Angeschlagener Autokonzern:Der Umbau wird schmerzhaft für VW

Verdrecktes Markenlogo eines VW Tiguan

Um sich für die Zukunft zu rüsten, wird VW viele verkrustete Strukturen aufbrechen müssen.

(Foto: dpa)

Weniger Baureihen, dafür viel mehr Elektroautos: Volkswagen will bald Mobilitätsdienstleister statt klassischer Autobauer sein. Doch dort wo der Konzern hin möchte, sind längst andere.

Von Georg Kacher

Die Ein-Mann-Show des Ferdinand Piëch hat den VW-Konzern groß gemacht. Piëch hatte Visionen, und er hatte Martin Winterkorn und Ulrich Hackenberg, die seine oft teuren Autoträume in die Tat umsetzten. Wem ist es nach dem Abgang der alten Garde am ehesten zuzutrauen, aus den neu gewichteten Prioritäten im Konzert der elf Marken die Fortsetzung der jäh unterbrochenen Erfolgsgeschichte zu schmieden? Wo sind die Kandidaten, die neben Kompetenz und Weitblick auch den Willen zur Veränderung mitbringen?

Mit Ulrich Eichhorn hat der Konzern einen kompetenten Generalbevollmächtigten für den Bereich Forschung & Entwicklung. Auch VW-Chef Herbert Diess, bis Sommer 2015 Vordenker bei BMW, bringt Know-how in den Vorstand. Doch die große Linie wird ab sofort nicht mehr von einzelnen Ausnahmekönnern bestimmt, sondern vom Kollektiv, in dem der Stratege Thomas Sedran und der Digitalisierungs-Spezialist Johann Jungwirth ein gewichtiges Wort mitreden.

In Wolfsburg wird ab sofort reduziert, konsolidiert und integriert

Damit dem Konzern nicht schon bald die Kosten über den Kopf wachsen, führt kein Weg vorbei an Personalabbau und Umschichtung. Wenn es stimmt, dass die Gewerkschaft oft unternehmerischer denkt als das Management, dann müssen beide Seiten während und nach dem schwierigen Paradigmenwechsel an einem Strang ziehen. Dabei muss unter anderem geklärt werden, warum VW immer mehr Entwicklungs- und Produktionsaufträge an Zulieferer vergibt, ohne dass die hauseigene intellektuelle Überkapazität dem Bedarf angepasst wird. Um den trägen Tanker flottzumachen, wird auf der Kommandobrücke in Wolfsburg ab sofort reduziert, konsolidiert und integriert. Flexibel, eigenständig, dezentral, effizient - das sind die Schlagworte, die Besserung versprechen.

Doch zwischen Theorie und Praxis klafft eine Lücke. So engt zum Beispiel die neu eingeführte Baureihenstruktur mit den direkt integrierten Verantwortlichkeiten von der Beschaffung bis zum Vertrieb den Spielraum der Entwicklungsvorstände deutlich ein. Bauähnliche Derivate wie VW Golf und Audi A 3 sind gewollt und zielführend, Doubletten wie der Quermotor-Passat und der Längsmotor-A 4 sind eher kontraproduktiv. Die angestrebte Eigenständigkeit der Töchter wird durch markenübergreifende Strategie-Themen (Elektrobaukasten, Batterietechnologie, Connectivity, pilotiertes Fahren, künftig nur noch vier Architekturen, kleineres Modellangebot) relativiert. Die Ende Juni veröffentlichte Strategie 2025 gibt zwar viele Ziele vor, erklärt aber kaum ansatzweise, wie sie erreicht werden sollen.

Fünf Baukästen als Basis

Der Konzern will künftig sein gesamtes Pkw-Portfolio in fünf Baukästen bündeln. Erstens: Das Billigmodell Budget Car kann ein günstiges Einstiegsauto für China und Indien sein - oder die Speerspitze einer breiter angelegten Weltauto-Offensive gegen Dacia und Datsun. Zweitens: Das Volumen-Segment unter Leitung von VW deckt ähnlich dem Modularen Querbaukasten (MQB) das Spektrum von A00 (Up!) bis B+ ab (siebensitziger US-SUV). Drittens: Die von Audi zu verantwortende Premiumsparte kümmert sich um größere Limousinen, Kombis und Coupés sowie um Crossover mit Längsmotor. Viertens: Porsche wird für sich und für andere Premiummarken einen neuen, hoch flexiblen Sportwagen-Baukasten konzipieren. Fünftens: Die neue modulare Elektroantrieb-Matrix soll in Flachboden- und Hochbodenbauweise, mit Zweirad- oder Allradantrieb und mit einem bis vier E-Motoren darstellbar sein.

Das klingt gut, ist aber nur graue Theorie. Zum einen greift der nächste Akt der Modulsaga mehrheitlich erst zwischen 2020 und 2025, wenn die aktuellen Architekturen Zug um Zug ersetzt werden. Zum anderen existieren wichtige Elemente des nächsten Produktzyklus bislang nicht einmal auf dem Papier. Darüber hinaus muss sich erst noch zeigen, ob die fünf Baukästen tatsächlich nahezu alle Bedürfnisse aller Marken abdecken. Dass Audi A 8, Bentley Flying Spur und Porsche Panamera mittelfristig die gleiche Plattform nutzen, gilt als sicher. Aber alle Volumenmodelle vom kleinen VW Up! bis zum großen US-SUV aus dem gleichen Gen-Pool zu bedienen, dürfte schon deutlich schwieriger sein.

Das Gegen- muss zum Miteinander werden

Und was passiert in der oberen Mittelklasse? Zur Disposition stehen hier der frontantriebsorientierte Längsmotor nach Audi-Rezept, die noch ausbaufähige Quermotor-Matrix von VW und das heckantriebsorientierte Porsche-Baumuster. Falls Porsche tatsächlich für alle Sportwagen mit Front-, Mittel- oder Heckmotor eine gemeinsame Basis generieren soll, könnte die Panamera-DNA am Ende sogar bei Audi landen.

Damit der Konzern seine hohen Fixkosten in den Griff bekommt, muss aus dem einst geförderten Gegeneinander rasch ein Miteinander werden. Selbstverwirklichung statt Pragmatismus mag funktioniert haben, als Meister Piëch noch aus dem Vollen schöpfte, Marken zukaufte und sich der Milliardär und Ingenieur quer durch die Palette vom Ein-Liter-Auto bis zum 16-Zylinder ausleben konnte.

VW leistet sich weiter so manchen Luxus

Seit September 2015 gilt zwar eine neue Zeitrechnung, aber VW gibt trotzdem weiter Geld aus für Dinge wie die wenig publikumswirksame Rallye-WM, verbrennt in Le Mans Jahr für Jahr einen dreistelligen Millionenbetrag, engagiert sich in der DTM statt in der Formel E. Auch die Entwicklung eines V-10-Motors mit der komplexen desmodromischen Ventilsteuerung haben die Controller offenbar ebenso abgesegnet wie ein teures maßgefertigtes Tablet im Fond des nächsten Audi A 8 oder die ungewöhnlich breit gefächerten Lichttechnologien und Bedienkonzepte.

Nach wie vor heiß diskutiert wird die Abgrenzung der Architekturen. Wo hört was auf, welche Segmente überlappen einander, wie verhält es sich mit den Zuständigkeiten, wenn Audi beispielsweise den R-8-Nachfolger zu Lamborghini auslagern oder durch einen R 6 mit Cayman-Genen ersetzen würde. Die Ingolstädter haben die Manpower, um nach der Systemführerschaft für die Brennstoffzelle im nächsten Schritt zum Konzern-Kompetenzzentrum für alternative Antriebe, Digitalisierung und autonomes Fahren zu avancieren. Dieser Schwenk wäre aufwendig, ist als zentrale Hightech-Großküche aber auf lange Sicht möglicherweise sinnvoller als kleine separate Speisekarten für die Marken. Vom Motto "teuer, aber top" werden sich auch die Herren der Ringe in jedem Fall verabschieden müssen.

