Digitalisierung:Wer darf mit Fahrzeugdaten Geld verdienen?

Vernetztes Auto, Symbolbild

Das vernetzte Auto kann sich nicht nur auf der Straße, sondern auch in einem Ökosystem von digitalen Diensten bewegen - ähnlich wie Smartphones.

(Foto: Audi)

Autohersteller wissen immer mehr über die Fahrzeuge ihrer Kunden und schicken Service-Angebote direkt ins Auto. Allerdings hat die Rundum-Bequemlichkeit einen Haken.

Von Frank Schlieben

Während die Öffentlichkeit weiterhin über Diesel, Feinstaub und Fahrverbote diskutiert, tobt hinter den Kulissen ein ganz anderer Kampf. Autohersteller und freie Werkstätten streiten um die Werkstattkunden von morgen. Dabei geht es um ungehinderten Wettbewerb, Datensicherheit und nicht zuletzt um das Selbstbestimmungsrecht der Kunden.

Die Automobilhersteller haben das Thema lange heruntergespielt. Schließlich gebe man alle Wartungs- und Reparaturinformationen, wie von der EU 2010 gefordert, an den freien Reparaturmarkt weiter. Diese sogenannten statischen Daten sind die Basis für jede fachgerechte Reparatur: Die Fehlercodes beispielsweise von Motor, Getriebe, Gemischaufbereitung, Abgasregelung oder Komfortsystemen werden in den zentralen Rechnern der Fahrzeuge abgelegt. Deshalb müssen sie mit entsprechendem Equipment für jede Werkstatt auslesbar sein. Doch um diese Daten geht es in der aktuellen Diskussion nur bedingt.

Die Automobiltechnik hat sich weiterentwickelt. Digitalisierung, Vernetzung und Echtzeitdaten sind die Schlagworte der neuen Zeit. Im freien Reparaturmarkt macht aber auch das Wort "existenzbedrohend" die Runde. Ein im November 2018 veröffentlichtes gemeinsames Positionspapier verschiedener Verbände belegt, wie kritisch die Situation ist: ADAC, TÜV, Versicherer und Kraftfahrzeuggewerbe fordern einen fairen Zugang zu digitalisierten und vernetzten Fahrzeugen. Dahinter steht die existenzielle Frage, wer in Zukunft noch Inspektionen, Reparaturen und neue Mobilitätsservices anbieten kann? Unter den Beteiligten geht die Angst um, dass ihre Geschäftsmodelle mittelfristig nicht mehr funktionieren.

Es geht also, wie so oft bei der Vernetzung, auch um Verdrängung. Die Verbände fürchten ein Monopol im Service- und Reparaturmarkt: Die Autohersteller wollen an ihren Fahrzeugen nach Möglichkeit über die gesamte Lebensdauer verdienen.

2019 wurde jedoch die Hälfte aller Reparaturarbeiten (ohne Service) von freien Werkstätten durchgeführt. Das zeigt der gerade erschienene DAT-Report 2020. Zum Ärger der Automobilhersteller betreuen freie Betriebe die attraktiveren Fahrzeuge: Autos, die älter als vier oder fünf Jahre sind, haben die höchsten Reparaturaufwendungen.

In Gang gekommen ist die Debatte durch den E-Call: Alle Neufahrzeuge in Europa müssen seit 2018 mit dem Notrufsystem ausgestattet sein. Über diese Funkverbindung werden permanent dynamische Daten aus dem Fahrzeug ausgelesen und gesendet. Neben den für die Notfallrettung relevanten Daten verarbeiten alle Steuergeräte im Fahrzeug Datensignale, die ebenfalls via Telematik an einen Empfänger übertragen werden. Bei einem Mittelklassefahrzeug sind das schätzungsweise 7000 verschiedene Datenpunkte, die permanent Fahrdaten, Zustände von Betriebsstoffen und einzelnen Komponenten, aber auch Umgebungsdaten des Fahrzeugs senden (Position, Wegstrecke, gefahrene Geschwindigkeit). Die Kommunikation funktioniert in beide Richtungen. Die Systeme im Fahrzeug können Daten von außen empfangen und verarbeiten. Beispielsweise für temporäre Karten-Updates des Navigationssystems oder eben für das digitale Reparaturangebot eines sich ankündigenden Schadens. Der vorausschauende Wartungshinweis poppt direkt auf dem zentralen Fahrzeugdisplay auf - und lenkt den Kunden in die Werkstätten der Hersteller.

