Alfa Romeo:Rot, schön, erfolglos

Alfa Romeo ist mehr als eine Auto-Marke, es ist ein Mythos. Doch die Italiener kämpften eigentlich immer mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Jetzt zeigt Volkswagen Interesse.

Thomas Fromm

The Graduate hatte alles, was ein Film 1967 brauchte, um Kult zu werden. Da war mit Benjamin Braddock ein Typ, der keinen Plan hatte. Ganz nett, aber leider ohne Sinn für das Wesentliche und die eigene Karriereplanung. Der sich nach dem College lieber erst mal treiben lässt. Der sich durch Kalifornien träumt, während Simon und Garfunkel dazu den Soundtrack des Sommers klampfen.

Und es geht darum, dass dieser Braddock erst ein paar Mal mit der reiferen Mrs. Robinson ins Hotelbett steigt, bis er die Vorzüge von deren Tochter Elaine entdeckt und sich schwer verliebt. Eine verheiratete Frau, die einen jüngeren Liebhaber verführt; ein romantischer, zielloser Zwanzigjähriger, der die Liebe seines Lebens am Ende vom Altar wegzerrt.

Der Film, der in Deutschland unter dem Namen Die Reifeprüfung in die Kinos kam, war ein harter Brocken für das moralisch anständige Amerika der 60er Jahre. Und vor allem ein Glücksfall für die Marke Alfa Romeo, denn noch nie zuvor war ein Produkt so genial platziert worden wie hier auf den Straßen der Westküste. Der eigentliche Hauptdarsteller - neben Dustin Hoffman und Anne Bancroft - war ein roter Alfa Spider, ein 1600er Duetto, der 100 Minuten lang durch den Streifen rast.

Fünfganggetriebe, Vierrad-Scheibenbremsen, knautschige Kunstledersitze. Relativ klein für die großen Straßen Amerikas, rund, frech, und vor allem schnell. Es gibt diese Sequenzen, in denen Hoffman auf dem Highway an den dicken US-Limousinen vorbeizieht. In denen der italienische Motor kurz aufheult, und all die GMs, Fords und Chryslers mit den sauberen amerikanischen Vertretertypen am Steuer nur noch im Rückspiegel zu sehen sind.

Das sind nicht nur die Momente, in denen Braddock, der Ziellose, und Träumer, die Spießer abhängt. Es sind vor allem Szenen, in denen ein kleiner italienischer Sportwagen an großen, schwerfälligen Ami-Schlitten vorbeiröhrt. Keine Werbekampagne hätte das damals besser hingekriegt.

Alfa Romeo, jene 1910 gegründete italienische Sportwagenmarke, die in Europa längst Kult war, wurde nun auch in den USA zu einem Mythos. Und doch war dies keineswegs eine Garantie auf ewigen Erfolg. Die Italiener mussten erkennen, dass Kultstatus eine Sache ist. Langfristiger Erfolg eine andere.

Das letzte Rekordjahr? Lange her ...

Als sich Alfa Romeo 1995 vom amerikanischen Markt zurückzog, wurden dort gerade noch ein paar Hundert Fahrzeuge im Jahr verkauft. Es ist ein seltsames Phänomen. Alfa Romeo, das ist zwar immer noch ein Mythos. Dass der Absatz dennoch im Keller ist, gehört zu den Rätseln, die Manager nur allzu gerne lösen würden und die sie nicht in den Griff bekommen.

Nur bei den eingefleischten Alfisti, den Alfa-Liebhabern, ist es noch ein bisschen so wie in vielen alten Ehen. Die Leidenschaft begann vor Jahrzehnten, in der Zwischenzeit rostet es an allen Ecken und Enden, aber man hat im Laufe der Zeit gelernt, vieles zu verzeihen. Alfa, das ist im Italienischen nicht "das Auto", sondern la macchina. Bella Macchina nennen Alfisti ihre roten Alfas. Und das klingt dann so, als würden sie über eine schöne Frau reden.

An das letzte Rekordjahr kann sich ohnehin kaum noch jemand erinnern Das war 2001, als die Marke aus dem Fiat-Konzern noch 213000 Fahrzeuge verkaufte. Zuletzt war es gerade noch die Hälfte. Dazwischen liegt die Geschichte eines Niedergangs. Einer Marke, die seit Jahren vor sich hindümpelt, aber mit einem lebendigen Mythos. Die Frage, die sich die Fiat-Manager in Turin stellen, ist daher vor allem die: Wie lässt sich künftig auch die Marke mit dem markanten Scudetto - dem Kühlergrill mit dem roten Kreuz auf weißem Grund und der Schlange daneben - wieder beleben? Wie das Absatzziel von 350000 erreichen?

