Audi R8 e-tron:Von Ingolstadt stromaufwärts

Audi erlaubt sich mit dem R8 e-tron schon mal einen Blick in die Zukunft - ein Fahrbericht

Georg Kacher

Elektroautos zwingen zum Umdenken. Als Fußgänger hört man die leisen Gleiter erst erschreckend spät. Als Lenker muss man sich an Besonderheiten gewöhnen wie Instantdrehmoment, stufenloses Beschleunigungssurren und dumpfes Bremsenwummern. Als Benutzer ist es hilfreich, Ladezeiten und Reichweiten im Hinterkopf zu speichern - sonst rollt man plötzlich mit leeren Batterien mitten im Nirgendwo auf den Standstreifen, wo kein gelber Engel das Stehzeug unmittelbar wieder flottmachen kann. Sogar das gute alte Autoquartett ist bald nur noch Makulatur, denn statt Hubraum und Zylinderzahl stechen plötzlich Kilowattstunden und Batterielebensdauer.

Audi R8 e-tron: Kleinserie geplant: Der Audi R8 e-tron mit vier Elektromotoren beeindruckt mit einer Leistung von 313 PS und einem Drehmoment von sagenhaften 4500 Newtonmeter.

Kleinserie geplant: Der Audi R8 e-tron mit vier Elektromotoren beeindruckt mit einer Leistung von 313 PS und einem Drehmoment von sagenhaften 4500 Newtonmeter.

(Foto: Foto: oh)

Die meisten Hersteller sehen im Stadtwagen die Paraderolle für das Elektroauto. Doch das erste E-Werk von Audi ist kein Niedervolt-Metromini, sondern ein fetziger Sportwagen, der mit mehr als 150.000 Euro aus dem Stand zum teuersten Modell der Marke avancieren soll. Warum? Weil sich innovative und kostspielige Technologie am besten von oben nach unten am Markt einführen lässt. Und weil der aufregend verpackte Mix aus expressiver Dynamik und höchster Effizienz die Kernbotschaft der vier Ringe überzeugend auf den Punkt bringt.

Audi-Entwicklungschef Michael Dick bestätigt die Bedeutung: "Weil Sportlichkeit und Effizienz zu den Kernwerten der Marke gehören." Der Preis des Elektro-R8, so Dick, müsse über dem R8 liegen, schließlich habe "jede Innovation ihren Preis". Er sei überzeugt, dass eine vom Werk begleitete Kleinserie "der Vorreiterrolle dieses Autos gerecht wird".

Wir nähern uns dem roten Renner mit einer Mischung aus Neugier und Ehrfurcht. Einsteigen, anschnallen, Startknopf drücken - noch ist alles wie gehabt. Doch sobald der schlanke Gangwählhebel in die Senkrechte surrt und das Cockpit in bunter Broadway-Beleuchtung die Show eröffnet, schalten die Neurotransmitter im Hirn des e-tron-Piloten elektrisiert von Ruhe- auf Wachstrom. Weil das maximale Drehmoment von sage und schreibe 4500 Newtonmeter die vier 19-Zöller schon auf den ersten Metern glattrasieren würde, sediert die Elektronik den Schlupf und die Momentenverteilung. Trotz verhaltener Herausforderung beschleunigt das 1600 Kilo schwere R8-Derivat in nur 4,8 Sekunden von null auf 100 km/h. Und zwar in einem Zug, so linear wie eine Wasserwaage und so vehement wie ein Nachbrenner.

Eine Fusion von Hightech und Highmech

Der Zwischenspurt von 60 bis 120 km/h ist eine 4,1 Sekunden kurze Momentaufnahme, aber die Höchstgeschwindigkeit wird schon bei 200 km/h eingebremst, weil die Fahrwiderstände bei Vollgas die Reichweite des eiligen Stromers schmelzen lassen wie Eis in der Sonne. Falls nicht ein zufällig verfügbares Schnell-Ladekabel samt Starkstromanschluss die Prozedur auf rund zweieinhalb Stunden verkürzt, dauert Nachtanken gefühlt ungefähr so lange wie ein Transatlantikflug. Im Normalbetrieb ist der Audi aber spätestens nach 248 Kilometer reif für die Steckdose, Bleifuß bergauf reduziert die Reichweite auf einen zweistelligen Wert.

Audi R8 e-tron: Wenn das Cockpit in bunter Broadway-Beleuchtung die Show eröffnet, schalten die Neurotransmitter im Hirn des e-tron-Piloten elektrisiert von Ruhe- auf Wachstrom.