Es gibt allein drei Elektro-Plattformen

Seat und Škoda fahren wie gehabt im Kielwasser von VW; Lamborghini und Ducati hängen an Audi; zu Porsche gehören Bentley und Bugatti. Ursprünglich war nur ein einziger E-Baukasten geplant, doch inzwischen gibt es schon deren drei: MEB (VW), C-BEV (Audi) und J 1 (Porsche). Bis mehr Planungssicherheit die Konsolidierungsphase einleitet, darf nach Herzenslust differenziert werden. Bei den E-Maschinen duellieren sich permanent Innen- und Außenläufer, allein die Ingolstädter halten momentan zehn verschiedene Stromer-taugliche Getriebe vor, in Weissach leistet man sich drei eng gestufte Hybrid-Bausteine mit 75, 80 und 85 kW.

Noch nicht endgültig definiert sind essenzielle Zukunftskonzepte wie die elektrisch angetriebene Hinterachse für Fronttriebler (e-quattro) und die skalierbare Flachspeicher-Struktur. Damit die sinkende Fertigungstiefe nicht den Konflikt mit den Arbeitnehmern verschärft, wird VW kaum darum herumkommen, Batterien und E-Antriebe selbst zu produzieren. Ob damit die hohen Gesamtkosten der Wertschöpfungskette in den Griff zu bekommen sind?

Viele geplante Modelle werden Opfer des Sparzwangs

Der Sparzwang ist eine willkommene Entschuldigung für das Nichtzustandekommen diverser Projekte. Der als Porsche 929, Bentley Speed 6, Audi Sport Quattro und Lamborghini Ratón angedachte 2+2-sitzige Frontmotor-GT liegt zum Beispiel ebenso auf Eis wie ein größerer VW oberhalb des Passat, der als Leon-Limousine angedachte Seat-Exeo-Nachfolger, der als viertüriges Luxus-Coupé konzipierte Audi A 9, Škoda-Derivate von Caddy und VW-Bus, der zweite Bugatti, ein oder mehrere Dacia-Konkurrenten auch für Europa, jede Art von Supersportwagen, die Coupé-Derivate von Macan und Cayenne, der Porsche 960 mit Achtzylinder-Boxer, der Audi TTQ und das Raumkonzept auf A-3-Basis. Von den Rotstift-Überlegungen nicht betroffen sind zusätzliche SUV-Angebote wie Audi Q1 und Q4, VW T-Cross und T-Roc, Škoda Polar und Kodiaq, Seat Ateca und Alicante und der Lamborghini Urus.

Außerdem plant das Management, von den 340 Modellvarianten zehn bis 15 Prozent nicht zu ersetzen. Auf der Liste bedrohter Arten stehen New Beetle, Scirocco, Golf Cabrio, Golf-Zweitürer und ein Mitglied des Trios Sportsvan, Touran und Sharan. Audi stellt die Zweitürer auf Basis A 1 und A 3 auf den Prüfstand, ebenso den R 8 und das A-3-Cabrio. Seat will den Ibiza- Kombi streichen, den Toledo neu positionieren und den Leon-Zweitürerprüfen. Ebenfalls gesichtet auf dem Parkplatz vor dem Jüngsten Gericht wurden Škoda Rapid Limousine, Bentley Mulsanne und diverse Motor-Ausstattungsvarianten des Porsche 911.

Wo VW hin will, sind schon andere

Mit mehr als 30 neuen E-Modellen will VW dafür deren Marktanteil bis 2025 auf 25 Prozent hochschrauben. Allein die Kernmarke arbeitet an acht verschiedenen E-Mobilen vom Stadtauto (NUVe) bis zum siebensitzigen Crossover (CUVe).

Volkswagen sieht sich immer mehr als Mobilitätsdienstleister, doch wo VW hin will, da sind schon andere. Um den Honigtopf streiten sich auch Big Data, Strom- und Batterielieferanten, Infrastruktur-Netzwerker, neue Fahrdienste, Batterie- und Internet-Pioniere aus China, Indien und Amerika - und die wahren Profiteure der neuen Auto-Welt, die um die Aufmerksamkeit, die Zeit und natürlich um das Geld der Verbraucher buhlen.

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