saß ich auf seinem Schoß, und er zeichnete mir Autos. Ich weiß heute noch, wie die aussahen.

sueddeutsche.de: Waren diese Skizzen modernen Elektroautos ähnlich?

Muth: Nein, das waren eher zeitgemäße Autos mit riesigen Rädern und Scheinwerfern, langen, geschwungenen Kotflügeln und niedrigen Scheiben, Ersatzrädern oder die Bundeslade als Heckabschluss.

sueddeutsche.de: Sie haben auf der eCarTec Messe in München kürzlich den Hai E3 vorgestellt. Ein Elektroauto, das Sie für die österreichische Firma Haidlmair entwickelt haben. Wie kam es dazu?

Muth: Der Werkzeugmacher Josef Haidlmair, Inhaber der Haidlmair GmbH, ist ein autobegeisterter Mann, sehr für alles Neue aufgeschlossen. Er sucht natürlich nach neuen Bedürfnissen für seinen Werkzeugbau und somit Materialien speziell in den Kriterien hohe Leichtigkeit und Festigkeit, also genau die Zutaten, die ein strom-angetriebenes Fahrzeug benötigt. Was liegt da näher, als sich der neuen Mobilität hinzuwenden? Das heißt, die bisher noch sehr hohe Gewicht der Batterien und der anderen Komponenten mit Leichtbauteilen zu kompensieren und sich Erkenntnisse und Erfahrungen aus einem mobilen Beitrag zu erarbeiten; also: vom Dienstleister zum Mitentwickler, nach dem Motto: Einfluss durch Initiative.

sueddeutsche.de: Wann startete das Vorhaben?

Muth: Das Projekt begann im Oktober 2008. Ich stieß im Februar dazu, als das Initial-Konzept fast am Ende war. Es fehlte automotive und gestalterische Kompetenz. Ich wurde dem Unternehmen von einem Marketingmann empfohlen, als man nicht mehr weiterwusste. So kam ich Ende Februar hinzu, schaute mir das Projekt an, machte einen 180-Grad-Schwenk und übernahm die Verantwortung für die neuere Konzeption, das Design und die Projektleitung. Wir haben ein Lotus-Chassis gekauft und alles weggelassen, was wir nicht verwenden und brauchen konnten. Ich hatte die Aufgabe, einen fahrbaren Referenz-Prototypen bis zum 11. September fertigzustellen.

sueddeutsche.de: Sie haben alles umgekrempelt? Wie sah das Projekt denn vorher aus?

Muth: Es war ein Einsitzer. Er sah aus wie ein Spielzeugauto, wie ein Hot Wheel. Das Fahrzeug war allein für Mitarbeiter konzipiert, jedoch im Gesamtkonzept so nicht überzeugend darstellbar. Die Idee eines Mitarbeiterfahrzeugs ist aber noch nicht gestorben - nach dem Erfolg und dem Zuspruch, den wir auf der eCarTec Messe von allen Seiten erhielten. Wir sind gerade dabei, das originale Kozept wieder aufzugreifen; jedoch konsequenter, nachhaltiger und ganz auf die Bedingungen in der Fahrzeug-Gestaltung ausgerichtet, die eine E-Antriebsauslegung vorgibt.

"Ich fahre ein Auto mit Charakter"

Auto-Designer Hans Muth: Auf zu neuen Ufern: Designer Hans A. Muth propagiert die neue Mobilität.

Auf zu neuen Ufern: Designer Hans A. Muth propagiert die neue Mobilität.

(Foto: Foto: Thies Jonas)

sueddeutsche.de: Wann könnte der Hai E3 in Serie gehen?

