Nicht erst seit diesem Jahr, in dem wegen der Covid-19-Pandemie viele Menschen das Zweirad neu für sich entdeckt haben, erleben Fahrräder mit Elektromotor einen Boom. Inzwischen besitzt etwa jeder Sechste in Deutschland mindestens ein Pedelec (16 Prozent). Und jeder Zwanzigste (fünf Prozent) plant, sich eines zu kaufen. Das geht aus einer Umfrage des Marktforschungsunternehmens Kantar im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverbandes hervor.
Kein Wunder also, dass immer mehr Hersteller auf den Trend setzen: So hat beispielsweise die österreichische Pierer Mobility Group im Herbst angekündigt, einige E-Mountainbikes der spanischen Motorsportmarke "Gasgas" nach Deutschland bringen zu wollen. Und bereits etablierte Marken sind bestrebt, immer weiter ausdifferenzierte (Unter-)Segmente für den E-Bike-Markt zu kreieren - um sich so von der Konkurrenz abheben zu können.
Pedelecs mit "besonders viel Traglast"
So hat zum Beispiel der Fahrradhersteller Derby Cycle mit Sitz in Cloppenburg für seine Marke Kalkhoff (eine von insgesamt etwa einem halben Dutzend Radmarken im Derby-Portfolio) für das neue Modelljahr gleich mehrere Pedelecs "mit besonders viel Traglast" entwickelt, wie es in einer Mitteilung des Unternehmens heißt. Die Räder sind nach Derby-Angaben für bis zu 170 Kilogramm zulässiges Gesamtgewicht ausgelegt - nicht nur große (und damit schwerere) Fahrerinnen und Fahrer sollen davon profitieren.
Sondern beispielsweise auch Menschen, die sich nicht scheuen, einen Großeinkauf in zwei Packtaschen am Gepäckträger nach Hause zu transportieren. Die mit einem Anhänger regelmäßig den Nachwuchs zur Kita bringen. Oder auch Leute, die sich danach sehnen, endlich mal wieder mit reichlich Gepäck am Rad auf große Tour zu gehen - nach diesem Corona-Winter dürfte die Sehnsucht nach solchen Eskapaden größer sein denn je.
Steigen wir also auf und radeln wir los mit einem dieser Traglastriesen aus dem Hause Derby Cycle: mit dem Kalkhoff Entice 5.B Advance+.
Stabiler Rahmen, aufrechte Sitzposition
Bereits auf den ersten Kilometern fällt der äußerst stabile Rahmen positiv auf. Dabei wirkt das Rad keinesfalls klobig; auch die breiten, 29 Zoll großen Räder mit grobem Stollenprofil vermitteln vor allem ein sicheres Fahrgefühl, aber keinesfalls den Eindruck, mit einem schweren Trumm durch die Landschaft zu walzen. Auch der Gepäckträger am Heck macht einen äußerst stabilen Eindruck und kommt mit zwei Packtaschen gut klar.
Man sitzt relativ aufrecht und hat so einen guten Überblick im Verkehr. Wer eine etwas sportlichere Fahrposition bevorzugt, kann das aber leicht ändern: Der Vorbau ist flexibel und lässt sich mit wenigen Handgriffen verstellen.
Auch die Verarbeitung ist tadellos, Rahmen und Lackierung sind hochwertig, die Kabel verlaufen exakt dort, wo sie hingehören - da stört nichts. Mehr noch: Das Cockpit wirkt so aufgeräumt, dass eine Lenkertasche dort locker ihren Platz findet. Links am Lenker wählt man über ein LCD-Display die vier verschiedenen Unterstützungsstufen des Performance-Line-CX-Mittelmotors von Bosch an.
Der wiederum bereitet ebenfalls große Freude. Mit einem maximalen Drehmoment von 85 Newtonmetern in der höchsten Unterstützungsstufe ist kein Anstieg zu steil und kaum ein Ziel zu weit - selbst dann nicht, wenn beide Packtaschen hinten vollgestopft sind. Auch der mit 625 Wattstunden ausgestattete Akku hält die hohe Belastung zumindest eine Weile lang durch. Kalkhoff gibt eine maximale Reichweite von 125 Kilometern an. Im mehrwöchigen Alltagstest der SZ wurde dieser Wert zumindest in der niedrigsten Unterstützungsstufe, mit wenig Gepäck am Rad und bei weitgehend ebener bis leicht welliger Topographie auch durchaus erreicht.
Die Schaltung nimmt den meisten Steigungen den Schrecken
Hinzu kommt: Die Zwölfgang-Kassette der Shimano-Deore-SLX-Schaltung ist so gut abgestuft, dass man selbst im niedrigeren Unterstützungsmodus einen heftigeren Anstieg locker hochstrampeln kann, wenn auch nicht ganz so rasant wie mit voller Schubkraft. Auch die Alltagsausstattung überzeugt: Schutzbleche, ein stabiler Hinterbauständer, Beleuchtungsanlage und eine deutlich vernehmbare Klingel - am Entice ist alles dran, was man braucht.
Mit einer Ausnahme: Vor allem das Schutzblech hinten hätte für einen besseren Nässeschutz tiefer nach unten gezogen werden können. So aber bringt man gehörig Unruhe ins Feld, wenn man auf einer längeren Ausfahrt in der Gruppe plötzlich in einen Regenguss kommt - und dann die Mitfahrer nicht nur mit der Nässe von oben zu kämpfen haben, sondern auch mit Spritzwasser vom Hinterrad des Entice.
Auch ein Kettenschutz (wichtig beispielsweise bei der Fahrt ins Büro) fehlt. Außerdem hätten die Entwickler dem Rahmen durchaus mehr Bohrungen für die Aufnahme von Getränkehaltern spendieren können. So aber ist am Entice lediglich Platz für einen Getränkehalter - und der ist zudem noch, quasi auf dem Kopf stehend, an der Unterseite des Oberrohrs angebracht. Das ist insbesondere auf der langen Radreise bei (hoch-)sommerlichen Temperaturen zu wenig. Und zudem noch umständlich in der Handhabung.
Abgesehen davon ist das Kalkhoff Entrice aber ein absolut alltagstauglicher Begleiter. Der Akku kann entnommen und beispielsweise in der Wohnung geladen werden; alternativ dazu findet sich eine Ladebuchse im Rahmen, sodass das Rad auch in der Garage oder im Kellerabteil geladen werden kann. Denn eine diebstahlsichere Unterstellmöglichkeit sollte man sich für das Entice auf jeden Fall, genauso suchen wie für nahezu jedes andere E-Bike: Mit einem Preis von 3899 Euro ist das Kalkhoff nun nicht gerade ein Schnäppchen. Aber das gilt ja mittlerweile für fast alle Pedelecs. Die Verkaufszahlen indes zeigen: Richtig viele Menschen werden von solchen Preise offenbar nicht abgeschreckt.