Audi und seine Diesel:"Rückschritt durch Technik"

An Audi logo is seen at a car dealer in Eching near Munich

Ein Audi-Logo an einem Händlergebäude in der Nähe von München: Bei vielen Verkäufern häufen sich mittlerweile die Beschwerden von Kunden über Probleme mit Dieselmotoren.

(Foto: Michael Dalder/Reuters)

Nach dem Dieselskandal hat Audi seine Selbstzünder zu ambitioniert überarbeitet. Jetzt bekommen die Kunden die Probleme zu spüren.

Von Georg Kacher

Diese Autos hätten so nicht in den Handel kommen dürfen", gibt ein führender Audi-Techniker unumwunden zu. "Die Kunden, denen ich diese Autos verkaufe, sind für Audi verloren", befürchtet ein großer Händler. "Da haben wir uns selbst ein Bein gestellt," konzidiert ein zerknirschter Systemlieferant. Die Rede ist von Turbodiesel-Motoren mit sechs und acht Zylindern, die in keinem aktuellen Audi-Modell so funktionieren, wie sie sollten. Selbst der neue SQ 8 enttäuscht trotz elektrischem Verdichter samt Boost-Funktion durch baureihenübergreifende Symptome wie eklatante Anfahrschwäche, teilweise krass verzögertes Ansprechverhalten bis 2000 Umdrehungen pro Minute, unharmonische Adaption des an sich feinen Achtgang-Getriebes, gähnende Turbolöcher und unbefriedigende Laufruhe.

Leidgeprüfte Audi-Fahrer, die an Einmündungen zügig vom Fleck kommen wollen, stoppen zunächst mit dem linken Fuß die Kriechneigung und geben mit dem rechten Fuß Gas, um dann im richtigen Moment die Bremse loszulassen. Kickdown-Befehle im großen Gang beantwortet der Antrieb mit ruppigen, zähen Rückschaltmanövern, die gerne mal eine oder zwei Fahrstufen zu kurz springen. Selbst die Kombination aus Dynamic-Modus und Sportschaltung bleibt eine volle Gedenksekunde hinter den Erwartungen zurück.

Es dürfte noch bis Mitte 2020 dauern, ehe Audi diese Mängelliste mithilfe einer neuen Software (Kürzel: AP) beheben kann. Weil die alte Führung die Strategie der prestigeträchtigen S-Modelle für Europa vom Benziner auf den Diesel umgestellt hat, fahren sich die antrittsschwachen Topmodelle weniger überzeugend als die nach Amerika gelieferten Benziner. Dieser "Rückschritt durch Technik" (Graffito in einem Werks-WC) nagt am Markenimage, denn im Gegensatz zu den bei VW entwickelten TDI-Vierzylindern sind die Großmotoren Ingolstädter Eigengewächse.

"Audi wollte sich im Nachgang des Dieselbetrugs doppelt und dreifach absichern, hat die Grenzwerte zu ambitioniert unterschritten und sich dabei ein Problem mit der Fahrbarkeit eingehandelt, das darin begründet ist, dass die Elektronik zu oft und zu hart nachregeln muss - das spürt man leider im Gasfuß." Der Abgas-Spezialist, der anonym bleiben will, nimmt kein Blatt vor den Mund, obwohl sein Bereich mit dem Rücken zur Wand steht, denn schon droht mit der für 2024 avisierten Euro-7-Norm neues Ungemach. "Die Bandbreite der notwendigen Maßnahmen reicht von schnell beheizbaren Katalysatoren über innermotorische Änderungen bis zur kühlenden Wassereinspritzung. Technisch ist das alles machbar, aber die Anlauftaktung hat Chaoscharakter und die Mehrkosten von 1000 bis 2000 Euro treiben die Kalkulation in die roten Zahlen."

Das wäre bitter, denn die Marke mit den vier Ringen fährt - abgesehen von den Q-Baureihen - schon heute unbefriedigende Renditen ein. Darüber hinaus haben unreflektiertes Laissez-faire und eine beinahe pathologische Entscheidungsschwäche die Stellung von Audi im Konzern geschwächt. Das gefährdet die ohne Not aufgeblähte, an zu langer Leine geführte Belegschaft, beschädigt die Kundentreue und verhagelt die Bilanz. Ingolstadt ist daher längst nicht mehr die Insel der Seligen, sondern die neue Heimat von Ratlosigkeit, Kompetenzdefizit, Zukunftsangst und unfreiwilliger Selbstbeschränkung. Die Elektrik- und Elektronik-Kompetenz inklusive Digitalisierung beansprucht Wolfsburg jetzt für sich, die neuen KoVoMo (Kosten-Vorteil-Motoren) entstehen bei Porsche, das autonome Fahren ist inzwischen Chefsache auf Konzernebene, statt Gesamtfahrzeuge zu entwickeln, werden in Ingolstadt primär Komponenten adaptiert.

