Süddeutsche Zeitung

Alternatives Mobilitätskonzept:Carsharing wächst schnell - zu schnell für die Politik

Immer mehr Menschen wollen sich Autos teilen, gerne auch E-Fahrzeuge. Doch weil Gesetze und Infrastruktur fehlen, wird die Suche nach Parkplätzen und Ladestationen zum Abenteuer.

Von Michael Kuntz

Die Idee ist einfach und vielleicht deshalb so erfolgreich. Man schaut auf sein Smartphone und sieht, wo das nächste Gemeinschaftsauto gerade steht. An einem normalen Mittwochvormittag in München-Schwabing parkt der BMW 1er "Calli" mit Automatikgetriebe und Diesel im Tank für 296 Kilometer in 600 Metern Entfernung. Man reserviert ihn per App und läuft los, ein Fußweg von neun Minuten. Öffnen kann man "Calli" per Funk. Man lässt ihn vorher blinken, um ihn leichter zu finden. Nach der Fahrt stellt man das Carsharing-Auto im definierten Geschäftsgebiet ab, irgendwo, nur nicht in einem Halteverbot.

Carsharing ist auf dem Siegeszug. Was vor Jahrzehnten in alternativ angehauchten Vereinen mit gemeinschaftlich gekauften Autos auf festen Abstellplätzen begonnen hatte, erlebte den Durchbruch mit dem Eintritt professioneller und gewinnorientierter Anbieter in den bis dahin von Nonprofit-Organisationen oft eher laienhaft gemanagten Markt. Die neuen Unternehmen wie Drivenow und Car2Go haben finanzstarke Eigentümer und vor allem eine in den Großstädten gut funktionierende Idee: das sogenannte Free-Floating-System, bei dem das Auto nicht mehr an festen Stationen abgeholt und zu diesen zurückgebracht werden muss.

Die Politik hinkt der Entwicklung hinterher

Die Branche startete in den vergangenen fünf Jahren richtig durch: Teilten sich seinerzeit gerade einmal 185 000 Menschen ein Auto, so sind heute 1,3 Millionen registriert. Auch die teilweise seit 25 Jahren tätigen Anbieter von stationärem Carsharing erlebten noch einmal einen Wachstumsschub, seit die Idee der gemeinsamen Nutzung eines Autos in Metropolen wie Berlin und München populär ist.

Der Erfolg des Carsharing ist derzeit allerdings auch das Problem: Die Politik hinkt der dynamischen Entwicklung hinterher. Ein Gesetz ist zwar in Arbeit, allerdings schon seit etlichen Jahren. Die Akteure betonen ihre Innovationsfreudigkeit, tragen aber wenig dazu bei, dass nach jahrelangen Beratungen endlich ein rechtlicher Rahmen geschaffen wird für ein Angebot, das immer mehr Menschen nutzen.

Rechnerisch ist das Parken besonders teuer

Erstes Beispiel: Derzeit entfallen bei jeder Fahrt mit einem Carsharing-Fahrzeug rund 15 Minuten auf die Suche nach einem Parkplatz. Bei einem durchschnittlichen Minutenpreis um die 32 Cent zahlt der Kunde also fast fünf Euro allein fürs Parken. Dabei sind in den 32 Cent neben Treibstoff und Steuern bereits pauschale Parkgebühren enthalten. Das bedeutet praktisch: Für das Abstellen des Autos wird der Carsharing-Kunde derzeit also gleich zwei Mal zur Kasse gebeten, direkt und indirekt.

Die Politik schaut zu. Beispiel zwei: Der Parkplatz des Schwimmbads in München ist vorübergehend gesperrt, weil über ihm ein Wohnhaus gebaut wird. Um die wenigen verbliebenen Abstellmöglichkeiten rangeln Anwohner und Besucher. Vor dem Eingang gibt es reservierte Parkplätze für Behinderte. Reservierte Parkplätze für Gemeinschaftsautos gibt es keine, es fehlt die rechtliche Grundlage.

Drittes Beispiel: Zur Drivenow-Zentrale sollte man besser nicht mit dem Auto fahren. Das Verwaltungsgebäude für rund hundert Mitarbeiter liegt in der Münchner Innenstadt. Nicht weit entfernt gibt es einen Standplatz für Taxis. Allgemeiner Parkraum ist knapp und wird belegt nach dem Prinzip: ein Auto, ein Fahrer, ein Platz. Wie gehabt eben. Und: Daran wird sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit die nächsten Jahre wenig ändern.

Das ist so, obwohl von der Bundesregierung die Notwendigkeit spezieller Parkplätze für gemeinschaftlich genutzte Autos erkannt worden ist. "Mit Carsharing können wir einen Teil unserer Verkehrsprobleme lösen", sagt Norbert Barthle, Staatssekretär im Verkehrsministerium. In Bremen schaffe ein Carsharing-Fahrzeug laut Befragung von Kunden zurzeit durchschnittlich 15 private Pkw ab, betont der dortige Umweltsenator Joachim Lohse.

Wissenschaftliche Untersuchungen gelangen zu dem Ergebnis, dass mindestens drei private Pkw durch ein Carsharing-Fahrzeuge ersetzt werden. Führende Verkehrspolitiker sind sich daher im Grundsatz einig, dass es spezielle Parkplätze für das Carsharing geben sollte.

Es droht ein jahrelanger Gesetzgebungsprozess

Doch der Weg zu reservierten Parkplätzen ist weit: Der Bund muss erst eine Muster-Gesetzgebung verabschieden. Diese soll danach in den 16 Bundesländern jeweils einzeln in die Landesstraßengesetze überführt werden. Die Lobbyisten vom Bundesverband Carsharing ahnen, was ihnen bevorsteht: "Ein Prozess, der im ungünstigsten Fall noch Jahre in Anspruch nehmen kann."

