Autos der nächsten Generation:Wo fehlt's denn?

Autos der nächsten Generation: Schaubild eines Elektroantriebs: Der Energiespeicher liegt im Zentrum, daneben Antriebs- und Fahrwerkskomponenten der MEB-Plattform von VW.

Schaubild eines Elektroantriebs: Der Energiespeicher liegt im Zentrum, daneben Antriebs- und Fahrwerkskomponenten der MEB-Plattform von VW.

(Foto: VW)

Steckdose statt Zapfsäule, daran führt kein Weg vorbei, so viel ist sicher: Audi, BMW und Mercedes wollen zu Tesla aufschließen. Das Problem sind die Kosten - und die Zeit.

Von Joachim Becker und Georg Kacher

Aufregung in Wolfsburg - sind bis zu 30 000 Stellen in Gefahr? Herbert Diess hatte in der vergangenen Woche wieder einmal vor Tesla gewarnt: "Wir müssen diesen Wettbewerb annehmen", insistierte der Konzern-Chef von Volkswagen in einer Konferenz mit 200 Führungskräften. Auch der Stammsitz Wolfsburg müsse dabei effizienter und schneller werden, so Diess. "Ich weiß, einige von euch hassen das", zitiert ihn die Deutsche Presseagentur, "aber in erster Linie ist es Tesla. Der Abstand vergrößert sich. Sie werden schneller. Sie liefern. Sie werden besser im Bauen von Autos. Sie haben eine vollvernetzte Flotte rund um die Welt. Und sie sind die einzige Marke, die trotz Covid wächst."

Die Worte von Diess klingen wie ein Hilferuf. Wer hätte das vor wenigen Jahren von einem der weltweit größten Autohersteller für möglich gehalten? Steckdose statt Zapfsäule, daran führt kein Weg vorbei, soviel ist sicher. Auch Software und Vernetzung gehören zum Koordinatensystem einer neuen Zeit - und zu den Stärken von Tesla. Beispiel Chipmangel: Während die Deutschland AG in ihre alten Verbrenner-Plattformen nach wie vor antiquierte Halbleiter verbaut, hat Tesla binnen Monaten auf leistungsstärkere Neuware umgestellt - die in den Chipfabriken (für mobile Computer) bevorzugt hergestellt werden.

Tesla leidet kaum unter dem Chipmangel und löst viele Probleme per Software

Während die Elektronik-Revolution für viele Kunden noch Zukunftsmusik ist, bestimmt sie längst den Arbeitsalltag der Entwickler. Selbst die einst so selbstbewussten deutschen Marken haben sichtlich Mühe, Tesla einzuholen. Wohl noch Jahre müssen sie die alte Verbrenner- und die neue Elektrowelt gleichzeitig bedienen. Das frisst Zeit und Geld.

Selbst wenn die Spritpreise weiter steigen, lässt sich die Wechselbereitschaft vieler Autofahrer nur schwer abschätzen. Die löchrige Ladeinfrastruktur, die mageren Reichweiten und die hohen Preise von Elektroautos (vor Förderung) sind der Akzeptanz nicht gerade zuträglich. Nicht nur BMW übt deshalb den Riesen-Spagat: Unter dem Sammelbegriff "Neue Klasse" entwickeln die Münchner einen neuen Elektro-Baukasten, in den auch Wasserstofffahrzeuge passen. Gleichzeitig gibt die weißblaue Marke in der alten Auto-Welt noch einmal Vollgas und überarbeitet das gesamte Motorenprogramm. Um die deutlich strengere EU7-Abgasnorm (2025) erfüllen zu können, muss beim Kaltstart wieder vorgeglüht werden. Spezielle Heizkatalysatoren fressen während der Aufheizphase zwar viel Strom, dafür stoßen die neuen Benziner mit Vorkammereinspritzung und Doppelzündung aber deutlich weniger Schadstoffe aus.

Obwohl die nächste Generation der Plug-in Hybride mit elektrischen Reichweiten von 100 Kilometer und mehr glänzt, könnte ein Förderstopp ihr vorzeitiges Ende besiegeln. Bleiben die reinen Stromer: Hyundai und Kia haben die Betriebsspannung auch in der Kompaktklasse auf 800 Volt verdoppelt, was im Idealfall die Ladezeiten nahezu halbiert. Viele andere werden folgen. Apropos halbieren: Chinesische Newcomer wie Great Wall Motors konnten die Entwicklungszeit neuer E-Modelle im Vergleich zur europäischen Konkurrenz auf 2,5 Jahre senken. Und die Volvo-Mutter Geely verteilt ihre Einheits-Elektroarchitektur über ein halbes Dutzend Marken. Dabei waren die Chinesen vor zehn Jahren kaum mehr als profilarme Unbekannte.

