Audi A6:Die neue Größe hat ein Gesicht

Viel Platz und keine Blöße: Die obere Mittelklasse aus Ingolstadt wird der Konkurrenz das Leben schwer machen.

Von Georg Kacher

Freitagnachmittag, Ingolstadt. Selbst in der Heimat der Marke mit den vier Ringen bewegt das Gesicht des neuen A6 mit dem markanten Kühlergrill die Gemüter. Zeigefinger, Arme und Köpfe gestikulieren und drehen sich um die Wette. In den nächsten drei Tagen erleben wir hautnah und live das Bunte-Hund-Syndrom, werden immer wieder neugierig überholt und einmal sogar zum Anhalten genötigt.

A6-Seite

Trotz fast fünf Metern Außenlänge wirkt der neue A6 fast grazil.

(Foto: Foto: Audi)

Die Reaktion auf das neue Gesicht ist überwältigend positiv, die Auto-Welt hat den New Look schon verinnerlicht, bevor die Produktion in Gang gekommen ist. Glück für Audi, denn mit Ausnahme von TT und Cabrio werden alle Audi-Modelle bis Ende 2005 entsprechend umfrisiert - samt großem Grill.

Unser A6 ist ein 3.2 quattro tiptronic zum Listenpreis von 45.400 Euro. Auf dem Motor steht FSI, nicht aber am Kofferraumdeckel. Der Grund: Dieses Kürzel gilt intern inzwischen fast schon als Hemmschuh, denn bislang machte die teure Direkteinspritzung weder durch Mehr-Leistung noch durch Minder-Verbrauch von sich reden.

Konsequent auf Leistung getrimmt

Audi geht deshalb einen anderen FSI-Weg und hat den neuen Sechszylinder konsequent in Richtung PS und Drehmoment getrimmt. Resultat sind 188 kW (255 PS) und 330 Nm, mehr als jeder vergleichbare Business-Class-Saugmotor. Entsprechend agil fährt sich der 1680 Kilogramm schwere Fünfsitzer, und das trotz quattro und Automatik. Die Beschleunigung von Null auf 100 km/h wird in nur 7,1 Sekunden absolviert, die Höchstgeschwindigkeit beträgt elektronisch gekappte 250 km/h. Audi nennt einen Durchschnittsverbrauch von 10,9 Litern auf 100 Kilometer, aber der ist graue Theorie. Unser Wagen konsumierte je nach Fahrweise zwischen 11,1 und 19,4 Liter; im Mittel flossen 14,7 Liter durch die Einspritzdüsen.

Vielfältiger Aggregatszustand

Natürlich, es gibt auch noch andere Motorisierungen. Und zwar den kleinen 2,4-Liter-V6 mit 130 kW (177 PS) ab 33.000 Euro, den 246 kW (335 PS) starken 4.2 quattro V8 tiptronic ab 60.000 Euro, den 3.2 FSI mit Frontantrieb und Schaltgetriebe (ab 40.700 Euro) und den 3.0 TDI V6 quattro tiptronic (ab 42.900 Euro), der 165 kW (225 PS) unter der Haube hat und der zum meistverkauften Modell avancieren dürfte.

In Vorbereitung sind ein neuer 2,7-Liter-V6-TDI mit 177 PS (kommt Ende 2004), ein großer 4,0-Liter-V8-Kultdiesel mit Partikelfilter und 290 PS (2006) und ein noch nicht näher spezifizierter V6-FSI mit rund 200 PS (2006). Dazu kommen wie gehabt zwei betont sportliche Varianten, der S6 mit dem neuen und mehr als 400 PS starken Zehnzylinder (2006) sowie der RS6, dessen V8-Biturbo künftig 368 kW (500 PS) leisten soll (2007).

Vertrauter Kamerad

Unterwegs wirkt der neue A6 schon bald vertraut. Der Innenraum ist deutlich geräumiger geworden; hier hat Audi endlich zur Konkurrenz aufgeschlossen. Der längere Radstand und die breitere Spur schaffen messbar mehr Bein- und Schulterfreiheit. Auch das Kofferraumvolumen von 546 Litern kann sich sehen lassen. Weitere Pluspunkte sammeln die um ein Drittel verwindungsfestere Karosserie und der auf 0,29 glatt gebürstete Cw-Wert.

Mit einer Außenlänge von 4,91 Metern ist der neue A6 eines der größten Autos seiner Klasse: Der BMW 5er ist sieben Zentimeter, die E-Klasse sogar zehn Zentimeter kürzer. Der Abstand zum A8 reduziert sich also auf strategisch bedenkliche 14 Zentimeter.