Doch wo Schatten ist, da ist auch Licht. Besonders hell strahlt momentan das Baumuster B10, hinter dem sich der nächste A 4 versteckt, der von 2022 an in Länge und Breite deutlich zulegt. Ursprünglich wollte Konzernchef Herbert Diess das Volumenmodell nach VW-Muster auf Quermotor umstellen und so über die Laufzeit gut eine Milliarde Euro sparen. Doch Mitte Juli konnten die Audianer ihr Längsmotorkonzept im vierten Anlauf durchsetzen und damit die Zukunft der nach gleichem Muster gestrickten Baureihen A 6 und A 7 sichern. Alle drei Typen sollen künftig im Werk Neckarsulm produziert werden, das aktuell nur zu knapp zwei Dritteln ausgelastet ist. Was passiert mit Ingolstadt? Nachdem speziell für den Q 5 eine Fertigung in Mexiko installiert wurde, kann die Wahl eigentlich nur auf die kompakteren Varianten des gemeinsam mit Porsche konzipierten Premium-Elektrobaukastens (PPE) fallen. Für Herbst 2022 ist der Anlauf der A 6 e-tron-Limousine vorgesehen, bis Mitte 2023 folgen Avant und Sportback. Der projektierte A 4 e-tron fiel dem Rotstift zum Opfer.

Innerhalb des VW-Konzerns suchen die Ingolstädter derzeit noch angestrengt nach ihrer Rolle

Während die Elektro-Strategie bis 2024 festgezurrt ist, gibt es in Bezug auf Verbrenner und Hybride viele Unwägbarkeiten. Weil keiner vorhersagen kann, wann genau die E-Autos auf breiter Front Fahrt aufnehmen, setzt Audi - analog zu BMW - auf eine gewisse Technologieoffenheit. Dabei stehen drei Prioritäten im Fokus: Zukunftsfähigkeit, Flexibilität und Kosten. Hier könnte die seit Jahren kontrovers diskutierte Multitraktions-Plattform (MTP) ins Spiel kommen, die nicht nur für Benziner/Diesel, Plug-in-Hybrid und E-Antrieb ausgelegt ist, sondern auch genug Platz bietet für die Brennstoffzelle. Die modular aufgebaute MTP besteht aus drei Elementen: Vorderwagen (TDI/TFSI oder E-Motor), Bodengruppe (Batterien, Brennstoffzelle oder Kardanwelle) und Hinterwagen (mechanischer quattro-Antrieb oder Elektromotor). Obwohl die Fuel-Cell-Systemführerschaft für den Konzern bei VW liegt, will Audi mit neuen technischen Detaillösungen und mit einem innovativen FC/Batterie-Antrieb punkten, bei dem die Brennstoffzelle während der Fahrt die Akkus nachlädt. Ist das die Zukunft?

110 Jahre

ist es her, dass August Horch aus seiner 1899 gegründeten Firma ausschied und einen neuen Autohersteller in Zwickau gründete: Audi. Den Namen leitete er aus dem Lateinischen ab, da seine ehemalige Firma ihm die Nutzung des Markennamens "Horch" untersagt hatte. Später ging Audi in der "Auto-Union" auf, die auch die Marken DKW, Horch und Wanderer umfasste. Das nach 1945 in Ingolstadt neu gegründete Unternehmen gehört seit 1965 zu VW und fusionierte Ende der Sechzigerjahre mit den traditionsreichen NSU-Werken in Neckarsulm.

Das Schicksal von Audi entscheidet sich in Wolfsburg, wo die Aufteilung in zwei Markengruppen (Premium/Sport und Volumen) mit eigener Ergebnisverantwortung gefühlt schon seit der Kanzlerschaft von Helmut Kohl diskutiert wird. Während Porsche die Elektromobilität im Premiumsegment vorantreibt, hat VW die Hoheit über den volumenstarken kompakten Elektrobaukasten. Zwischen diesen zwei Blöcken sucht Audi eine neue Identität und läuft zugleich Gefahr, zerrieben zu werden. Um das zu verhindern, braucht es neben strafferen Strukturen und schlankeren Prozessen auch mehr Freiräume und Alleinstellungsmerkmale.

Da hilft dann es nicht, dass die Konzernzentrale in Wolfsburg den charismatischen Fünfzylinder an Seat und VW weiterreichen will, Lamborghini als integrierte Ideenfabrik für Werkstoffe und Konzepte stiefmütterlich behandelt, Audi Sport am Tropf verhungern lässt, die Marke immer wieder dem System unterordnet. Audi hat den Diesel möglicherweise irreparabel beschädigt und stößt sogar im Nachgang seine Kunden vor den Kopf. Aber dieser Makel darf das Unternehmen nicht daran hindern, sich neu zu erfinden, das Angebot zu bereinigen (A 1, A 5, in letzter Konsequenz vielleicht sogar den A3) und endlich wieder mehr Risiken einzugehen.

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