Anschlag in Berlin:Lkw-Fahrer: "Die Angst, überfallen zu werden, schwingt immer mit"

Truck crashes into a Christmas market in Berlin

Lkw-Fahrer - ein Job, der immer gefährlicher wird. Auch der polnische Fahrer des Lastwagens in Berlin ließ sein Leben im Zuge des Anschlags.

(Foto: dpa)

Termindruck, dunkle Parkplätze - und seit dem Anschlag in Berlin kommen Kidnapping und Mord als reale Bedrohung hinzu. Fernfahrer erzählen, wie sie mit ihren Sorgen umgehen.

Von Thomas Harloff und Jessy Asmus

86 Tote und mehr als 300 Verletzte am 14. Juli in Nizza. Zwölf Tote und 48 Verletzte am 19. Dezember in Berlin. Zwei Terrorakte, die verdeutlichen: Ein Alltagsgegenstand wie ein Lastwagen kann zu einer Waffe werden, mit der Massenmorde verübt werden. Und gerade die Tat in Berlin, bei der der polnische Lkw-Fahrer höchstwahrscheinlich vom Attentäter umgebracht wurde, zeigt, dass Berufskraftfahrer mit ganz neuen Gefährdungsszenarien rechnen müssen. Eine Tatsache, die sich immer stärker in ihrem Bewusstsein verankert.

Wolfgang Karner, 46, Lkw-Fahrer aus Hinterstoder in Österreich

Meine österreichische Firma schickt mich vor allem nach Ost- und Südosteuropa. Wenn man mit den Fahrern spricht, die dort unterwegs sind, dann ist schon eine Angst zu spüren. Dort fürchten viele, dass sich Flüchtlinge in ihren Lastwagen verstecken oder sie gar bedrohen, speziell in Griechenland, Rumänien oder Bulgarien. Man hört manchmal von Überfällen mit gezückten Messern oder Schusswaffen, bei denen Geld und Laptops geklaut werden. Oder auch davon, dass Lkw-Fahrer wegen des Verdachts auf Schleuserei in Untersuchungshaft kommen, weil sich in ihren Lastwagen Flüchtlinge versteckt haben. So etwas verunsichert die Fahrer.

Das, was in Berlin passiert ist, verstärkt dieses Gefühl und macht uns nachdenklich. Das kommt nun noch näher an einen ran. Es ist einfach tragisch, dass es mir auf jedem Parkplatz passieren kann, gekidnapped oder ermordet zu werden, um mit meinem Lkw einen Terroranschlag zu verüben.

Wir können uns aber gar nicht anders verhalten als bisher. Wir müssen ja unsere Lenkzeiten strikt einhalten, das erfordert das Gesetz. Wenn ich weiß, dass meine Fahrzeit zu Ende geht und ich noch eine halbe Stunde brauche, um zu einem sicheren Parkplatz zu kommen, dann zahle ich bei der nächsten Kontrolle Strafe dafür, weil ich zu lange am Steuer saß. Die Gesetze sind viel zu kleinlich, und wehe, ich fahre ein paar Minuten zu lange. Eigentlich habe ich in der Fahrschule gelernt, dass ich meine Fahrzeit leicht überschreiten darf, um sicherzustellen, dass ich, mein Fahrzeug und meine Ladung in Sicherheit sind. Das wird aber nur von wenigen Polizisten akzeptiert. Die meisten sagen: 'Da musst du dir vorher einen Parkplatz suchen.' Aber ich muss meine Termine einhalten und kann nicht schon zwei Stunden vor der Ruhezeit nach einem sicheren Parkplatz suchen.

Und die kosten oft Geld. Immerhin bekommen wir von unserer Firma jegliche Rechnungen für sichere Parkplätze bezahlt. Das machen allerdings nicht viele Speditionen, bei vielen müssen die Fahrer das aus eigener Tasche bezahlen. Leider sind die meisten Parkplätze aber absolut unsicher. Erstens müsste nachts die Polizei viel mehr Präsenz zeigen und es müsste mehr Videoüberwachung geben.

Auch bei der Sicherheit der Lastwagen kann man nicht viel mehr machen. Die Wegfahrsperren und die Schlösser sind nicht schlecht. Als einer unserer Fahrer in Griechenland überfallen wurde, haben sie die Scheibe mit Steinen eingeschlagen. Man könnte deshalb darüber nachdenken, Lastwagen mit Panzerglas auszurüsten. Aber sonst? Von Notbremsassistenten darf man keine erhöhte Sicherheit erwarten. Denn der lässt sich leicht ausschalten und ist eigentlich da, um Verkehrsunfälle zu verhindern und keinen Terroranschlag. Ansonsten lässt sich ein Lkw vielleicht stoppen, indem man auf die Reifen schießt. Aber sonst gibt es da keine Chance.

