Wer wissen möchte, wie sich die Autoindustrie und ihre Produkte in den vergangenen 40 Jahren entwickelt haben, schaut sich am besten exemplarisch das Segment der sportlichen Kompaktwagen an. 1976 reichte dem ersten VW Golf GTI ein 1,6-Liter-Motor mit 110 PS, um sich den Ruf eines Sportwagens für Jedermann zu erarbeiten. Und heute? Leistet der stärkste Golf 300 PS - und ist damit noch einer der schwächeren Vertreter in einem Segment, das die Engländer so griffig "Hot Hatches" (übersetzt etwa: heiße Dreitürer) nennen. Hier treten außerdem an: der Ford Focus RS mit 320 PS, der BMW M135i mit 326 PS oder der Mercedes A 45 AMG mit 360 PS.
Audi A6 Avant 3.0 TDI im Test:"Besser als mein A8 - aber nicht für den Preis"
Reijo Ranki fährt 70 000 Kilometer im Jahr - seit 29 Jahren mit einem Audi. Wer könnte besser beurteilen, was die jüngste Modellpflege bei der Baureihe bewirkt hat? Der Mittelklasse-Kombi im Berufspendler-Check.
Es ist dieses Sich-gegenseitig-Aufschaukeln, das Kompaktwagen in den Leistungsbereich eines Porsche 911 Carrera katapultiert. Ein Wettrüsten, das nun mit dem Audi RS 3 Sportback einen noch stärkeren Kompaktwagen hervorbringt. Dessen Fünfzylinder-Turbobenziner mit 2,5 Litern Hubraum leistet 367 PS. 367 PS! Wenn die Konstrukteure des GTI damals als verwegene Haudegen galten, weil sie einen 110 PS starken Motor in den kleinen Golf pflanzten, was sind dann die Entwickler des RS 3? Verrückte Hasardeure, die mit den Leben der Verkehrsteilnehmer spielen, die in irgendeiner Weise mit diesem Auto in Kontakt kommen?
Enorme Kraft, leichtverdaulich serviert
Fährt man mit dem RS 3, zeigt sich bald, dass dessen Macher sogar sehr vernünftige Zeitgenossen sein müssen. Es war ihnen offensichtlich ein großes Anliegen, die enorme Leistung so leichtverdaulich wie möglich zur Verfügung zu stellen. Natürlich beschleunigt der Motor den 1,6-Tonner vehement, bei Bedarf in 4,3 Sekunden von null auf 100 km/h. Drückt die Insassen dabei in ihre Sitze und untermalt das mit einem lauten und kehligen Klang, wie er typisch ist für Audis Fünfzylinder.
Audi TT Roadster im Fahrbericht:Nicht so recht gefühlsecht
Mallorca, verwinkelte Bergstraßen und der offene Audi TT: Diese Kombination bedeutet sonniges Kurvensurfen in Perfektion. Emotionen weckt der Roadster aber nicht.
Aber sonst? Heftig an der Lenkung zerrende Vorderräder? Ein schwänzelndes Heck, weil die Hinterräder die Kraft von maximal 465 Newtonmetern nicht auf den Boden bekommen? Nein, nichts von alledem. Der RS 3 beschleunigt stoisch bis auf Tempo 250. Wenn gewünscht und bei der Bestellung des Autos für 1500 Euro hinzu gebucht, sogar bis auf 280 km/h. Einfach so.
Ähnlich ist es in Kurven. Egal ob auf dem wunderbar ebenen Kurvengeschlängel der nördlich von Rom angesiedelten Rennstrecke Vallelunga oder den Landstraßen in der Umgebung: Nichts bringt dieses Auto aus der Ruhe. Der RS 3 ist stabil beim Bremsen, Einlenken in die Kurve und Beschleunigen aus der Biegung. Immer und ausnahmslos. Bremse, Lenkung, Fahrwerk und Allradantrieb verschmelzen zu einer Einheit, die es dem Fahrer leicht macht, schnell zu sein - viel zu oft viel zu schnell für das, was auf öffentlichen Straßen erlaubt ist.
Es ist aber nicht so, dass der RS 3 ständig dazu antreibt, verkehrsgefährdend unterwegs zu sein. Im Rowdy-Modus ist er nur dann, wenn der Fahrer das will. Per Tastendruck lässt sich der Temperamentwechsel über das "Drive-Select"-System einleiten. Das hält neben der zuvor beschriebenen Dynamik-Abstimmung auch eine Komforteinstellung bereit: Die senkt das Drehzahl- und Dezibel-Level, verringert die Lenkkräfte, reagiert gelassener auf Gaspedalbefehle.
Nur auf das Fahrwerk hat die Taste im Serienzustand keinen Einfluss, weshalb der straff abgestimmte RS 3 die zahlreichen und teils tiefen Schlaglöcher der zentralitalienischen Sträßchen an die Insassen weitergibt. Ob das 980 Euro teure "Sportfahrwerk plus" mit elektronisch einstellbaren Dämpfern gemütlicher agiert, muss vorerst leider im Dunkeln bleiben. Die bereitgestellten Testwagen verfügten nicht über dieses System. Dafür aber über alle Annehmlichkeiten, die ein Kompaktwagen im Innenraum so bieten kann.
60 000 Euro? Kein Problem!
Dazu gehören die vorderen RS-Sportsitze mit integrierten Kopfstützen, die bequem sind und viel Seitenhalt bieten, aber 745 Euro extra kosten. Oder das Komfortpaket mit elektrischen Spiegeln, Licht- sowie Regensensor oder Sitzheizung für 1900 Euro. Ebenso das 900 Euro teure RS-Designpaket, das mit seinen roten Akzenten Farbe ins RS 3-Cockpit bringt. Hinzu kommt das MMI-Bediensystem mit Navigation und allen verfügbaren Infotainmentfunktionen, das 2300 Euro extra kostet. Addieren sich dann noch ein Soundsystem oder das Konnektivitätspaket für die Integration eines Smartphones, vielleicht garniert mit den aufpreispflichtigen elektronischen Assistenzsystemen und einem zweifarbigen Raddesign, lässt der in der Grundausstattung 52 700 Euro teure RS 3 die 60 000-Euro-Marke locker hinter sich.
Viel Geld, sehr viel Geld sogar, für das Audi die so gegensätzlichen Autogattungen Sport- und Kompaktwagen zu einem Hot Hatch kombiniert, wie er besser kaum sein könnte. Wirklich faszinieren kann er in dieser Ausprägung jedoch nicht. Dafür bräuchte er mehr von dem, was ihm die Ingenieure mit viel Akribie ausgetrieben haben. Mehr vom Wilden, Verwegenen, politisch Unkorrekten des Ur-GTI. Der war einst ein echter Rebell. Der RS 3 dagegen gehört - schon aufgrund seines Preises - zum Establishment.
Die Reisekosten zur Präsentation des Audi RS 3 Sportback in Campagnano di Roma wurden teilweise vom Hersteller übernommen.