Süddeutsche Zeitung

Audi E-Tron GT im Test:Das emotionale i-Tüpfelchen

Lesezeit: 3 min

Elektroautos müssen keine Spaßverhinderer und Spielverderber mehr sein. Der Audi E-Tron GT zeigt, dass es auch sportlich geht.

Von Georg Kacher

Der grün lackierte Testwagen fällt im Feierabendstau sofort auf. Dabei gleitet der Audi E-Tron GT fast so leise durch die Innenstadt wie ein E-Bike. Nur eben mit viel mehr Power. Steckt unter der Kopfverdreher-Karosserie doch die DNA des Taycan, mit dem Porsche seit gut einem Jahr Sportwagenanhänger und die eingeschworene Tesla-Fangemeinde verunsichert. Analog zu Q7 und Cayenne stammen auch E-Tron GT und Taycan aus ein- und demselben Baukasten. Der basiert auf einer neuen, extrasteifen Flachboden-Elektroplattform mit speziellen Vertiefungen für die Fondpassagiere ("Fußgarage") und ist als Audi zunächst in zwei Varianten lieferbar. Der 530 PS starke E-Tron GT kostet 99 800 Euro, für die RS-Variante mit kurzzeitig 646 PS ruft der Händler 138 200 Euro auf. Zum Vergleich: Der nochmals 40 PS kräftigere, aber nicht ganz so komplett ausgestattete Taycan Turbo ist 11 000 Euro teurer.

Die Frage nach den wichtigsten Unterscheidungsmerkmalen beantwortet ein kurzes Gespräch mit dem Marketing-Spezialisten Sven Janssen. "Der Audi ist etwas komfortabler abgestimmt, die Vorderachse wird stärker in die Antriebsaufgaben eingebunden, das nach innen und außen wirksame Sounddesign ist komplett eigenständig, das leichte Effizienz-Plus verspricht geringfügig größere Reichweiten." Wer CO2-neutralen Körperkontakt schätzt, dem bietet Audi erstmals ein durchgehend vegan ausgekleidetes Interieur.

Fünf verschiedene Designpakete sind mit neun unterschiedlichen Rädern kombinierbar. Ein nicht zu unterschätzender Aspekt beim Kauf: Die windschlüpfrigsten Felgen lassen den Wagen 15 Kilometer weiter rollen. Bei der Beschleunigung von null auf 100 km/h in 4,1 beziehungsweise 3,3 Sekunden liegen die E-Tron-Zwillinge ein Anstandszehntel hinter dem Taycan-Duo, in Sachen Höchstgeschwindigkeit (245 und 250 km/h) riegelt Audi fünf Stundenkilometer früher ab.

In 22,5 Minuten auf 80 Prozent Akkuladung

Der 93,4 kWh starke Akku kann unter idealen Bedingungen - 800 Volt und 270 kW - in 22,5 Minuten auf 80 Prozent schnellgeladen werden. Die von Porsche bereits angekündigte, auf 350 kW erhöhte Ladeleistung, wird später auch für den E-Tron GT verfügbar sein. Mit der passenden Kundenkarte lässt sich also europaweit an über 200 000 Stationen Energie zapfen - beim Anbieter Ionity im ersten Jahr zum Spartarif von 31 Cent pro kWh. Der im Prinzip fertige Shooting Brake als zweite, komplett eigenständige Karosserievariante, wartet noch auf einen Starttermin.

Der Normverbrauch des Audi RS E-Tron GT liegt bei 20,2 kWh je 100 Kilometer, die Reichweite bei maximal 472 Kilometer - das dürfte aber Makulatur sein, wenn der Fahrer auf den Geschmack gekommen ist und die Porsche-Gene dominieren. Kurz Vollgas zu geben und einen rasanten Zwischenspurt einzulegen, ist in Ordnung. Aber auf der Autobahn dauerhaft deutlich die Richtgeschwindigkeit überschreiten - das zwingt einen auf längeren Reisen dann doch zu einem oder zwei zusätzlichen Ladestopps.

Die Lenkung im Taycan ist ausgewogener

Auch der Innenraum des E-Tron GT erinnert nur entfernt an den Porsche. Bemerkenswert sind die tollen Sitze (Aufpreis!), die intuitivere Bedienung und die rundum höhere Wertigkeit. Nur der aus dem A4 bekannte, winzige flächenbündige Drehteller in der Mittelkonsole, der Sender suchen und die Lautstärke regeln soll, ist ein Griff in die Mottenkiste der Ergonomie. Über Drive Select können Antrieb, Fahrwerk und Sound in drei Stufen feinjustiert werden - nicht aber die Kennung der Lenkung. Die wirkt im Taycan agiler und ausgewogener als im E-Tron, wo man sich ein rascheres Ansprechen um die Mittellage und ein stärkeres Rückstellmoment wünscht. Bei einer Vollbremsung fließen bis zu 265 kW zurück ins System. Die Dreikammer-Luftfederung schafft es in Verbindung mit den Verstelldämpfern tatsächlich, die komfortmindernden Eigenschaften der am Testwagen montierten extrabreiten 21-Zoll-Räder weitgehend zu neutralisieren.

Das emotionale i-Tüpfelchen setzt jedoch das Getriebe, das beim Kavalierstart automatisch in den kurz übersetzten ersten Gang zurückschaltet und so die Nackenmuskulatur auf eine ernste Probe stellt. Während selbst die höheren Rekuperationsstufen allenfalls einen Placeboeffekt auslösen, entfesselt ein langer Druck auf die ESP-Taste die unterschwellig allseits bereiten RS-Gene inklusive Vierradlenkung und Allradantrieb. Jene Unverbesserlichen, die Elektroautos immer noch als notorische Spaßverhinderer und Spielverderber abkanzeln, belehrt der E-Tron GT eines Besseren - Kurve um Kurve.

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