Wenn das Cockpit in bunter Broadway-Beleuchtung die Show eröffnet, schalten die Neurotransmitter im Hirn des e-tron-Piloten elektrisiert von Ruhe- auf Wachstrom.

(Foto: Foto: oh)

Der e-tron basiert auf dem R8, doch wo im Mittelmotorcoupé der Verbrennungsmotor sitzt, türmen sich im Elektromobil die Lithium-Ionen-Batterien. Der nutzbare Energieinhalt des Akkupakets beträgt 42,4 Kilowattstunden. Während die Zellen nicht wärmer werden dürfen als 25 Grad, liegt die Schmerzgrenze für den Wandler und die Steuerungselektronik um die 65 Grad. Gekühlt wird über ein ausgeklügeltes Thermomanagement, dessen Wasserkreislauf, Wärmepumpe und Ventilatoren vor allem bei extremen Temperaturen ziemlich viel Strom verbrauchen. Während der Fahrt fächeln diverse verstellbare Gitterlamellen den Aggregaten Luft zu.

Die vier radnahen Elektromotoren mobilisieren in Summe 313 PS. Eine Ein-Stufen-Automatik koordiniert die deutlich heckbetonte und entsprechend unterhaltsame Drehmomentverteilung. Weil jedes Rad einzeln angesteuert wird, kann auch gezielt beschleunigt, eingelenkt und gebremst werden. Theoretisch wäre es sogar möglich, den e-tron auf Kommando automatisch Pirouetten um die eigene Achse drehen zu lassen.

Praktisch ist man dagegen voll damit beschäftigt, die vielen neuen Eindrücke zu verarbeiten. Zum Beispiel die selbst bei Vollgas absolut gleichbleibende Tonalität der Elektromotorik, das Hintergrund-Schaben der Rekuperation beim Bremsen, den vierstimmigen Reifenchor beim Einlenken, das E-Lok-ähnliche Hochfrequenz-Singen bei Konstantfahrt. Elektromobilität hat auch etwas zu tun mit Pioniergeist, Abenteuerlust, der Fusion von Hightech und Highmech. Im Audi e-tron kommt man als Strom-Novize aus dem Staunen gar nicht heraus. Da signalisieren grüne Leuchtdioden und kühne Balkendiagramme die Restreichweite und den voltaischen Aderlass, da spielt das bekannte MMI-System jetzt auch auf der berührungsempfindlichen Klaviatur eines iPhone, da bilden kleine LED-Farbmonitore statt schnöder Spiegel das Geschehen hinter dem Fahrzeug ab.

Er summt wie ein omnipräsenter Synthesizer

Das Konzert aus Hochvoltbatterie, Leistungselektronik und Elektromotoren ist ein ausgesprochen physisches Erlebnis, das uns stereophon umsurrt und umsummt wie ein omnipräsenter Synthesizer. Die Lenkung und die Hinterradbremse arbeiten mit elektromechanischer Unterstützung, das LED-Abblendlicht passt Intensität und Fokussierung dem Wetter, dem Straßenverlauf und der Fahrsituation an, die Car-to-x-Kommunikation vernetzt den e-tron mit dem fließenden Verkehr und dem Umfeld. Das klingt banal, ist aber eine echte Hilfe - zum Beispiel durch Warnen vor Staus und Unfällen, durch Abstimmen der Navigationsdaten mit dem Verkehrsfluss oder durch Früherkennen von Steigungen und Ampelphasen.

Im Elektroauto ist es also wichtig, unnötige Brems- und Beschleunigungsmanöver zu vermeiden. Stattdessen wird nach Möglichkeit höchst effizient gesegelt. Darunter versteht man das Ausnutzen von Schwung im entkoppelten Leerlauf, das noch ein paar Zwischentöne leiser und entrückter klingt als die ganz normale, ohnehin schon fast Dezibel-neutrale Stromerei.

Die Frage, ob der e-tron bei Audi eine Zukunft hat, beantwortet Entwicklungsvorstand Dick eindeutig: "Absolut. Wir fangen an mit zehn Autos, steigern 2011 auf 100 und wollen 2012 sogar 1000 Stück bauen und absetzen." Und auch die Frage, wie das nächste E-Mobil aus Ingolstadt aussehen könnte, steht bereits im Raum. Dick: "Das kommt auf Basis A1 und ist vom Ansatz her mindestens so mutig wie damals der A2." Und wann? "Ich bin Optimist und sage 2013."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: