Ärgernis Rettungsgasse:Es ist so einfach, eine Rettungsgasse zu bilden

Stau mit Rettungsgasse

Eigentlich ist es ganz einfach: Die Autos auf der ganz linken Spur gehören nach links, alle anderen fahren nach rechts.

(Foto: Patrick Pleul/dpa)

Und doch klappt es nur selten: Immer wieder sterben Menschen, weil Einsatzkräfte im Stau stecken bleiben - trotz simpler Regeln.

Von Marion Zellner

Die Sommerferien haben bereits begonnen - und damit auch die Zeit der langen Staus quer durch die Republik. Im vergangenen Jahr summierte sich die Blechlawine nach Angaben des ADAC bundesweit auf 1,1 Millionen Kilometer. Und wo es sich staut, ist oft ein Unfall die Ursache. Immer wieder müssen sich dann Rettungswagen, Feuerwehren und andere Hilfskräfte mit Blaulicht und Martinshorn durch Autokolonnen schlängeln, die wie festbetoniert auf der Fahrbahn zu stehen scheinen.

Eine Situation, die es gar nicht geben dürfte, denn bereits seit 1982 ist die Rettungsgasse in der Straßenverkehrordnung (StVO) klar definiert. Warum es doch viel zu oft nicht oder falsch gemacht wird, war Thema einer Podiumsdiskussion des Verkehrsparlaments der Süddeutschen Zeitung mit dem Titel: "Rettung hat Vorfahrt - Mit Martinshorn und Blaulicht: Sonderrechte im Straßenverkehr".

Ziel ist eine einheitliche europäische Regel

Die meisten wissen einfach nicht, wie es geht, beklagt Markus Jerger. Dabei ist es doch ganz einfach, findet der Polizeihauptkommissar beim Polizeipräsidium Oberbayern Süd: Auf der Autobahn müssen nur die Autos auf der linken Spur ganz nach links, alle anderen nach rechts - egal, ob die Autobahn zwei-, drei- oder sogar vierspurig ist. Dass die Regel für vierspurige Autobahnen im Gesetz noch etwas anders steht, muss niemanden irritieren, sagt Jerger. Derzeit wird das Gesetz der Praxis, wie beschrieben, angepasst. Ziel ist es, eine einheitliche europäische Regel durchzusetzen.

In der Stadt ist es übrigens erlaubt, an einer roten Ampel den Haltestreifen zu überfahren, um Raum für Rettungsfahrzeuge zu schaffen. Dabei muss natürlich auf den restlichen Verkehr geachtet werden; bis in die Kreuzung darf nicht gefahren werden.

Einfache Grundregeln

Die StVO schreibt auch vor, wann eine Rettungsgasse auf der Autobahn gebildet werden muss: nämlich dann, wenn der Verkehr stockt. Es ist wichtig, schon beim Heranfahren an den Rückstau Platz zu machen - und nicht erst, wenn die Rettungsfahrzeuge sich nähern. Am besten geht das, wenn jeder zum Vordermann genug Abstand hält. Und außerdem gilt: Der Pannenstreifen muss mitgenutzt werden, die Gasse solange frei bleiben, bis der Verkehr wieder läuft, und: Die Rettungsgasse ist tabu für alle Fahrzeuge, die nicht zur Polizei oder den Rettungskräften zählen.

Bei Blaulicht und Martinshorn denken viele an Verkehrsunfälle. Dabei gibt es viel mehr akute Notfälle, die mit dem Straßenverkehr gar nichts zu tun haben. Stephan Prückner, Notarzt und geschäftsführender Direktor des Instituts für Notfallmedizin und Medizinmanagement der Ludwig-Maximilians-Universität in München sagt, dass pro Jahr in Deutschland etwa 70 000 Wiederbelebungen ohne Erfolg bleiben, also etwa 200 Menschen pro Tag nicht ins Leben zurückgeholt werden können: "Hier kommt es auf die Minute an." Zum Vergleich: 2015 sind bundesweit knapp 3500 Personen bei Verkehrsunfällen gestorben.

Enormer Zeitdruck für die Rettungskräfte

Besonders für Notarzt und Rettungsdienst ist es entscheidend, zügig voranzukommen. In München etwa dürfen zwischen dem Alarm der Rettungskräfte und ihrer Ankunft am Einsatzort maximal zwölf Minuten vergehen. Eine Vorgabe, die laut Prückner in den meisten Fällen eingehalten wird. Und doch setzt dieser Zeitdruck die Fahrer unter extremen Stress. So steht fest, dass die Unfallgefahr bei einer Blaulichtfahrt um das 17-Fache erhöht ist. Kommen noch verstopfte Straßen, ignorante Verkehrsteilnehmer oder gar bewusste Behinderer wie Gaffer hinzu, erschwert das den Einsatz massiv.

Zudem, so Prückner, herrsche in unserer Gesellschaft weniger eine "Kultur des Helfens als des Konsumierens". Eine Umfrage habe ergeben, dass nur 25 bis 30 Prozent der medizinischen Laien bereit wären, bei einem Notfall zu helfen. "In Skandinavien sind das 60 Prozent", sagt er. Schlimmer noch: Statt zu helfen, stehen oft Trauben von Neugierigen am Unfallort und erschweren mit ihrer Sensationsgier die Aufgabe der Helfer. Oder aber die Retter werden selbst Opfer von Attacken, entweder durch Patienten oder durch Gaffer. "Die Leute machen einen sogar an", berichtet Prückner aus der Praxis der Helfer.

Muss es härtere Strafen geben?

Gaffer sind kein neues Phänomen. Schließlich ist Neugier dem Menschen angeboren, weiß Ulrich Chiellino, Psychologe beim ADAC. Und doch steigert sich die Zahl der Vorfälle und ihre Intensität. Chiellino führt das auf neue Medien wie Youtube und Facebook zurück. Zudem wirke das Smartphone wie ein Filter, das "Hinschauen wird einfacher und schafft eine gefühlte Distanz zum Ereignis". Hinzu kämen die positiven Rückmeldungen in den sozialen Netzwerken für "gezeigte Sensationen. Denn dort wird Fehlverhalten nicht geächtet, sondern geachtet".

Unwissenheit, Fahrlässigkeit, aber eben auch Rücksichtslosigkeit bis zur Gewalt gegen Rettungskräfte gehören zu den Erklärungen, weshalb Notfalleinsätze erschwert oder behindert werden, sagt Monika Dorfmüller, klinische Psychologin und Diskussionsleiterin. Muss es härtere Strafen geben? Wer derzeit eine Rettungsgasse nicht vorschriftsmäßig bildet, begeht lediglich eine Ordnungswidrigkeit und zahlt 20 Euro, so Hauptkommissar Jerger. "Ein stumpfes Schwert", zumal die personelle Besetzung der Polizei selbst bei schwerwiegender Behinderung durch Gaffer eine Verfolgung kaum möglich macht. In Österreich übrigens klappt es mit der Rettungsgasse deutlich besser: Wer dort keinen Platz macht, zahlt 2000 Euro Strafe.

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