Tesla hält das Publikum seinerseits mit immer neuen Software-Zaubertricks bei Laune. Nachdem Audi, BMW und Mercedes kürzlich die 1100 PS starke Plaid-Version des Model S im Detail analysierten, machte sich Ratlosigkeit breit. Die Lade- und Entlade-Algorithmen sowie die Balance zwischen Performance und Reichweite waren für die deutschen Fachleute so wenig nachvollziehbar wie einst das Batteriemanagement des Toyota Prius. Erste Erkenntnis: Viele Funktionen, die das deutsche Premium-Trio nur mit hohem Soft- und Hardwareaufwand darstellen kann, schafft Tesla allein durch die clevere Integration von preiswerten Bausteinen aus dem Zuliefererfundus.

Die neuen Elektro-Plattformen von BMW und Mercedes eignen sich auch für Verbrenner

Selbst die deutschen Premiummarken sind zu langsam, zu entscheidungsschwach und zu oft noch in veralteten Prozessen gefangen. Also wird erst einmal in der Modellpalette geholzt, um Kosten zu sparen. Emotionale Produkte wie Coupés und Cabrios fallen durchs Stückzahlenraster, renditeschwache Kompaktwagen kommen auf den Prüfstand. Beispiele gefällig? Audi will A1 und Q2 aufgrund mangelnder Rentabilität auslaufen lassen, BMW wird 4er und 8er in der nächsten Generation als rein elektrische Erlebnisautos zusammenlegen. Und wenn man in München oder Stuttgart über eine Einstiegs-Elektrifizierung nachdenkt, dann kommen automatisch die Submarken Mini und Smart ins Spiel. Die künftig aus China nach Europa stromern.

In den deutschen und europäischen Autofabriken hoffen die Werker auf eine Zeitenwende im Jahr 2025. Dann startet die Neue Klasse von BMW, Audi will sich mit dem Artemis-Projekt (A8-Nachfolger) auf das autonome Fahren vorbereiten und Mercedes bringt die vollelektrische C-Klasse und A-Klasse der nächsten Generation.

Alle genannten Modelle stehen auf jeweils komplett neuen Elektro-Plattformen. Den Unterschied machen nicht mehr die Verbrennungsmotoren, auch bei den Batterien zeichnet sich noch kein klarer Technologieführer ab. Die (800-Volt-)Antriebe liefern zwar Leistung und Drehmoment im Überfluss, eignen sich aber kaum noch als Marken-prägendes Erkennungsmerkmal.

Auch die Euphorie beim vollautonomen Fahren hat deutlich nachgelassen, zumal der Gesetzgeber bevorzugt Roboter-Busse auf die Straße bringen will. Um die Betriebssystem-Hoheit kämpfen die Hersteller gegeneinander und gegen Big Data - da würde es sich doch anbieten, gemeinsame Sache zu machen. Ein entsprechender Vorstoß des BMW-Entwicklungschefs Frank Weber wurde in Wolfsburg zwar zur Kenntnis genommen. Doch der Volkswagen-Konzern glaubt noch immer an eine Eigenentwicklung, die sich an andere Hersteller verkaufen lässt. Schneller wäre wohl eine Open-Source-Lösung auf einer Standard-Software wie Linux, für die es bereits eine weltweite Entwickler-Community und zahlreiche Entwicklungs-Tools samt Sicherheits-Zertifizierungen gibt.

Das Grundproblem lässt sich auch damit kaum lösen: Ein Betriebssystem macht vor Kunde kaum einen Unterschied. Die Passagiere merken nur, ob das Auto mit den neuesten Trends der Unterhaltungselektronik mithalten kann oder nicht. Dafür müssen neue Fahrzeuge künftig fünfmal mehr Rechnerleistung vorhalten als sie beim jeweiligen Modellstart benötigen - so hoch schätzen Experten das Entwicklungstempo innerhalb eines Modellzyklus ein.

Vom autonomen Fahren noch gar nicht zu reden: Noch ist kaum abschätzbar, ob Sensoren der nächsten Generation immer größere Datenberge anhäufen werden. Ober ob schlanke Algorithmen und Künstliche Intelligenz den Computer-Overkill noch stoppen können. Die dazu passende Hardware - das Automobil an sich - dürfte demgegenüber tendenziell an Bedeutung verlieren.

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