"Es wird von Jahr zu Jahr schlimmer"

Burkhard Schnieders, 50, Lkw-Fahrer aus Cloppenburg

Die Sicherheit in unserem Gewerbe ist schon lange nicht mehr gegeben. Da müssen wir noch nicht einmal über Kidnapping reden. Es fängt ja beim Dieselklau an und geht mit Beschädigungen am Fahrzeug, zum Beispiel aufgeschnittenen Planen, weiter. Das war früher in Spanien und Italien gang und gäbe. Ich bin jetzt 27 Jahre in dem Job und bin in Italien schon zwei Mal überfallen worden. Das hat sich jetzt aber in unsere Richtung verlagert - und es wird von Jahr zu Jahr schlimmer.

Mir ist es auch schon passiert, dass sich zwei Flüchtlinge im Palettenkasten versteckt haben. Ich bin deswegen aber nicht vorsichtiger als früher. Wenn es passiert, dann passiert es eben. Man kann sich mit einem Lkw ja nicht verstecken. Verschiedene Fahrer geben Tipps, wo man nicht langfahren oder stehenbleiben sollte, wo es besonders unsicher ist. Das ist aber auch schon alles. Was soll man sonst auch machen? Die Ware muss schließlich von A nach B kommen.

Hinzu kommt: Ich halte mich strikt an meine Lenkzeiten. Wenn ich auf einem unbeleuchteten Parkplatz stehenbleiben muss, weil der Gesetzgeber das vorschreibt, dann ist das eben so. Es stimmt aber, dass die Parkplätze zu unsicher sind. Das zeigt ein Vergleich mit Frankreich. Die Franzosen haben viel mehr und zudem riesengroße Parkplatzmöglichkeiten. Und zwar auf einem Gelände hinter der Raststätte, das auch überwacht ist.

Die wenigen deutschen Autohöfe sind dagegen viel zu klein. Auf einer Raststätte ist es allein deshalb gefährlich, weil Lastwagen oft in der Auffahrt stehen. Wenn man da mit 70 oder 80 km/h angefahren kommt, stehen die unbeleuchtet in der Einfahrt. Das ist aus meiner Sicht gefährlicher, als wenn einer versucht, Diesel, meinen Fernseher oder mein Portemonnaie zu klauen. Viele Parkplätze sind auch schlecht angelegt. Wir stehen mit den Fahrerhäusern Richtung Autobahn, nur wenige Meter von der Fahrbahn entfernt. Der Laster steht teilweise so schief, dass man gezwungen ist, ein Holz unter den Vorderreifen zu legen, damit man einigermaßen gerade steht und schlafen kann. Aber gleichzeitig redet die Politik von nicht ausgeruhten Lkw-Fahrern. Aber versuchen Sie unter diesen Umständen, vernünftig zu schlafen!

Die alten Raststätten sind dunkel und eng, sodass unbeobachtet Personen zwischen den Lastwagen laufen können. Und dass die Polizei zu wenig Personal hat, um ständig Rastplätze zu überwachen, ist ja auch klar. Den Job will ja keiner machen für das wenige Geld und die Gefahr, der man sich aussetzt. Immerhin sind die neuen Raststätten gut ausgeleuchtet.

Die Sicherheit der Lastwagen halte ich für ausreichend. Ich habe einen Safety Truck. Der hat in den Türen Eisenstäbe, die ich direkt im Türholm verankern kann. Man muss die Tür schon aushebeln, um in meinen Lkw zu kommen. Aber wenn man einem Terroristen in die Hände fällt, nützt auch das beste Schloss nichts mehr. Dann schlägt er eben die Scheibe ein. Wenn man dann in eine 9-Millimeter-Pistole schaut, sagt man wahrscheinlich: "Hier hast du meine Klamotten, hier hast du meinen Lkw, aber lass mich in Ruhe!" Wenn einer was will, dann schafft der das. Egal wie.

Und ein Notbremsassistent? Der würde bei einem Szenario wie in Berlin gar nichts nützen. Man braucht den ja noch nicht einmal auszuschalten. Man muss nur auf das Gaspedal treten, dann schaltet der automatisch ab und beschleunigt das Fahrzeug. Wenn überhaupt, dann würden Betonmauern helfen. Aber man sieht ja an den Autobahnen, dass die im Zweifel wenig bewirken, wenn ein Lkw mit 80 km/h reinfährt. So etwas dürfte den Schaden zwar mindern, aber der Lastwagen schiebt das Hindernis trotzdem einige Meter weiter oder wird sogar darüber hinwegfahren. Von den vielen Trümmerteilen ganz zu schweigen. Man könnte höchstens auf die Reifen schießen. Aber das haben sie in Nizza auch gemacht und trotzdem ist der Lkw weitergefahren.