Erst einmal verspricht die schöne neue Datenwelt mehr Komfort: Keine telefonische Terminvereinbarung, kein Anstehen vor einem Werkstatt-Annahmetresen, keine Diskussionen über Preise. Und keinerlei Verantwortung des Fahrers für die Überwachung des technischen Zustands: "Das zentrale Display wird im digitalen und vernetzten Fahrzeug zur neuen Verkaufsstelle für Reparatur- und Serviceleistungen", erklärte Frank Schlehuber, Director Aftermarket bei der CLEPA (europäischer Dachverband der Automobilzulieferer) schon 2015. Vergleichbar mit seinem Smartphone bekomme der Autofahrer permanent Angebote direkt auf den Fahrzeugbildschirm. Weil Daten aus dem Fahrzeug ständig ausgelesen würden, wisse man zu jeder Zeit um den technischen Zustand des Fahrzeugs und könne gezielt individuelle Angebote auf jeden Autobesitzer zuschneiden. Das alles ergänzt um Zusatzangebote für Mobilität, Garantie, Versicherungsschutz, Finanzierung oder sonstige Dienstleistungen.

Die neue Datenwelt verspricht mehr Komfort - den sich die Hersteller gut bezahlen lassen

Allerdings hat die Rundum-Bequemlichkeit einen Haken: Die individualisierten Angebote könnten teurer werden. Denn auf die dynamischen Daten und das Zentraldisplay im Auto können derzeit ausschließlich die Automobilhersteller zugreifen. Alle Daten aus den Fahrzeugen landen direkt auf den Servern der jeweiligen Hersteller. Und die sind bislang nicht gewillt, Drittanbietern einen direkten Zugang zu ermöglichen. Zu gefährlich, heißt es, man müsse die Fahrzeugsysteme vor Manipulationen von außen schützen. 2015 gelang es Teilnehmern einer Hacker-Konferenz in den USA, den zentralen CAN-Datenbus eines Chrysler Jeep über die Wlan-Verbindung des Multmediasystems zu entern. Seitdem malen die Hersteller Schreckensbilder an die Wand: Fahrzeuge könnten mittels Handy aus der Ferne gehackt werden, der Fahrer würde zum ohnmächtigen Passagier. Manipulationssicherheit ist tatsächlich ein starkes Argument. Allerdings spricht es nicht gegen standardisierte, interoperable Schnittstellen für Drittanbieter - solange sie den Sicherheitserfordernissen der Autohersteller entsprechen. Zumal Apple, Google und andere über Schnittstellen längst tief in die Systeme moderner Fahrzeuge eingebunden sind.

Statt eine offene Telematik-Plattform zu schaffen, wollten die Automobilhersteller die Digitalisierung und Fahrzeugvernetzung gezielt zur aktiven Steuerung der Kunden nutzen. Ein klarer Fall von Marktmanipulation, so lautet jedenfalls der Vorwurf der Vertreter des freien Marktes. Und der könnte künftig wesentlich größer sein als bisher: Versicherungsangebote, Pannenhilfe, selbst Ort und Anbieter der nächsten Hauptuntersuchung könnten Hersteller über ihren vollen Durchgriff bis auf das Fahrzeugdisplay steuern und damit Kaufentscheidungen von Autofahrern beeinflussen.

Ob die Forderungen der Verbände und Organisationen vom EU-Gesetzgeber noch einmal explizit aufgegriffen werden, ist derzeit offen. In zwei Resolutionen hat das Europäische Parlament für eine offene Telematik-Plattform plädiert: Die Kommission müsse (gesetzgeberische) Maßnahmen treffen, "um einen fairen, sicheren und technologieneutralen Echtzeit-Zugang zu Fahrzeugdaten für einige Drittinstanzen" sicherzustellen. Überdies haben eine Reihe von internen und externen Studien der Europäischen Kommission weitere Nachweise der rechtlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen erbracht: In Märkten, in denen eine Partei unausgewogene (Über-)Macht habe und damit eine monopolartige Kontrolle über den Zugang zu den Daten/Funktionen der Fahrzeuge ausübe, müsse der Gesetzgeber für effektiven Wettbewerb sorgen. Sicher ist: Ohne eine entsprechende Regelung gehen Werkstätten, Teilegroßhändler, Versicherungen, Prüforganisationen und Pannenhilfsorganisationen schweren Zeiten entgegen. Und die Mehrkosten durch ein Monopol der Fahrzeughersteller bei der Fahrzeugvernetzung sind auch nicht zu unterschätzen: Die FIA, der internationale Dachverband des Automobils beziehungsweise der Autofahrer, beziffert die Kosten und Verluste für Verbraucher und freie Marktbeteiligte allein bis zum Jahr 2030 auf 65 Milliarden Euro.

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