Süddeutsche Zeitung

Alkohol auf dem Fahrrad:Sogar die Rad-Lobby will die Promillegrenzen senken

Erst ab 1,6 Promille ist der Führerschein auf dem Fahrrad weg. Das ist zu lasch, sagt nun selbst der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC). Polizeigewerkschaft und Oppositionspolitiker begrüßen den Vorschlag. Doch Verkehrsminister Ramsauer ist skeptisch.

Die Stimmung im Biergarten beim Schauen des EM-Spiels ist prächtig, ein Weizen nach dem anderen rinnt die Kehle hinunter. Am Ende stehen sechs halbe Liter auf dem Deckel, per Rad geht es beschwingt heim. Dieses Szenario dürfte es in den nächsten Wochen zur Fußball-Europameisterschaft häufiger geben. Gerade im Sommer nutzen viele Bürger das Rad, obwohl manche kaum noch geradeaus fahren können und auch mal parkende Autos am Straßenrand durch Schlenker in Mitleidenschaft ziehen. Das spart Taxikosten.

Selbst die Interessensvertretung der Radfahrer, der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC), fordert eine Absenkung der Alkoholgrenze auf 1,1 Promille. Ab diesem Wert soll es Bußgelder geben, wie bei Autofahrern ab 0,5 Promille. Bisher gibt es für Radler nur den Grenzwert von 1,6 Promille, ab dem absolute Fahruntüchtigkeit besteht und es strafrechtliche Konsequenzen gibt. Der Wert soll aus Sicht des ADFC bestehen bleiben. Allerdings kann es auch schon bei weniger Alkohol im Blut Konsequenzen geben, wenn am Lenker in diesem Zustand Unfälle passieren.

1,6 Promille zu schaffen, ist schwer. Bei Männern sind etwa vier Liter Bier notwendig. Manche dürften danach Probleme haben, das Fahrradschloss überhaupt zu öffnen. Bei den 4400 Alkoholunfällen von Radfahrern im Jahr 2009 hatten 59 Prozent einen Wert von über 1,7 Promille. Wenn die Polizei beim Pusten nur 1,5 Promille feststellt, hat sie keine Handhabe. "Das Problem ist, dass es bisher keine Grenze darunter gibt", sagt ADFC-Rechtsreferent Roland Huhn. Welches Bußgeld fällig werden könnte, darauf will er sich nicht festlegen. Bisher gilt als Faustregel, dass Radler die Hälfte der Autofahrer-Bußen zahlen. Bei über 0,5 Promille sind es hier 500 bis 1500 Euro.

Doch Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) sieht bisher keinen Anlass auf die Forderung einzugehen. "Bei Unfällen von Radfahrern unter Alkoholeinfluss gibt es bislang keine Auffälligkeiten", betont das Ministerium. Tatsächlich ging von 2005 mit 4977 alkoholisierten Radfahrern, die an Unfällen beteiligt waren, die Zahl auf 3489 Fälle (2010) zurück. Aber relativ sind immer mehr Radler an solchen Unfällen beteiligt, da die Zahl aller Alkoholunfälle von 22.945 (2005) auf 15.221 (2010) insgesamt weit stärker zurückgegangen ist.

Die Forderung des ADFC ist bei Verkehrsexperten von SPD und Grünen hingegen auf Zustimmung gestoßen. "Wir sollten den Vorschlag des ADFC für eine neue Promillegrenze ernsthaft diskutieren", sagte Sören Bartol, verkehrspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, der Welt. Das Ziel müsse eine weitere Verbesserung der Verkehrssicherheit im Fahrradverkehr sein: "Generell sollte gelten: Wer trinkt, sollte nicht aufs Fahrrad steigen. Eine neue Promillegrenze kann ein Signal sein, dass Fahrradfahren mit Alkohol kein Kavaliersdelikt ist."

Auch Grünen-Verkehrsexperte Anton Hofreiter zeigte sich offen für eine Debatte über einen neuen Grenzwert für Radfahrer. "Bei stark steigendem Radverkehr ist es sicher sinnvoll, über Promille-Grenzen für Radfahrer nachzudenken." Allerdings betonte er, Unfallursache Nummer eins im Straßenverkehr sei immer noch überhöhte Geschwindigkeit bei Autofahrern.

Bernhard Witthaut, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), hält sogar eine Absenkung der Grenze auf ein ähnliches Niveau wie die 0,5 Promille bei Autofahrern für sinnvoll. "Wer einen Führerschein hat, muss wissen, dass er das nicht darf", sagte er jüngst mit Blick auf volltrunken fahrende Radfahrer.

Der Polizei fehlt bisher das Personal, um mehr Radfahrer pusten zu lassen. 29 Millionen Deutsche nutzen nach Schätzungen regelmäßig das Rad. Besonders in der Universitätsstadt Münster schlägt die Polizei Alarm und greift nun hart durch. Hier waren von acht in den vergangenen Jahren getöteten Radfahrern fünf alkoholisiert. Letztes Jahr waren in Münster 51 Radler, die zu tief ins Glas geschaut hatten, an Unfällen beteiligt. 30 hatten mehr als 1,6 Promille. Zum Vergleich: In der Millionenstadt Berlin waren im Jahr 2010 82 alkoholisierte Radler an Unfällen beteiligt.

Die Stadt Münster greift daher nun mit Verboten durch: Wenn die Polizei einen Radler wiederholt mit mehr als 1,6 Promille Alkohol am Lenker erwischt, soll ihm das Fahrradfahren untersagt werden. Radelt der Alkoholsünder trotzdem weiter durch die Stadt, droht ein Bußgeld von 500 Euro. Radler werden zunehmend alkoholisiert erwischt, hatte zuletzt auch der Präsident des Münchner Amtsgerichts, Gerhard Zierl, betont. Oft würden dabei mehr als zwei Promille festgestellt. Der ADFC verweist darauf, dass bei Werten über einem Promille die Entscheidungsfähigkeit nachlasse, "das Trinkverhalten zu steuern oder das Fahrrad stehen zu lassen". Das Unfallrisiko vervielfache sich, weil Schutzreflexe nachließen.

Die Rad-Lobby fordert aber weiter eine unterschiedliche Behandlung von Radlern und Autofahrern. Rechtsreferent Huhn sagt, die meisten betrunkenen Radler gefährdeten nur sich selbst. Der Radclub betont zugleich, dass der Rückgang der Alkoholunfälle von Autofahrern vor allem auf die 0,5-Promille-Grenze zurückzuführen sei, die seit 1998 gilt. Daher sei für Radfahrer auch zur stärkeren Disziplinierung der neue 1,1-Promille-Wert sinnvoll. Huhn betont: "Die gesellschaftliche Ächtung des Radfahrens unter Alkoholeinfluss ist längst noch nicht so ausgeprägt wie beim Alkohol am Steuer".

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