Alternative Antriebe:Der Zirkus mit der Zukunft

Alle Autobauer reden vom Elektroantrieb. Sicher ist aber erst mal nur, dass Benzinmotoren schrumpfen.

Joachim Becker

Der Zirkus kommt: Menschen, Maschinen, Sensationen. "Erleben, was bewegt", lautet der kategorische Imperativ mitten in der schlimmsten Autokrise seit Jahrzehnten. "Die IAA 2009 wird zeigen, wie die Firmen aus der Talsohle herausfahren", kündigt Matthias Wissmann, Präsident des Verbands der deutschen Automobilindustrie (VDA), an.

Alternative Antriebe: Der Mercedes SLS mit Elektroantrieb legt zwar einen Dragster-Start hin - aber schon kurz danach ist Schluss mit lustig.

Der Mercedes SLS mit Elektroantrieb legt zwar einen Dragster-Start hin - aber schon kurz danach ist Schluss mit lustig.

(Foto: Foto: oh)

Schon vor der eigentlichen Gala sehen wir verblüffende Kunststücke: Mercedes AMG zaubert beispielsweise einen Supersportwagen mit Batterieantrieb ins Rampenlicht. Der Öko-Racer spurtet in vier Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h. Tusch, Applaus und Abgang der Artisten. Im Kleingedruckten des Programmhefts lesen wir, dass die Akkus des SLS AMG einen Energieinhalt von 48 Kilowattstunden speichern können. Das entspricht dem automobilen Heizwert von fünf Liter Benzin. Kurz nach dem Dragster-Start ist also schon Schluss mit lustig.

Der Elektro-Hype lässt derzeit die Grenzen zwischen Automobil- und Showbusiness verschwimmen. Dabei ist das Rennen um die Antriebe der Zukunft noch lange nicht entschieden. Während auf offener Bühne das große Illusionstheater läuft, wird hinter den Kulissen an Alternativen gearbeitet, die bezahlbar und praxistauglich sind.

"Es hat keinen Sinn, Reiselimousinen mit einem reinen Batterieantrieb auszustatten", sagt Gunther Ellenrieder mit Nachdruck. "Zirka 500 Kilometer Reichweite werden von diesen Kunden auch zukünftig erwartet. Derzeit erreichen wir mit unserer Studie BlueZero im B-Klasse-Format gerade einmal 200 Kilometer Reichweite", so der Leiter Fahrzeugkonzepte in der Daimler-Konzernforschung. Eine Mercedes C-Klasse, die ausschließlich batterieelektrisch angetrieben werde, sehe er auch in Zukunft nicht, betont er.

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Bietet Mercedes statt luxuriöser Limousinen künftig nur noch Kompaktautos an? Wohl kaum. Sicher ist, dass Elektromobile auch im nächsten Jahrzehnt eine Marktnische sein und Verbrennungsmotoren mit mehr als 90 Prozent marktbeherrschend bleiben werden. Absehbar ist aber auch, dass die deutschen Hersteller ihren Flottenausstoß bis 2020 von derzeit 165 auf 95 Gramm CO2 pro Kilometer nahezu halbieren müssen. Bislang unterbieten nur Exoten wie der Smart Fortwo CDI oder der neue Toyota Prius die magische Verbrauchsgrenze von vier Liter Benzin beziehungsweise 3,5 Liter Diesel. Daher müssen auch prestigebewusste Käufer von Mittelklassefahrzeugen umdenken: "In der Nachfolgegeneration der Mercedes C-Klasse wird es auch Dreizylinder geben", kündigte Daimler-Vorstand Thomas Weber kürzlich an.

Das Motoren-Downsizing wird weiter gehen, als viele derzeit glauben. "Bisher waren drei Zylinder für Premiumautos tabu", sagt Peter Langen, "mittlerweile kann ich mir so ein kleines, aufgeladenes Kraftpaket auch bei BMW gut vorstellen", so der Leiter der dortigen Antriebsentwicklung. "Wir erreichen bereits 100 kW (136 PS) Leistung pro Liter Hubraum, das lässt Spielraum für eine neue Ausprägung künftiger Modelle. Außerdem kann ein gut gemachter Dreizylinder im Ansprechverhalten durchaus nochmal besser sein als die heutigen Vierzylinder", ergänzt Langen. Bisher waren Dreizylinder die Underdogs, plärrende Halbstarke, die sich kaum jemand in der Mittelklasse vorstellen mochte.