Zäh läuft es auch bei der Infrastruktur für Elektroautos. Sie sind für Kurzstrecken besonders geeignet und gelten daher als die idealen Fahrzeuge für das Carsharing in großen Städten. Zwar ist die Einweihung von Ladestationen noch jedesmal ein Medienereignis, bei dem sich beispielsweise kürzlich in München der Oberbürgermeister, ein BMW-Vorstand und weitere Honoratioren bei der Einweihung von vier (!) Straßenlaternen fotografieren ließen, die "im Rahmen einer ersten Pilotphase" als Stromtankstellen eingeweiht wurden.

Drivenow-Elektroautos fahren vor allem in Kopenhagen

Allerdings: Die bei derlei Anlässen entstehenden Bilder lenken eher ab von der Realität. Deutschland ist tiefste Provinz, was die Infrastruktur für Elektromobilität betrifft. So gibt es in Berlin als Hauptstadt aller Stromtankstellen Deutschlands knapp 200 Zapfsäulen und Pläne für 600 Stationen.

In München mussten sich bislang 85 Elektroautos gerade einmal 35 Tankstellen teilen. Kein Wunder also, dass von den 840 Elektroautos der Carsharing-Firma Drivenow knapp die Hälfte in Kopenhagen unterwegs ist. Denn dort konnte das gemeinsam von BMW und Sixt betriebene Unternehmen eine Hinterlassenschaft von Better Place übernehmen. Das israelische Start-up von Shai Agassi hatte die dänische Hauptstadt mit einer vergleichsweise phänomenalen Infrastruktur versorgt und war dann dramatisch pleitegegangen.

Auf den Spuren von Better Place rollen nun also 400 BMW-Elektroautos für Drivenow durch Kopenhagen. Insgesamt betreibt Drivenow ein Fünftel seiner Flotte von 4500 Fahrzeugen elektrisch. "Wenn die Ladeinfrastruktur nicht kommt, wird es schwierig, diesen Anteil zu halten", sagt Drivenow-CEO Sebastian Hofelich. Der frühere BMW-Manager sieht in den Elektromobilen beim Carsharing ein Stück "Aufklärungsarbeit im Alltag". Potenzielle Käufer können schon mal Probe fahren und die besondere Dynamik des elektrischen Antriebs erleben. "Wir sind die Piloten der E-Mobilität."

Ob mit reservierten Parkplätzen oder ohne, ob mit flächendeckender Ladeinfrastruktur oder ohne - Politiker werden die Verbreitung des Carsharing nicht aufhalten können, auch nicht ungewollt. Das zeigt die Entwicklung des Marktführers beim Carsharing in Deutschland. Drivenow wurde zwischen 2011 und 2013 in den fünf Städten München, Berlin, Düsseldorf, Köln und Hamburg eingeführt. Seit 2014 wird in europäischen Hauptstädten investiert: Wien, London, Kopenhagen, Stockholm. Und seit Mitte dieser Woche gehört Brüssel dazu mit zunächst 150 und später 300 Autos. Die mittlerweile mehr als 600 000 registrierten Nutzer können dann mit ihren Kundenkarten auch am Sitz der EU-Kommission Drivenow-Wagen aufsperren und nutzen.

"Wir wollen einen signifikanten Beitrag dazu leisten, dass weniger Fahrzeuge in die Stadt fahren und mehr Platz bleibt zum Leben." Auch wenn das vielleicht so klingt, Drivenow-Manager Hofelich ist deshalb kein Altruist. "Wir sind angetreten, um ein profitables Geschäftsfeld aufzubauen."

Die Autos sollen dort stehen, wo oft gemietet wird

Deshalb findet der Kunde nicht immer ein Auto gleich bei sich um die Ecke, deshalb stehen mitunter allein hundert Fahrzeuge an einem Flughafen und deshalb erledigen externe Dienstleister die Wartung und Reinigung der Fahrzeuge. Umgeparkt wird möglichst wenig. Rabattzeichen in der App sollen Kunden zu Autos locken, die beim Free-Floating in Gegenden gelandet sind, wo selten gemietet wird.

Profitables Geschäftsfeld - das ist zumindest in Deutschland schon gelungen. Seit Mitte 2014 arbeitet Drivenow hierzulande mit Gewinn. "Das haben wir von anderen noch nicht gehört. Deshalb gehen wir bei denen davon aus, dass das nicht so ist." Der Seitenhieb geht vor allem in Richtung des Hauptwettbewerbers Car2Go, der zum Daimler-Konzern gehört.

Car2Go bietet nun auch Mercedes-Modelle an

Der Hauptunterschied bei den beiden Wettbewerbern waren bisher die Autos. Car2Go vermietete vor allem Kleinstwagen der Marke Smart. Drivenow hatte von Anfang an BMW 1er und verschiedene Mini-Modelle im Angebot, darunter auch Cabrios. Derzeit sind es neun verschiedene Modelle. "Wir wollen zum Gesamtsystem etwas beitragen, was mindestens so gut ist wie der eigene Pkw", sagt Hofelich.

Nun reichert auch Car2Go seine Smart-Flotte mit kleinen Mercedes-Autos an. Die simple Fortbewegung von A nach B scheint also nicht für alle Carsharing-Kunden der alleinige Grund für die Kurzzeitmiete eines Autos zu sein. Der Spaßfaktor spielt offenbar durchaus eine Rolle. Sebastian Hofelich jedenfalls sieht die Drivenow-Strategie durch den jüngsten Schritt von Car2Go bestätigt: "Das ehrt uns."

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Quelle:
SZ vom 07.07.2016/harl
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