Alkohol am Steuer:Erst pusten, dann fahren

Alkohol-Sensor im Autoschlüssel

Der Alkoholsensor im Autoschlüssel könnte in Polen bald zur Pflicht werden.

(Foto: dpa)

Die Polen trinken so viel Alkohol wie noch nie. Leider setzen sie sich auch oft betrunken ans Steuer. Nach einem dramatischen Unfall sieht sich die Politik nun zum Handeln gezwungen und greift zu ungewöhnlichen Praktiken.

Von Klaus Brill, Warschau

Man sagt Na zdrowie! und hebt das Glas. Zum Wohl! Die Polen sind ein geselliges Volk, seit alten Zeiten gehört es zu den Vergnügungen des Alltags, in Gemeinschaft ein Gläschen zu leeren. Früher, zu Zeiten des Kommunismus, trank man meist Wódka, auch hausgebrannten, um für ein paar Stunden die triste Realität zu vergessen. Doch seit der Wende des Jahres 1989 ist der Verbrauch des populären Schnapses kontinuierlich zurückgegangen, so wie auch der klassische Handkuss allmählich außer Mode kommt.

Vor allem junge Leute, wie man sie in den flotten Warschauer Kneipen trifft, trinken nach den Erhebungen der Getränke-Industrie lieber Bier und Wein, auch der Konsum von Whisky steigt. Neue Lebensstile, die der steigende Lebensstandard und die Globalisierung mit sich bringen, zeigen Wirkung. Den Typus Schluckspecht mit glasigen Augen, der sich im Wodkanebel kaum auf den Beinen halten kann, sieht man nur noch selten, und wenn, dann eher auf dem Land. Bei Jugendlichen indes verbreitet sich die Unsitte des Komasaufens, und im Ganzen sinkt der Pegel keineswegs. "Noch nie in der Geschichte haben die Polen so viel Alkohol getrunken wie in den letzten Jahren", schrieb jetzt die Zeitschrift Polityka.

0,2 Promille - für viele ein theoretischer Wert

Probleme wirft das, wie in anderen Ländern, nicht nur für die Gesundheit der Trinker auf. Vielmehr geistert das Thema vor allem deshalb durch die Medien, weil immer noch zu viele Polen sich nach dem Genuss von Alkohol ans Steuer ihres Autos setzen. Dabei kann ein Glas schon zu viel sein, denn im Verkehr gilt eine strikte Obergrenze von 0,2 Promille Alkoholgehalt im Blut. Kontrollen erbringen jedoch erschreckend viele und hohe Überschreitungen. Und nicht nur anonyme Durchschnittsmenschen verursachen betrunken Unfälle, sondern auch Prominente, darunter Politiker. Sogar ein Polizeichef und ein katholischer Bischof fielen im vergangenen Jahr durch Alkoholfahrten auf.

Einen Aufschrei der Empörung aber löste jüngst ein Mann aus, der in Kamień Pomorski an der Ostsee betrunken in eine Gruppe von Spaziergängern raste: Sechs Menschen starben, unter ihnen ein Kind, weitere wurden verletzt. Der 26-jährige Täter kam in Haft, man maß bei ihm fast zwei Promille. Seither wird heftig diskutiert. "Das Problem mit den betrunkenen Autofahrern ist, dass es zu viel gesellschaftliche Akzeptanz für dieses Verhalten gibt", erklärte Innenminister Bartłomiej Sienkiewicz. Der Bischof Tadeusz Bronakowski meinte, es gebe viel zu viele Verkaufsstellen für Alkohol im Land. Und Krzysztof Brzózka, Direktor einer Fachbehörde für die Bekämpfung des Alkoholismus, beklagte, man könne heute im Geschäft ein Bier schon für zwei Złoty kaufen, umgerechnet 50 Eurocent: "Alkohol ist bei uns dramatisch billig."

Ministerpräsident Donald Tusk handelte sofort. Nach einem Kabinettsbeschluss müssen betrunkene Autofahrer künftig mit drastischeren Strafen, schnellerem Führerscheinentzug und öffentlicher Anprangerung rechnen. Von 2015 an muss zudem in jedem Auto ein Alkomat angebracht sein, mit dem sich vor Fahrtantritt rasch überprüfen lässt, ob man die 0,2-Promille-Grenze einhält oder nicht. Allerdings wird bisher nicht zwingend vorgeschrieben, dass man das Gerät auch benutzen muss.

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