"Ich habe wegen meiner Bedenken keinen tiefen Schlaf"

Ingo Trautmann, 54, Lkw-Fahrer aus Suhl

Die Lkw-Romantik von früher existiert schon lange nicht mehr. Kaum einer traut sich noch, Anhalter mitzunehmen. Oft wird das auch von den Speditionen verboten - oder vom Gesetz, wenn Gefahrgut geladen ist. Wenn etwa eines meiner Kinder mitfahren möchte, muss ich das rechtzeitig anmelden, damit die Route und Fracht dementsprechend geplant wird.

Ich versuche, beleuchtete Rastplätze zu erwischen, denn Lastwagen werden oft ausgeraubt. Tankdiebe verschärfen die Situation während der Pausen seit Jahren. Der Dieselraub erfolgt geplant mit Lieferwagen, die neben einem halten. Oder die Diebe suchen sich Fahrzeuge, die über das Wochenende abgestellt werden. Deren Tanks sind dann leer, wenn man Montag losfahren will.

Die Angst, überfallen zu werden, schwingt immer mit. Ich habe wegen dieser Bedenken auch keinen tiefen Schlaf. Wir Fahrer fürchten aber eher, dass unsere Wertsachen entwendet werden. Da wir teilweise wochenlang unterwegs sind, führen wir sozusagen unser Wohnzimmer mit uns. Wir haben persönliche Sachen wie Laptop, Smartphone oder Wasserkocher immer dabei. Aber dass die "Last" als Waffe genutzt wird, ist in meinen Augen nicht normal. Die Fracht wird ständig per GPS überwacht. Unser Disponent hat sogar eine App auf dem Handy, mit dem er unseren Standort nachvollziehen kann.

Die Pausen und Stehzeiten sollen natürlich auf überwachten Park- und Rastplätzen gemacht werden. Aber gerade in Deutschland gibt es davon nicht genug - obwohl es ein Transitland ist. In Deutschland ist man sich oft unsicher, was die Ausschilderung der Raststätte bedeutet, wenn man sie nicht bereits kennt. Außerdem gibt es viel zu wenige Stehplätze. Auf der A 3 zwischen Nürnberg und Passau etwa ist für mich kein "Sicherheitsgefühl" für die Nacht zu finden. Manchmal wird es mit der Lenkzeit so knapp, dass ich auf Waldwege oder Industriegebiete ausweichen muss. Da steht man in der Nacht allein und abgeschieden.

In anderen Ländern wie Frankreich lässt sich die Rast besser planen. Dort informieren mich Anzeigen schon 50 bis 100 Kilometer vorher, wie viele Stehplätze auf den betreffenden Plätzen noch zur Verfügung stehen. Auch in Österreich gibt es in regelmäßigen Abständen beleuchtete Rastplätze entlang der Autobahn mit sauberen Hygieneanlagen.

Ich habe für verschiedene Transportunternehmen gearbeitet. Bei einigen sind Safety-Trucks, bei denen sich die Türen per Keil in den Fahrerhauskabinen verankern lassen, normal, bei anderen nicht. Aber die absolute Sicherheit gibt es nicht. Die GPS-Antenne auf dem Dach kann zum Beispiel durch Alufolie in ihrer Funktion beeinträchtigt werden.

Aber auch das Flüchtlingsthema betrifft uns. Sie verstecken sich oft in den Lagerfächern für Europaletten. Einmal sind bei einer Kontrolle beim Lkw vor mir Tote aus diesen Fächern gefallen. Dann muss man als Fahrer erst einmal seine Unschuld beweisen.

Nach Vorfällen wie Nizza oder Berlin merkt man kurzzeitig, dass die Sicherheit erhöht wird. Letzte Nacht etwa patrouillierte ein Streifenwagen auf dem Rastplatz im Ruhrgebiet, auf dem ich mit meinem Lkw stand. Das sieht man sonst nicht oft. In ein paar Wochen wird man davon jedoch nichts mehr merken. Das Kontrollnetz ist aber sowieso lückenhaft. Ein Beispiel: Ich war gerade in Mulhouse in Frankreich. Bei der Einfahrt wurde jeder Lkw kontrolliert, doch ein paar Kilometer entfernt werden die Grenzübergänge oder Straßen gar nicht überprüft. Wenn man etwas im Schilde führt, wählt man natürlich eine dieser Straßen.

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