Als Alfa 1910 von einem gewissen Giuseppe Merosi als Societa Anonima Lombarda Fabbrica Automobili ("Lombardische Gesellschaft zur Fabrikation von Autos") in Mailand ins Leben gerufen wurde, war man vom Kultstatus weit entfernt. Ein paar Jahre zuvor war im benachbarten Turin Fiat gegründet worden, nun zog Mailand nach. 1915 übernahm der Neapolitaner Nicola Romeo die Firma, die von nun an Alfa Romeo hieß. Zügig ging es auf die Rennpiste: Schnelle Autos und Rennsiege bestimmten das Image.

Wirtschaftlich lief es von Anfang an nicht immer rund; schon in den 20er Jahren wurde Alfa schrittweise verstaatlicht. Die Regierung hielt die italienischste aller italienischen Automarken zwar am Leben. Aber das Leben war nicht immer schön. Zum Beispiel die Entscheidung, den Kompaktwagen Alfasud nicht wie alle anderen Modelle in Norditalien, sondern in einem neuen Werk in Süditalien zu bauen. Alfa als Beschäftigungsprogramm für den wirtschaftlich rückständigen Süden - irgendwie konnte das nicht gut gehen. Nicht, dass sich der Alfasud nicht gut verkauft hätte.

Alfa weckt noch immer Begehrlichkeiten

Aber Alfa stand fortan nicht mehr nur für Sportlichkeit, Eleganz und bella macchina. Alfa stand für Streiks, zerstrittene Gewerkschaften, Arbeiterblockaden, Rost und eine Qualität, die täglich ungefähr so hin und her schwankte wie die Regierungsmehrheiten im römischen Parlament. Als der Autobauer 1987 dem Fiat-Konzern zugeschlagen wurde, sahen viele darin eine Chance.

Es dauerte eine Weile, aber inzwischen gibt es sie, die großen Pläne für die alte Marke. Fiat-Chef Sergio Marchionne will Alfa nach 15 Jahren wieder auf den US-Markt zurückbringen, der Mythos soll dann über die Vertriebskanäle des Partners Chryslers verkauft werden. Ob das funktionieren wird, weiß auch Marchionne nicht. Nach Jahren verfehlter Modellpolitik plant Marchionne den großen Wurf. Alfa, das werden auch künftig Klassiker wie die Giuletta und die sportliche Limousine Giulia sein. Autos, die nicht zufällig an die 50er Jahre, an Dolce Vita, Anita Ekberg und Nacktbaden in der römischen Fontana di Trevi erinnern.

Dazu plant Marchionne eines der größten Experimente in der Geschichte von Alfa: Er testet die Grenzen des alten Mythos aus. So könnte es künftig auch Alfas geben, die eher an amerikanische Geländewagen erinnern als an italienisches Dolce Vita. Alfas, die aus Detroit kommen. Ob der alte italienische Mythos das aushält? Wenn es um das Überleben einer 100jährigen Marke geht, ist der Mythos nicht das erste, an das die Manager denken. Es geht um rationale Dinge, um Absatz, um Gewinn, um Modellpolitik.

Als der Fiat-Manager und Alfa-Chef Harald Wester kürzlich über seine Autos sprach, muss das für echte Alfisti ein schwerer Schlag gewesen sein. Es klang, als würde er über irgendeinen x-beliebigen Autohersteller sprechen. Aber nicht über Alfa, die Kultmarke. "Alfa Romeo ist konsolidiert", sagte Wester der Zeitschrift auto motor und sport. Und "dass man mit den gegenwärtigen Stückzahlen nicht reich werden kann", sei "auch kein Geheimnis".

Auch kein Geheimnis ist es, dass Alfa Begehrlichkeiten weckt. Je häufiger es aus der Fiat-Zentrale in Turin heißt, die Marke stehe nicht zum Verkauf, desto heftiger wird spekuliert. Die einen wollen nicht verkaufen, und die anderen haben Zeit. Als VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch vor ein paar Wochen beim Pariser Autosalon sybillinisch erklärte, "dem Konzern" gehe es "noch nicht schlecht genug", war klar, wie er das meinte. Gerne würde er die Italiener als 13. Marke in den Volkswagen-Konzern holen - noch aber will Fiat selbst versuchen, seine Sportwagentochter wieder nach vorne zu bringen. "Wir sind geduldig, wir können warten", sagte Piëch.

Unterdessen stehen in Wolfsburg schon die Italiener bereit, um weiterzuarbeiten am Mythos Alfa. VW-Marketingmann Luca De Meo arbeitete früher für Alfa, ebenso der VW-Chefdesigner Walter de Silva. In Wolfsburg macht bereits die Metapher vom edlen Italian Dressing die Runde. Gemeint ist Alfa.

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