Künftig wird radikales Zylinder-Downsizing aber nicht notwendig Verzicht bedeuten. Wohin die Reise geht, zeigen Vierzylinder mit zweistufiger Aufladung schon heute: 2,0-Liter-Diesel wie im BMW 123d wildern bereits in der Klasse über 200 PS, der Turbo-Benziner im Audi TTS fördert sogar 272 PS aus zwei Liter Hubraum. Sechszylinder sind definitiv auf dem Rückzug, es sei denn, sie ersetzen die Achtzylinder im Segment über 300 PS. Sind die Zeiten also vorbei, in denen Hubraum auch eine Statusfrage war? "Nur 20 Prozent halten einen Vierzylinder zum Beispiel in der Mercedes S-Klasse für unpassend", ermittelte die Fachzeitschrift auto motor und sport in ihrer jüngsten Leserwahl. Die Hälfte der Befragten fänden das Zylinder-Downsizing grundsätzlich in Ordnung - vorausgesetzt die Leistung stimme.

Rolf Leonhard, Bosch Bereichsvorstand Dieselentwicklung, weiß schon, wie die Abwärtsspirale beim Verbrauch aussehen wird: "Der Benziner der Jahres 2015 wird für ein Kompaktfahrzeug mit 100 Kilowatt Leistung und 1400 Kilo Gewicht nur noch 5,5 Liter pro 100 Kilometer brauchen - und damit 29 Prozent weniger als der Standardmotor des Jahres 2009. Beim Diesel des Jahres 2015 werden es 3,6 Liter pro 100 Kilometer Verbrauch sein - verglichen mit einem Diesel des Jahres 2009 ein Drittel weniger."

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Wohlgemerkt handelt es sich nicht um Kleinwagen, sondern um Mittelklassefahrzeuge mit 1400 Kilo Gewicht und 100 Kilowatt Leistung. Bestandteil des Technologiepakets sind Direkteinspritzung, vollvariable Ventiltriebe wie die Valvetronic von BMW sowie Start-Stopp-Systeme. Allein das Downsizing von 1,4 auf knapp mehr als 1,0 Liter Hubraum und drei Zylinder bringt zwei bis drei Prozent Verbrauchsreduzierung. Zudem sinkt der Kühlwasserbedarf, was den Motor schneller auf effiziente Temperaturen kommen lässt.

Ein entscheidender Vorteil des Dreizylinders liegt allerdings in seinem geringen Bauraumbedarf: "Ein Zylinder weniger spart acht bis zehn Zentimeter Baulänge, das kann für Hybrid-Antriebe entscheidend sein", erläutert Rolf Leonhard. "Ein Elektromotor mit 25 kW wäre aus technischer Sicht eine ideale Ergänzung zum Dreizylinder, denn er senkt den Verbrauch noch einmal um knapp einen halben Liter und unterstützt den kleinen Motor mit maximaler Kraft beim Anfahren." Alle Hersteller entwickeln momentan Antriebskonzepte für den Fall, dass die Innenstädte für Verbrennungsmotoren geschlossen werden. Ein Dreizylinder bietet dafür die ideale (Stückzahlen-)Basis: Er lässt sich sowohl mit ein- und zweistufigen Turbo- oder Kompressoraufladungen als auch mit (Plug-in-)Hybriden kombinieren, die bis zu 50 Kilometer rein elektrisch fahren.

"Die Übergänge zwischen Hybrid- und Elektroautos mit Range Extender werden immer fließender. Selbst ein relativ kleiner Verbrennungsmotor kann per Generator entweder die Batterie laden oder die Räder direkt antreiben", sieht Gunther Ellenrieder voraus, "nur so kommen wir bei Range-Extender-Konzepten auf geringe Verbräuche bei Überlandfahrten und Reichweiten von mehr als 500 Kilometer." Je nach Land und Subventionspolitik werden die Antriebsbausteine künftig variabel zusammengesetzt. Eine (milde) Form der Elektrifizierung wird in zehn Jahren genauso selbstverständlich sein wie leistungsstarke Dreizylinder. Nur Supersportwagen mit reinem Batterieantrieb bleiben die absoluten Exoten.

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