Älteste amerikanische Motorradmarke:Indian baut drei neue Modelle

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Mindestens 23.675 Euro kostet eine neue Indian der kommenden Generation. (Foto: Todd Williams; Indian)

Seit 1901 baut Indian Motorräder. Doch die Zweiradklassiker aus den USA verschwanden lange Zeit aus dem Handel. Ein Hersteller von Schneemobilen hat die Marke nun wiederbelebt. Noch in diesem Jahr sollen die ersten neuen Indians auf der Straße fahren. Auch die neuen Maschinen setzen ganz auf Tradition und klassisches Design.

Von Thilo Kozik

Mit typisch amerikanischem Getöse hat sich eine der monumentalsten Marken der Motorradgeschichte zurückgemeldet: Auf der traditionellen Sturgis Motorcycle Rallye in South Dakota, mit mehr als 450.000 Besuchern das zweitgrößte Zweirad-Event der Welt, feierte Indian Motorcycles als ältester Motorradhersteller seine Wiederauferstehung. Gegründet 1901, trägt das Unternehmen diesen Ehrentitel mit Recht: Triumph startete erst ein Jahr später mit der Produktion motorgetriebener Zweiräder, der amerikanische Konkurrent Harley-Davidson bastelte 1903 die ersten fahrtüchtigen Modelle in einer Bretterbude im Hinterhof zusammen.

Wie diese beiden Motorrad-Dinosaurier durchlebte auch Indian eine extrem wechselvolle Geschichte mit vielen Höhen und noch mehr Tiefen: 1903 stellte Oscar Hedstrom, Mitgründer und Chefingenieur von Indian Motorcycle, mit 90 km/h einen Geschwindigkeitsweltrekord für Motorräder auf, 1906 führte Indian die erste V-Twin-Maschine aus amerikanischer Produktion ein - die Geburtsstunde der auch heute noch für Cruiser-Motorräder gängigen Motorenbauart. In den Jahren danach übernahmen Indian Motorräder die Führungsrolle auf den US-Rennstrecken und gewannen in Europa das berühmte Rennen auf der Isle of Man. 1922 führte Indian sein erstes Motorrad mit dem Namen Chief ein. Zum Synonym der Marke wurde dieses Modell jedoch erst knapp zwei Jahrzehnte später.

Der Inbegriff des klassischen amerikanischen Tourenmotorrads

Nachdem man allmählich die Stromlinie des damaligen Automobildesigns übernommen hatte, erregte die 1940 vorgestellte Chief weltweit Aufsehen durch die charakteristisch großflächigen "Valence"-Radkasten-Schutzbleche, die eine Indian auch heute noch so unverwechselbar machen. Wirkungsvoll ergänzt wurde die Optik durch den durchgestylten Motor, eine Premiere in der amerikanischen Motorradindustrie. Schließlich machte der mit halbrunden, typischerweise mit Kühlrippen versehene Ventildeckel das Erscheinungsbild vollends einmalig. Spätestens jetzt galt eine Indian als das klassische amerikanische Tourenmotorrad. Die zuverlässigere Technik und die stabilen Preise brachten sogar den größten Konkurrenten Harley-Davidson in Bedrängnis.

Nach dem Zweiten Weltkrieg fand Indian nur schwer in den zivilen Motorradmarkt zurück. Schon 1945 übernahm ein neuer Eigentümer. In dieser Zeit bekamen die wuchtigen Maschinen ihr nächstes Charaktermerkmal verpasst: Seit 1947 tragen alle Indians den chromgefassten beleuchteten Indianerkopf mit Kriegsschmuck auf dem vorderen Kotflügel. Die "Warbonnet" entwickelte sich zu einem der symbolträchtigsten Stilmerkmale der Motorradgeschichte. Das edle Profil sollte als zeitloses Symbol den Stolz und die Kraft der Marke verkörpern. Doch in Wirklichkeit war es damit nicht weit her. Trotz Neuauflage der Chief mit einem größeren 1300-Kubikzentimeter-Motor und moderner Teleskopgabel musste die ursprüngliche Indian Motorcycle Company in Springfield/Massachusetts 1953 die Pforten schließen.

Von der einst so stolzen Motorrad-Manufaktur blieb in der Folgezeit praktisch nichts mehr übrig. Von 1953 bis 1960 wurden in den USA Royal-Enfield-Motorräder unter dem Markennamen Indian verkauft, 1960 ging der Name an ein Konsortium aus den englischen Herstellern A.J.S. und Matchless. Doch schon kurz darauf geriet die gesamte englische Motorradindustrie selbst ins Trudeln, an eine Serienproduktion war nicht mehr zu denken. Dass der Name Indian 1967 dennoch in aller Munde war, ist dem tollkühnen Herbert "Burt" Munro zu verdanken: Auf einer selbst umgebauten 1920er-Indian-Scout stellte der neuseeländische Motorrad-Enthusiast bei der Bonneville Speedweek auf dem Salzsee in Utah mehrere Geschwindigkeitsrekorde für Maschinen unter 1000 Kubikzentimeter auf, ein paar davon hatten vier Jahrzehnte lang Bestand. Berühmt wurde das mutige Projekt nicht zuletzt durch den Abenteuerfilm "The World's Fastest Indian" (Mit Herz und Hand), der 2005 unter der Regie von Roger Donaldson unter anderem mit Anthony Hopkins gedreht wurde.

