Vier Jahre große Koalition haben den deutschen Straßen nach Auffassung von ADAC-Präsident Peter Meyer geschadet. Der Transitverkehr wachse, der Fernstraßen-Etat stagniere. Die Folge sei Stau.
SZ: Herr Meyer, der ADAC stellt der Koalition ein verheerendes Zeugnis aus. Diese habe "mehr als unglücklich agiert". Was war denn so schlimm?
Peter Meyer: Es ist einfach zu wenig geschehen, um das deutsche Fernstraßennetz in Schuss zu halten. Seit Jahren fordern wir, ein Mindestmaß an Verkehrsinfrastruktur zu finanzieren. Nach unseren Berechnungen wären dazu sieben Milliarden Euro im Jahr nötig. Es sind aber nur fünf Milliarden geflossen. Selbst für das Mindestmaß fehlen zwei Milliarden, nur um den Standard zu halten. Und bei vier Jahren sind es auch schon gleich acht Milliarden, die wir im Rückstand sind. Der Autofahrer ist die Melkkuh der Nation, wenn es ums Steuernzahlen geht. Gegenleistungen bekommt er kaum.
SZ: So schlecht sind Deutschlands Straßen nun auch wieder nicht.
Meyer: Wir haben ein gutes Autobahnnetz, hier und da fehlen Verbreiterungen, fehlen Verbindungen von Autobahnen, neue Autobahnen und Autobahnanschlüsse. Aber was wir als Transitland unbedingt brauchen, ist der Erhalt einer besonderen Qualität. Das ist nicht gegeben. Der Verkehr ist mit der Osterweiterung deutlich mehr geworden, insbesondere zwischen Ost und West. Die Bundesregierung hat darauf nicht reagiert.
SZ: Dabei rühmt sich Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee, er habe den größten Etat aller Zeiten lockergemacht.
Meyer: Das sind Tropfen auf den heißen Stein. Tiefensee agiert da eher nach dem Motto, wenn mich keiner lobt, muss ich mich selber loben. Außerdem hat das Ministerium die falschen Akzente gesetzt. Verkehr lässt sich nicht verhindern oder vermeiden, Verkehr ist immanent. Dafür braucht man eine Infrastruktur, dafür muss man auch Geld ausgeben.
SZ: Mittel aus dem Konjunkturpaket gab es immerhin auch für den Verkehr.
Meyer: Das ist ja schön und gut. Aber warum liegt die Konjunktur danieder? Weil wir den Standort nicht gepflegt haben. Deutschland ist ein toller Industriestandort, weil die Leute hier auf hohem Niveau arbeiten und das mit größter Sorgfalt. Aber die Wege dorthin und von dort weg, die müssen in Ordnung sein. Was nützt das, wenn wir die Güter auf Lkws zwischenlagern, weil sie im Stau stehen?
SZ: Immerhin hatte die Koalition geworben, mehr Güterverkehr auf die Schiene zu verlagern. Das müsste Ihnen doch recht sein.
Meyer: Selbstverständlich. Ich freue mich ja auch über jedes Containerschiff, das 50 und mehr Container geladen hat. Das sind 50 Lastkraftwagen weniger auf der Straße. Allerdings: Alleine die Binnenschifffahrt oder alleine die Deutsche Bahn schaffen es auch nicht. Das sind Punkt-zu-Punkt-Verkehre. Die fahren von Rotterdam bis nach Koblenz, und dann muss das irgendwo in ein Dörfchen in der Eifel gebracht werden. Das geht nicht mit dem Schiff und dort gibt es auch kein Bahngleis. Irgendwo kommt immer der individuelle Güterverkehr oder der individuelle Personenverkehr ins Spiel. Erst gute Straßen machen solche Kombinationen verschiedener Verkehrsmittel möglich.
SZ: Was müsste denn eine andere Koalition anders machen?
Meyer: Sie müsste vor allem die Finanzierung auf neue Beine stellen. Wir brauchen eine unabhängige Bundesfernstraßen-Finanzierungsgesellschaft. Formal gibt es sie heute schon, aber sie müsste anders aufgestellt werden. Sie müsste verlässlich mit Einnahmen aus der Lkw-Maut und der Mineralölsteuer ausgestattet werden, in der Größenordnung von sieben Milliarden Euro. Und die sollen dann auch fix sein. Dadurch wären auch Planungen und Planungsrecht verstetigt und nicht immer vom Haushalt der Bundesregierung abhängig.
SZ: Das Thema steigende Kraftstoffpreise wird wohl wieder die Autofahrer bewegen. Was kann die Bundesregierung tun, wenn der Sprit wieder teurer wird?
Meyer: Das Einfachste wäre natürlich aus Sicht des ADAC, die Stufen der Ökosteuer langsam wieder zurückzufahren. Das wird kaum eine Regierung mitmachen. Deshalb bleibt nur, Alternativen zu entwickeln, also synthetische Kraftstoffe, Hybrid- oder Elektroautos.
SZ: Die Koalition strebt eine Million Elektroautos bis 2020 an. Realistisch?
Meyer: Die Ziele können gar nicht zu hoch gesteckt werden. Es gibt viele Autos, die nur im Stadtverkehr fahren, für die ist Elektromobilität hervorragend. Für alles, was bei einem Tagespensum von 100 Kilometern liegt, ist Elektromobilität ideal. Nehmen Sie nur mobile Betreuungsdienste. Die brauchen ein Auto, aber meistens für kleine Entfernungen. Warum dann kein Elektroauto? Je mehr angeboten wird, je mehr Alternativen es gibt, umso mehr werden Menschen beim Kauf eines neues Fahrzeuges darauf zurückgreifen.