Muth: Vermutlich im dritten Quartal kommenden Jahres könnte das Fahrzeug in kleiner Serie zu kaufen sein. Es liegt natürlich auch an weiteren Fragen: Wie will sich Haidlmair in der weiteren Entwicklung positionieren? Brauchen wir Finanzpartner? Oder gibt es Interessenten, die das Ganze übernehmen wollen? In der Richtung laufen gerade Gespräche. Ende des Jahres werden wir sehr viel mehr wissen. Bauen werden wir den Hai aber auf jeden Fall. Dafür haben wir uns zu weit aus dem Fenster gelehnt.

sueddeutsche.de: Die große Stilikone bei den Elektroautos ist der Tesla. Ist der Hai ein ähnliches Auto?

Muth: Nein. Wir bedienen eine ganz andere Nische. Der Tesla ist ein waschechter Sportwagen, der über 200 Kilometer pro Stunde fahren kann und eine Reichweite von knapp 400 Kilometer hat. Der Hai ist konsequent für die Kurzstrecke gedacht. Wenn sie den sportlich fahren, reicht es für 150 Kilometer, bei "softer" Gangart für bis zu 180 Kilometer. Außerdem wird er preislich weitaus günstiger sein als der Tesla.

sueddeutsche.de: Der Prototyp heißt Hai E3. Wofür steht das E3?

Muth: Effizienz, Emotion und Energie. Das ist das Konzept. Wenn Sie eins von den drei Dingen herausnehmen, dann bricht das Ganze zusammen. Wenn Sie nur noch effizient und energiebewusst sind, dann kauft den Wagen keiner. Haben Sie nur die Emotion und die Effizienz, fehlt ihnen das Energiebewusstsein. Und das haben wir im Grunde genommen heute. Wobei, ich frage mich auch, wo eigentlich die Effizienz bei unserer heutigen Autos liegt?

sueddeutsche.de: Die großen Autohersteller zeigen sich zwar interessiert an Ihrem Hai, bringen aber derartige Projekte selbst nicht voran. Warum haben die großen deutschen Autokonzerne noch kein Elektroauto konstruiert?

Muth: Sie haben es mit Arroganz verschlafen. Kein Manager hat frühzeitig und weitblickend gesagt: Da kommt etwas Neues, fangen wir doch schon mal an! Wir hätten längst diese Alternativen. Keiner wagt mehr etwas. Die Konzerne sind so schwerfällig geworden, mittlerweile hat doch jeder seinen eigenen Controller. Konzernen fällt es schwer, Entscheidungen zu treffen. Die Effektivität ist völlig auf der Strecke geblieben. Es fehlen - wie mir scheint - die zwei weiteren E's.

sueddeutsche.de: Hängt diese Schlafmützigkeit auch damit zusammen, dass die Autobranche eine Männerdomäne ist?

Muth: Ja, natürlich. Früher hat das Auto die Frau beeinflusst. Da wollte die Frau zeigen, dass sie die Fahrzeuge bändigen kann. Heute beeinflusst die Frau das Auto. Es gibt Wagen, die vorwiegend von Frauen gekauft werden; der Mini zum Beispiel. Aber der wird häufig auch Töchtern von ihren Vätern zum Abitur geschenkt. Deshalb ist wohl auch die Versicherungsrate so hoch. Oder der Mazda MX5, ein absolutes Frauenauto. Wenn sie aber ein Frauenauto machen, wäre das ein Flop. Frauen wollen selbstbewusst das benutzen, was die Männer haben. Dennoch muss das Auto ausgerichtet sein auf ihren Bewegungsablauf. Eine Frau ist harmoniebedacht. Sie will wissen, wo sie etwas ablegen und wiederfinden kann - Stauraummanagement nennen wir das. Der Mann macht hinten die Klappe auf, schmeißt seinen Kram rein und auf geht's.

sueddeutsche.de: Welches Auto fahren Sie?

Muth: Einen Mini John Cooper Works, ein Kraft-Zwerg mit reichlich PS, die ich meistens für die nötigen Überholmanövern einsetze. Auf der Autobahn pendle ich mich so bei 130, 150 km/h ein. Wichtig aber war vor allem: Ich wollte ein Auto mit Charakter haben - und den hat dieser Wagen.

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