Süddeutsche Zeitung

Alternative Antriebe:Bahn mit Batterie

Neue Speichertechniken machen auf kurzen Strecken Oberleitungen für die Straßenbahn überflüssig und sparen Energie.

Klaus C. Koch

Ist das alles nur ein Trick? Andreas Walter wählt im Fahrstand der Straßenbahn der Linie 23 nur zwischen zwei Knöpfen - auf dem einen steht "Oberleitung ein", auf dem anderen "Oberleitung aus". Und je nachdem bewegt sich der Stromabnehmer auf dem Dach artig mal nach oben, mal nach unten. Tatsächlich: Walter kann den Zug völlig unabhängig von der Schalterstellung starten, bremsen und mehrere hundert Meter zurücklegen, ohne dass der Fahrgast merken würde, ob dies nun mit oder ohne Kraft aus der Oberleitung geschieht. Kein Rucken, kein Stottern, kein Funkenschlag.

Letzteres ist einer der Gründe dafür, warum dieser Straßenbahntyp auf einer neuen Strecke im Universitätsviertel von Heidelberg eingesetzt werden soll. Denn eine Oberleitung hätte durch elektromagnetische Felder die empfindlichen Messgeräte im Physikalisch-technischen Institut und die des Deutschen Krebsforschungszentrums stören können. Die Lösung: Über eine Distanz von 400 bis zu 700 Meter, je nach Geschwindigkeit und Zahl der Passagiere, macht ein auf dem Dach der Straßenbahn montierter Kondensatorpack, wie er in kleiner Bauform auch bei Hybridautos zum Speichern von elektrischer Energie benutzt wird, die Oberleitung verzichtbar.

Nun hatten die Dachkonstruktionen von Straßenbahnen, die wegen des leichteren Zugangs für Rollstuhlfahrer und Kinderwagen bevorzugt in Niederflurversion ausgeliefert werden, in jüngeren Jahren schon einiges auszuhalten. Zur Stromversorgung kamen immer mehr Klimaanlagen hinzu; dazu Vorgaben wie geringes Gewicht der Fahrzeugkonstruktion und Geräumigkeit, um möglichst viele Passagiere aufnehmen zu können. Leichtbauweise, Sonderausstattung und elegantes Design - ein Zielkonflikt mit Konsequenzen.

So machten im "Combino" von Siemens Schwachpunkte zwischen Seitenwänden und Wagendach zu schaffen, die sich zu Rissen ausweiten konnten. Verluste durch Rückrufaktionen und die Schadensaufarbeitung summierten sich auf mehrere hundert Millionen Euro. Bombardier scheute sich dagegen nicht, das Fahrzeugdach mit Zusatzeinrichtungen zu befrachten, war jedoch peinlichst auf das Gesamtgewicht bedacht. Die Ingenieure entschlossen sich, kleinere Einheiten der Supercaps, wie sie auch von Siemens benutzt werden, auf dem Fahrzeug selbst zu montieren.

Wolfram Klaiber von der Entwicklungsabteilung zeigt auf ein zu Demonstrationszwecken im Betriebshof aufgeständertes Aluminiumgehäuse mit dichtgepackten Doppelschichtkondensatoren. Weil es gelang, den sogenannten Stromrichter, der den Energiefluss aus der Oberleitung für den Antrieb regelt, auf 500 Kilogramm und damit auf die Hälfte des vorherigen Gewichts zu begrenzen, erklärt er, "kommt der freigewordene Platz den Superkondensatoren zugute".

Bremst das Fahrzeug, arbeiten die Motoren als Generatoren, die überschüssige Energie in die Supercaps liefern. Mit dem Speicher wird ein Teil der zum Wiederanfahren benötigten Energie abgedeckt, die sonst komplett dem Stromnetz entnommen werden müsste. "Wir sparen pro Zug 93.000 Kilowattstunden Strom pro Jahr", sagt Martin in der Beek, technischer Geschäftsführer des Rhein-Neckar-Verkehrsverbundes. Akkumulatoren wie die herkömmliche Autobatterie wären nicht nur aufgrund ihres Gewichts für diesen Einsatz ungeeignet. Durch die häufigen Lade- und Entladezyklen, die bei jedem Stopp und Start der Straßenbahn anfallen, wären sie bereits nach ein oder zwei Jahren am Ende. Weil in den Doppelschichtkondensatoren keine chemischen Prozesse stattfinden, sind dort bis zu zwei Millionen Ladezyklen möglich.

In Heidelberg wurden während der Erprobung eines Prototyps zwischen 2003 und 2007 Einsparungen von bis zu 30 Prozent gemessen. Beim Rhein-Neckar-Verkehrsverbund sollen in diesem Jahr insgesamt 19 Straßenbahnzüge mit dem Superspeicher an den Start gehen. Weil es zwischenzeitlich gelang, das Gewicht zu reduzieren, hat mittlerweile auch Siemens wieder gewagt, ein zusätzliches Energiespeichersystem direkt aufs Fahrzeugdach zu setzen. Es kombiniert die Supercaps mit einer Nickel-Metallhydrid-Batterie und soll in der Lage sein, bis zu 2,5 Kilometer ohne Oberleitung zu überbrücken.

In Lissabon wird es zwischen den südlich von Portugals Hauptstadt liegenden Städten Almada und Seixal eingesetzt. Ganz nebenbei, sagt unser Fahrer, könnte die neue Technik auch wichtig sein, um Straßenkreuzungen freizumachen, wenn der Strom ausgefallen ist, oder um noch aus einem Tunnel rauszukommen, wenn die Energieversorgung zusammenbricht.

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Quelle:
SZ vom 11.1.2010/gf
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