Bis in die Neunzigerjahre hinein gibt es danach immer wieder Versuche, den Namen Indian wiederzubeleben. Allesamt scheitern sie aber an den komplexen Markenrechtsverhältnissen. Erst 1998 schließen sich mehrere ehemalige Konkurrenten zur Indian Motorcycle Company zusammen. Und tatsächlich: es werden neue Modelle produziert. Doch schon 2003 ist diese - Gilroy-Ära genannte - Zeit schon wieder Geschichte. Der vorletzte Akt beginnt 2004 mit dem Kauf der Marken- und geistigen Eigentumsrechte durch die Unternehmer Stephen Julius und Steve Heese. Die ersten neuen Indians laufen 2008 in Kings Mountain/North Carolina vom Band.

Im April 2011 kauft der amerikanische Motorsportkonzern Polaris, einer der weltweit größten Hersteller von Schneemobilen, Quads und ATV sowie Inhaber der Motorradmarke Victory, diese Indian Motorcycle Company. Damit erwirbt das Unternehmen aus Minnesota die wertvolle Tradition, die dem anerkannt guten Ruf der Firma noch fehlt. So verblüffen die Amerikaner in diesem Frühjahr die Fachwelt mit der Präsentation eines vollkommen neuen Indian-Motors: Auf der größten denkbaren Bühne, der Daytona Bike Week, wird der Thunder-Stroke-111-Motor genannte Antrieb im März erstmals der Öffentlichkeit vorgeführt.

Dabei handelt es sich um einen klassischen luftgekühlten, sehenswert verrippten V-Motor, der seine Zylinder im 49-Grad-Winkel spreizt. Aus einem mächtigen Hubraum von 1811 Kubikzentimetern liefert der neue Motor ein fettes Drehmoment von 139 Newtonmetern, das bereits bei lässigen 2600 Touren via Sechsganggetriebe über einen standesgemäßen Zahnriemen ans Hinterrad übertragen wird. Das Motoren-Design ist bewusst den legendären Indian-Motorcycle-Twins der Vergangenheit nachempfunden. Wie 1940 winden sich außen am Zylinder zwei verchromte Stoßstangen nach oben und betätigen die jeweils zwei Ventile. Die verchromten, mit Kühlrippen versehenen Ventildeckel sehen aus wie aus den Fünfzigerjahren.

Entwickelt wurden die trotz traditioneller Konstruktion hochmodernen Triebwerke - statt Zündschlüssel verfügen die Indians über einen Transponder - in aller Heimlichkeit in Europa beim Schweizer Motorenspezialisten Swissauto, den sich Polaris dafür kurzerhand einverleibte - jetzt gehören deren Experten der Entwicklungsabteilung des Konzerns an. Die Motoren werden im Polaris-Werk in Osceola in Wisconsin (USA) gebaut und zur Endmontage nach Spirit Lake/Iowa (USA) gebracht. Auf diese US-Fertigungskette ist Polaris besonders stolz, denn als wichtigstes Verkaufsargument sollten Tradition und Design auch unter der Federführung des amerikanischen Großkonzerns so unantastbar bleiben wie die amerikanische Verfassung - getreu dem Motto: New Heart but same Soul, das Herz ist neu, aber die Seele bleibt.

Drei neue "Chief"-Modelle

Rechtzeitig zur Wiederauferstehung der Kultmarke stehen gleich drei Modelle parat, die das legendäre "Chief" im Familiennamen tragen: Die Chief Classic, die Chief Vintage und die Chieftain. Alle drei teilen sich den Thunder-Stroke-111-Motor und unterscheiden sich nur in der Ausstattung. Die Indian Chief Classic markiert als typischer Cruiser für 23.675 Euro das Einstiegsmodell, die Chief Vintage kommt für 25.299 Euro als Klassik-Bagger mit Fransen-Lederkoffern und Windschutzscheibe, die 26.099 Euro teure Chieftain tritt als Tourer mit Hartschalenkoffern und höhenverstellbarer Scheibe an.

Ein Händlernetz existiert bereits, die ersten Exemplare sollen noch Ende 2013 ausgeliefert werden. Der Vertrieb in Deutschland und Österreich wird von Polaris Germany organisiert. Vertriebs- und Marketingleiter Torsten Zimmer setzt auf "Wiedereinsteiger, Umsteiger von sportlicheren Marken, aber vor allem Harley-Fahrer, die etwas Exklusiveres haben wollen". Damit sollten die vorsichtig kalkulierten 200 Indians nächstes Jahr locker abzusetzen sein. Ziemlich genau 112 Jahre nach dem ersten Prototyp von Indian Motorcycle in Springfield, Massachusetts, stehen die Chancen nicht schlecht, dass bald serienmäßige Indian-Modelle über unsere Straßen rollen und die Tradition der wunderbaren Marke weiterführen - Polaris sei Dank. Bleibt zu hoffen, dass dem Projekt diesmal Dauer beschieden ist

© SZ vom 28.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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