Alfa Romeo Giulia im Fahrbericht:Dieses Auto kann Alfa Romeo retten

"Giulia" lässt leidgeprüfte Alfisti wieder hoffen: Als Diesel ist die neue Limousine gelassen und praktisch, als 510 PS starkes Topmodell ein alltagstauglicher Sportwagen.

Test von Georg Kacher

Alfa lebt, aber die Marke hängt am Tropf. Der Absatz befindet sich im freien Fall, das letzte neue Auto ist ein inzwischen vier Jahre alter Nischensportwagen, das Strategiepapier für Analysten eine gedruckte Beruhigungspille. Die Italiener haben uns viel versprochen: konkurrenzfähige Modelle mit bis zum Hals klopfendem Cuore Sportivo, zeitgemäße Technik mit emotionalem Touch, ein ähnliches Comeback-Märchen wie es Maserati mit Ghibli und Levante gelingen mag.

33 Monate nach dem Projektanstoß muss das Projekt Giorgio jetzt Farbe bekennen. Gretchenfrage: Schafft die neue Giulia das von der Chefetage versprochene Kunststück, dem BMW 3er als anerkanntem Chefdynamiker den Kampf anzusagen?

Viel Platz, gute Sitze, überzeugende Bedienung

Liebe auf den ersten Blick sieht anders aus. Weniger verwechselbar, bemühter im Detail, hochwertiger in der Umsetzung. Da hilft nur die Probe aufs Exempel: reinsetzen, Startknopf drücken, Wählhebel in M, und los geht's. Die Giulia hat mehr Platz als erwartet, die Sitze treffen auf Anhieb die goldene Mitte zwischen Komfort und Seitenhalt, die Bedienung überzeugt. Der narrensichere Dreh-Drücksteller in der Mittelkonsole lässt so manchen Touchscreen alt aussehen, dem DNA-Wahlschalter gelingt das durchaus stimmige Vorsortieren der drei Fahrprogramme, die großen Alu-Schaltpaddel ziehen Zeigefinger magisch an.

Was fehlt, soll zeitnah nachgeliefert werden: LED-Licht, Head-up-Display, weitere Assistenzsysteme, ein Plug-in-Hybrid und Allradantrieb.

Sauber ausbalancierte, in sich gefestigte Sportlimousine

Auf unterschiedlichstem Geläuf von der Überland-Rüttelpiste bis zur verkappten Rennstrecke muss zuerst das Modell mit dem 180 PS starken Dieselmotor zeigen, was es gelernt hat. Zum Beispiel einen viel versprechenden Federungskomfort, nachhaltige Bremsen, 450 Nm Drehmomentschub schon bei 1750 Touren, eine mitteilsame Lenkung und ein Maß an fahrdynamischer Souveränität, das bislang seinen Hauptwohnsitz in Deutschland hatte.

Die Giulia Super mit dem 2,2-Liter-Diesel ist eine sauber ausbalancierte und in sich gefestigte Sportlimousine. Der Diesel könnte drehfreudiger sein, weniger kernig zu Werke gehen und aus dem Stand noch nachdrücklicher beschleunigen (0-100 km/h in 7,1 Sekunden), aber die Zusammenarbeit mit der Achtstufen-Automatik klappt reibungslos und die Höchstgeschwindigkeit von 230 km/h stellt der Windschnittigkeit ein gutes Zeugnis aus. Der Verbrauch? Im Schnitt erfreulich bescheidene 4,2 Liter.

Der QV-Motor brennt ein Feuerwerk ab

Der kleinere, 150 PS starke Selbstzünder belastet das Budget mit mindestens 34 100 Euro. Die 180-PS-Variante steht mit 36 500 Euro in der Liste. Als zunächst einziger Benziner steht der Quadrifoglio Verde in den Startlöchern. Für 71 800 Euro gibt's 510 stimmgewaltige PS, ein knöchern-knackiges Sechsgang-Getriebe und ein Sportfahrwerk, das trotz Sperrdifferenzial, Torque Vectoring und Breitreifen mit den bis zu 600 Nm seine liebe Not hat. Wenn alles passt, soll das Auto in nur 3,9 Sekunden von 0 auf 100 km/h beschleunigen und 307 km/h schnell sein.

Den Normverbrauch von 8,5 Liter darf man zwar getrost ins Reich der Fabel verweisen, aber dafür hat es die Giulia Super - anders ihre Schwestern - faustdick hinter den Kotflügelbacken. Der drehfreudige 2,9-Liter-V6 brennt ein Feuerwerk ab, das schon nach fünf schnellen Runden auf der Rennstrecke beginnt, die Pirellis zu zerfransen - hinten, weil dort die Antriebskräfte unbarmherzig walten, und vorne, weil die 19-Zöller beim Einlenken bis zur Selbstaufgabe Grip aufbauen.

Schneller als der BMW M3 oder Mercedes C63 AMG

Trotz Dach und Motorhaube aus Karbon ist die schnelle Schöne mit 1655 Kilo kein Leichtgewicht. Doch weil die Masse gleichmäßig auf beiden Achsen lastet, paaren sich Spurtreue mit Handlichkeit, ein niedriger Schwerpunkt mit hohem Abtrieb, das Raumangebot einer Limousine mit den Fahreigenschaften eines Sportwagens.

Wer noch schneller unterwegs sein kann als ein BMW M3 oder ein Mercedes C63 AMG, der braucht verlässliche Bremsen mit Stehvermögen und guter Dosierbarkeit. Der Alfa hat sie, gegen Aufpreis sogar mit Scheiben aus Verbundmaterial und in Wunschfarbe lackierten Sätteln. Da ist sie wieder, diese Liebe zum Detail, die beim belederten Armaturenbrett anfängt und beim Alcantara-Trimm aber leider auch fast schon wieder aufhört.

Neue SUVs und der Giulietta-Nachfolger warten schon

Die Rettung der Marke steht und fällt mit der neuen Modellpalette, die in kurzen Zeitabständen auf den Markt kommen soll. Nur fünf Monate nach der Giulia debütiert der erste Crossover im BMW-X1-Format. Ein zweiter SUV, der auf den X3 angesetzt ist, folgt 2017. Ebenfalls für das kommende Jahr haben die Italiener die Kombiversion der Giulia avisiert.

2018 steht dann ganz im Zeichen der zweiten Giulietta-Generation. Während der Wettbewerb in dieser Klasse dem Frontantrieb vertraut, soll auch der kleinste Alfa mit Hinterrad- oder Allradantrieb an den Start gehen. Neben dem Schrägheck ist ein Sportwagon geplant - zwei Kombis sind allerdings möglicherweise einer zu viel. Außerdem buhlen jetzt die Neuauflagen von GT und Spider um die Gunst der Produktplaner.

Sergio Marchionne, der oberste Strippenzieher bei FCA, dürfte die Premiere nur mehr im Rückspiegel erleben, denn er will sich 2018 ausklinken. Doch wer das glaubt, der glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten.

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