Beeindruckendes Innenleben

Noch mehr als bisher beeindrucken Materialauswahl, Verarbeitungsqualität und Ausstattungsumfang. Das Interieur sieht gut aus und ist gut gemacht - diesbezüglich hat Audi den Vorsprung gegenüber den Wettbewerbern noch ausgebaut. Das Bediensystem MMI funktioniert intuitiver als das iDrive von BMW, aber es ist trotzdem in manchen Details noch zu kompliziert: Selbst einfache Übungen wie die Temperaturwahl der Sitzheizung oder das Einstellen des Bordcomputers lenken zu sehr vom Verkehrsgeschehen ab, die über das Lenkrad abrufbaren Funktionen sind unnötigerweise beschränkt und das Autotelefon versteckt sich außer Sicht- und Reichweite in der Armlehne zwischen den Sitzen.

Samstagmorgen, Krems an der Donau. Gestern war Autobahntag, heute ist Carven auf wenig befahrenen Landstraßen angesagt. Der neue A6 hat auch in Sachen Handling und Straßenlage dazugelernt. Er ist jetzt viel neutraler ausgelegt, die Aufbaubewegungen sind weniger ausgeprägt, die Lenkung reagiert spontaner, die Bremsen packen bereitwilliger zu. Traktion und Richtungsstabilität lassen kaum Wünsche offen.

Nur auf starken Seitenwind reagiert die Limousine gelegentlich giftig, und die gleichmäßige Drehmomentverteilung zwischen den Achsen ist im Grenzbereich keine große Hilfe, denn im Zweifelsfall schiebt der Wagen über alle Viere in Richtung Botanik. Trotz der relativ schmalen Serienbereifung (225/55R16) verträgt sich die insgesamt harmonischer abgestimmte Federung vor allem bei langsamer Fahrt nach wie vor nicht besonders gut mit Flickwerk-Buckelpisten, Kanaldeckeln und schienengleichen Bahnübergängen. Ob da die später lieferbare Luftfederung Abhilfe schafft?

Viel Agilität

Samstagnachmittag, wir nehmen Kurs auf Wien. Die schnellen Kurven, die vom Waldviertel ins Donaubecken hinunterführen, sind dem A6 auf den Leib geschneidert. Der Wagen liegt satt auf dem Asphalt, reagiert willig auf jede Kurskorrektur, zieht spurtreu seine Bahn. Die modifizierte Vorderachse baut deutlich mehr Grip auf, die neue Hinterachse übernimmt höhere Seitenführungs- und Bremskräfte, das Auto zieht fahrdynamisch gesehen stärker an einem Strang. In sehr schnellen Biegungen will der Audi nach Lastwechseln mit einer kleinen Lenkbewegung wieder eingefangen werden, doch diese betont agile, nur noch ganz zurückhaltend untersteuernde Auslegung passt gut zum sportlicheren Selbstverständnis der Marke.

Eher wie ein kleiner A8

Unter dem Strich fährt sich der neue A6 eher wie ein kleiner A8 als wie ein großer A4. Speziell die Kombination aus FSI, quattro und tiptronic überzeugt durch souveräne Kraftentfaltung und hohe Reserven. Die Automatik arbeitet effizient und unauffällig, der Motor ist laufruhig und drehfreudig, der Allradantrieb nimmt selbst schattigen Glatteispassagen und unvermittelten Schneeverwehungen den Schrecken.

Sonntagfrüh, nonstop zurück nach Ingolstadt. Während die Wiener Symphoniker eine Pause einlegen, genießen wir das A6-Ambiente. Der neue Audi ist ungewöhnlich leise und geschmeidig, der Sitz- und Klimakomfort erfüllt hohe Ansprüche. Fahrwerk, Antrieb und Karosserie vermitteln in einer konzertierten Aktion ein in dieser Klasse nicht unbedingt übliches Gefühl von Luxus und Leichtfüßigkeit, von Solidität und Sicherheit, von Dynamik und Ausgewogenheit.

Ein BMW mag sich noch etwas sportlicher fahren, ein Mercedes mag noch etwas mehr Prestige ausstrahlen. Doch in der Summe seiner Eigenschaften ist der A6 eine ebenso spannende wie kompetente Alternative zum Establishment. Spätestens in ein, zwei Jahren, wenn die Modellpalette komplett ist, wird der A6 diesem Establishment das Leben richtig schwer machen.

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